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daran halten. Und wenn ein Song zu Ende war, hatten sie den Applaus des Publikums mit einer tiefen, wohleinstudierten Verbeugung entgegenzunehmen. „Und wir haben es gemacht“97, erinnerte sich Paul. „So war nun mal das Showgeschäft. Wir hielten nun Einzug in das ganze magische Reich.“

      Brian half ihnen auch dabei, die Songs auszuwählen, die sie für die allmächtigen Decca-Manager der Abteilung Artist & Repertoire spielen sollten, und er steuerte dabei weg von den harten Rocktiteln und hin zu den Shownummern und Cabaretsongs, die bisher zwar nicht von entscheidender Bedeutung gewesen waren, aber stets ihre Vielseitigkeit unter Beweis gestellt hatten – „September In The Rain“, „Till There Was You“ und dergleichen. Sie spielten auch drei Lennon-McCartney-Kompositionen, wählten aber solche („Love Of The Loved“, „Hello, Little Girl“ und „Like Dreamers Do“), die kaum erahnen ließen, welche Kreativität in ihnen schlummerte.

      Der Vorspieltermin lief nicht besonders gut. Die Band war verkatert, da die Musiker in London ausgiebig bis in die frühen Morgenstunden Silvester gefeiert hatten. Sie klangen schleppend, und ihre seltsame Song­auswahl („The Sheik Of Araby“ – war das wirklich eine gute Idee?) machte das Ganze noch schlimmer. Dennoch schloss der leitende Toningenieur Mike Smith die Session mit einem Lächeln und reckte den Daumen in die Höhe, bevor er erklärte, er sehe keinen Grund, weshalb sie nicht schon bald Aufnahmen für das Label machen sollten. Leider war sein Boss Dick Rowe ganz anderer Meinung, und unterbrochen von vielen Ähs und Öhs teilte er Brian dies auch schließlich mit. Die Beatles würden keinen Vertrag bei Decca bekommen. Brian schwor, es dennoch weiter zu versuchen, und um zu beweisen, wie überzeugt er von der Band war, versüßte er den Jungs die Anreise zum nächsten zweimonatigen Engagement in Hamburg, indem er ihnen ein Flugticket spendierte.

      Die Band und ihr Manager waren für zwei verschiedene Flüge von Liverpool nach Hamburg gebucht, und John, Paul und Pete kamen ein wenig früher an als George und Brian. Nach der Ankunft in Hamburg blieben sie am Flughafen und warteten auf den nächsten Flieger aus der Heimat. Als sie wieder zum Gate zurückkehrten, sahen sie, dass Astrid dort wartete. Sie freuten sich riesig, ihre alte Freundin wiederzusehen, und liefen ihr entgegen. Woher hatte sie gewusst, dass sie kommen würden? Wo war Stuart? Astrid sagte zuerst nichts. Als sie endlich einen Satz herausbekam, warfen ihre Worte die drei Musiker beinahe um.

      „John fing hysterisch an zu lachen. Pete weinte und konnte gar nicht aufhören. Und Paul saß einfach nur da, verbarg das Gesicht in den Händen und sagte kein Wort.“98 Die Szene steht Astrid auch fünfzig Jahre später noch lebhaft vor Augen. „Es ist schrecklich für junge Leute, für die der Tod noch so weit entfernt ist, wenn sie plötzlich hören, dass einer ihrer Freunde nicht mehr da ist.“

      Stu, sagte Astrid, war tot.

      Im Rückblick schien sich alles wie ein Mosaik zusammenzufügen. Stu hatte schon jahrelang an Kopfschmerzen gelitten und oft so heftige Anfälle gehabt, dass er sich hinlegen musste. Dies hatte sich in den letzten Monaten verschlimmert, und zusätzlich litt er an Stimmungsschwankungen und wurde plötzlich aggressiv. Aber die Ärzte konnten auch bei Röntgenuntersuchungen nicht feststellen, woran Stu litt. Versuchen Sie sich zu entspannen, sagte man ihm. Dabei übersahen sie jedoch, dass sich ein kleiner, aber bösartiger Tumor in seinem Gehirn eingenistet hatte. Die Schmerzen belasteten sein Leben weiterhin schwer, bis er am 10. April in dem Zimmer, das er mit Astrid im Haus ihrer Mutter teilte, zusammenbrach. Als der Krankenwagen kam, konnte man nichts mehr für ihn tun. Der erste Bassist der Beatles starb auf dem Weg ins Krankenhaus, nur wenige Stunden, bevor seine früheren Band-Kumpel am Flughafen ankamen. Astrid war gekommen, um Stuarts trauernde Mutter Millie Sutcliffe abzuholen. Als seine Familie wieder nach Hause gefahren war, wachte Astrid morgens allein auf und musste sich mit dem neuen, leeren Leben arrangieren, das nun vor ihr lag. In den nächsten Wochen merkte sie, dass sie auf Stus alte Freunde zählen konnte, die ihr dabei zu helfen versuchten, über Stus Tod hinwegzukommen. „Sie kümmerten sich wirklich sehr um mich, wir redeten viel über Stu und weinten zusammen“99, sagt Astrid. „Es war für sie alle sehr schwer, vor allem für John. Man konnte den Zorn richtig spüren, der in ihm brodelte.“

