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dem Foto- und Interviewtermin klingelte das Telefon im Büro des Who-Managements Track Records. Keith verlangte einen Milchwagen: „Bis morgen.“

      Track-Mitarbeiter Jack McCulloch setzte Himmel und Hölle in Bewegung und schaffte es ­tatsächlich, einen Milchwagen aufzutreiben – und zwar in Hounslow. Bis das ulkige Gefährt, das inklusive Transport ungefähr soviel gekostet hatte wie eine moderne Familienlimousine, am Bahnhof von Chertsey stand, verging ein Tag. Keith wollte es in seiner Garage abstellen, um die Reporter zu überraschen. ­Leider hatte er aber noch keinen Garagenschlüssel, weil darin immer noch der Flitzer vom Vorbesitzer von Tara House, Regisseur Peter Collinson, stand, eine rosa lackierte Corvette, „der perfekte Ausdruck des Autos als Penisverlängerung“, wie Keiths Biograf Tony Fletcher schreibt. Das Garagen­schloss aufzubrechen, war das geringste ­Problem; aber wohin mit dem exklusiven Sportwagen? „In den Teich!“ entschied Keith, ohne zu zögern. Das Vorhaben­ misslang, aber mit der Corvette in der Hecke und einem stolz prä­sen­tierten Milchwagen in der Doppelgarage lieferte Keith wieder einmal eine Zeitungsstory, die der Band viel Aufmerksamkeit einbrachte.

      Die beiden berühmtesten Autolegenden von Keith sind allerdings, wie in Band eins berichtet, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wahr: Den Lincoln im Pool des Holiday Inn hat es nie gegeben, und Keith hat auch keinen Rolls Royce ins hauseigene Schwimmbecken gefahren; schon deswegen nicht, weil er gar keinen Pool hatte. Keiths Pläne, ein eigenes Schwimmbad – mit Unterwasserbar! – im Garten­ einzurichten, war an den horrenden Kosten von fünfunddreißigtausend Pfund vorzeitig gescheitert. Keith, der Geld schneller ausgab, als es gedruckt werden konnte, geriet während seiner Zeit in Tara House nämlich in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Regelmäßig kam ein Abgesandter von Track oder New Action und erläuterte ihm, dass er bankrott sei und sich keine weiteren Extravaganzen mehr leisten dürfe, wenn er von einem erzwungenen Gefängnisaufenthalt verschont bleiben wolle. Richard Barnes erlebte einen dieser wirtschaftlichen Zusammenbrüche Keiths hautnah mit:

      „Er rief uns zusammen und sagte, er sei vollkommen pleite und müsse wahrscheinlich ins Gefängnis und seinen Lebensstandard herunterfahren. Als erstes drehte er die Heizung ab. Es wurde unangenehm kalt im ganzen Haus, was Keith nicht bemerkte, weil er meistens im Bett lag und Kassetten hörte. Als Kim und Joan vom Einkaufen zurückkamen, bekam er einen Anfall, hielt ihnen Konservendosen entgegen und sagte, dass sie künftig nichts anderes mehr einkaufen dürften. Er schraubte alle überflüssigen Glühbirnen aus ihren Fassungen,­ und er bestand darauf, dass die Flaschen zurückgebracht wurden, um das Pfand zu bekommen; fast hätte er sogar den Schnaps rationiert. Das ging vier Tage so – und dann kam er von der Eröffnung eines neues Geschäfts zurück, völlig begeistert über ein diamantbesetztes Uhrenarmband, das er für sechshundert Pfund gekauft hatte, was ungefähr dem Preis eines Mitteklasseautos entsprach. Hoch erfreut beschrieb er uns den Anzug, den er in dem Laden gesehen hatte – er hatte gleich sechs Stück davon bestellt. Außerdem war er ein bisschen verärgert, dass es im Haus so kalt und dunkel war, und dass es nichts Anständiges zu essen gab …“