      Die Wochen in Hamburg vergingen in dem schon vertrauten verschwommenen Nebel aus Lärm, Alkohol und Amphetaminen, und die Beatles kehrten gerade rechtzeitig nach Hause zurück, um einen neuen Vorspieltermin wahrzunehmen, dieses Mal bei Parlophone Records, einem wenig renommierten Tochterunternehmen des großen Schallplattenkonzerns EMI. Der A&R-Chef der Parlophone, George Martin, hatte es ursprünglich dem Toningenieur Ron Richards überlassen, sich die Gruppe anzuhören, doch der war so fasziniert, dass er seinen Boss hinzuholte. Martin war insgesamt vom Spiel der Gruppe recht beeindruckt. Vor allem aber mochte er die Beatles auf der persönlichen Ebene – jedenfalls die drei von ihnen, die etwas sagten. Pete saß meist still da, war zwar nett, machte aber einen etwas zurückhaltenden Eindruck. Das passte dazu, dass auch sein Schlagzeugspiel nach George Martins Ansicht nicht den Schwung und die Energie hatte, die sich der Produzent vorstellte. Als er Brian wenige Tage später telefonisch ein Angebot unterbreitete, machte er auch keinen Hehl aus diesem Umstand. Die Gitarristen waren in Ordnung, aber Parlophone würde einen Session-Schlagzeuger anheuern, der die Beatles bei ihrer ersten Aufnahmesession unterstützte. Deswegen brauche man sich allerdings keine Sorgen zu machen, fügte er gleich hinzu. Viele Gruppen arbeiteten auf diese Weise. Deswegen konnte Pete durchaus weiterhin die Konzerte bestreiten.

      Da waren sich die anderen Beatles allerdings nicht so sicher.

      War Paul eifersüchtig, weil Pete so einen Schlag bei den weiblichen Fans hatte? Hing es John einfach zum Hals heraus, dass dem Schlagzeuger Stil und Witz abgingen? Hatte George einfach den zähen Beat und den mangelnden Swing in Petes Spiel über? Oder war es vielleicht Brian? Schließlich war es nicht zu übersehen, dass er es überhaupt nicht schätzte, wenn ihm Mona in herrischem Ton „Vorschläge“ dazu unterbreitete, wie er die Karriere ihres Sohnes vorantreiben solle. Die ganze Sache entwickelte sich zu einem spannenden Krimi in Agatha Christie-Manier. Jeder hatte ein Motiv, Pete Best bei den Beatles hinauszuwerfen. Aber selbst Jahrzehnte später ist der wahre Grund nicht ans Licht gekommen. Vermutlich lautet die Antwort: Jeder trug dazu bei. Pete war in Ordnung. Er war ein netter Typ, ein passabler Drummer, ein anständiger Mensch. Er war nur irgendwie nicht so wie sie. Die Beatles hatten sich weiterentwickelt, und er hatte den Anschluss verpasst.

      Petes drei Freunde, mit denen er gespielt, gelitten, triumphiert und an deren Seite er weiter vorangekommen war, als er je zu hoffen gewagt hatte, machten es sich leicht. Sie wiesen Brian an, Pete in seinem Büro darüber zu informieren, wie die Sache stand, während sie weit weg waren. Keiner von ihnen hat je wieder mit ihm gesprochen.

      Ein paar Tage später waren die Beatles vom Liverpooler Promoter Sam Leach für einen Auftritt im Tower von New Brighton auf der anderen Merseyseite gebucht worden. Der Besetzungswechsel hatte sich als einigermaßen unproblematisch erwiesen – einige Fans skandierten zwischen den Songs „Pete für immer!“, und jemand schlug George in dem Zusammenhang ein blaues Auge, das eine Woche lang sichtbar blieb. Aber beim Auftritt im Tower saß bereits Rory Storms Drummer Richard Starkey, der sich Ringo Starr nannte, hinter John, Paul und George am Schlagzeug. Pete hingegen war zu Lee Curtis And The All-Stars gegangen. Als die Beatles erfuhren, dass Curtis’ Band ebenfalls an jenem Abend im Tower auftrat, wurde Paul ziemlich nervös. Die Beatles würden direkt nach den All-Stars auf die Bühne kommen, was bedeutete, dass man sich zwangsläufig am Bühnenausgang begegnen würde, und wer wusste schon, was dann passieren würde? Der besorgte Paul wandte sich daraufhin an Leach und bat ihn um einen Gefallen. „Er sagte: ‚Würdest du John und mich auf die Bühne begleiten, wenn wir dran sind?‘ Ich fragte, warum, und er sagte: ‚Vielleicht haut Pete uns eine rein.‘“100 Wie jeder Promoter, der weiß, dass er ein echtes Zugpferd verpflichtet hat, tat Leach ihnen den Gefallen und führte die beiden Beatles-Frontmänner vor ihrem Auftritt auf Armeslänge entfernt an ihrem Ex-Drummer vorüber.

      „Ich wusste, dass Pete nichts machen würde, er ist ein eher sanfter Typ. Als sie im Flur an ihm vorüberkamen, senkte Pete den Kopf. Und ich fühlte mich einfach nur mies.“

      Für die Beatles ging es immer weiter voran. Sie hatten schon viel zu viel Geschwindigkeit aufgenommen, um noch zurückblicken zu wollen – und die Fahrt hatte gerade erst begonnen.

      Конец

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