      Keith hatte schon immer mehr Geld ausgegeben, als er besaß. Er war schlichtweg unfähig, den Wert des Gelds an sich zu schätzen, sondern liebte es, un­geheuer spendabel­ aufzutreten und andere zu beschenken. Er kaufte seiner Schwieger­mutter,­ die bei ihm umsonst wohnte, ein Cabrio für ihre ausgedehnten Einkaufstouren; auch sein Vater bekam ein Auto – der bodenständige Alf Moon wollte ­freilich nur einen VW. Keith lud alle Freunde ein, bei ihm zu wohnen, er ver­köstigte­ Gott und die Welt und bezahlte immer die Zeche, wenn ihn Fans in einer Kneipe ansprachen. Roger, John und Pete akzeptierten die Ausgabenwut ihres „PR-Direktors“ Moon. Roger und John allerdings nur mit zusammengebissenen Zähnen, weil es ihr Geld war, das Keith verschleuderte, wenn sein Anteil aufgebraucht war. Doch vor allem Pete, der dank seiner Songwritertantiemen wesentlich­ mehr verdiente als die anderen, steckte regelmäßig hohe Beträge in die „Geldvertilgungs­maschine“­ Moonie. Zahlungsunfähig wurde Keith deshalb nie, auch wenn er zeitweise gigantische Schulden aufhäufte. Die anderen waren sich stets bewusst: Als Werbe­medium­ war „Moon the Loon“ für The Who unbezahlbar.

      Und dieser Einsatz war auch erforderlich, wenn The Who ihren finanziellen Status aufrecht erhalten wollten. Auf dem Papier besaßen sie zwar Millionen, doch die hohen Steuersätze in England, die neuen Häuser, die teuren Autos und der extravagante Lebensstil, an den sich alle schnell gewöhnt hatten – all das sorgte dafür, dass unter dem Strich deutlich weniger übrig blieb als erwartet. Noch flossen­ den Who-Konten stetig berauschend hohe Einnahmen zu, mit drei Alben in den US-Charts – Tommy, Live At Leeds und dem unaufhaltsam aufsteigenden Who’s Next. Doch was, wenn diese Quellen versiegten?

      Am Rand von Keiths feuchtfröhlicher Einweihungsparty, in der traum­haften­ Atmosphäre von Tara House und umschmeichelt von einer ungewöhnlich warmen englischen Julinacht, unterhielt sich Pete mit Presseleuten über die Pläne der Band. Pete präsentierte sich, wie immer bei solchen Anlässen, als verantwortungsbewusster, eloquenter und vorausdenkender Rockstar, ein Bild, das er selbst von sich entworfen hatte und an dem er festhielt, obwohl er Anfang des Jahres fast daran zerbrochen wäre. Er sprach über die gesellschaftlichen Aspekte von „Won’t Get Fooled Again“, das sich rasch zum Hit entwickelte, und über die Lage der Musikindustrie. Die Gäste und Journalisten betranken sich unterdessen an Keiths Hausbar, kauten sich durchs Buffet und vergnügten sich mit bereitwilligen Groupies zwischen den Büschen. Es war eine bizarre,­ unwirkliche Situation, doch Pete hatte die von Who-Manager Kit Lambert ausgegebene Who-Maxime – „alles, was abnormal ist, ist normal“ – ebenso verinnerlich wie Keith und alle, die mit The Who zu tun bekamen.

      Die Idee, einen Who-Film zu produzieren, war in Petes Überlegungen unverändert präsent. Noch immer ging es darum, einen glaubwürdigen Vertreter der eigenen Spezies im Rahmen eines Rock’n’Roll-Kunstepos zu erschaffen, „den ersten echten Superstar, der es verdient, so genannt zu werden“, wie er es in seiner­ Hauskolumne im Melody Maker formuliert hatte. Sicherlich wollte er selbst an diesem­ Vorbild gemessen werden, wenn er verkündete: „Rockmusik muss mit einer Antwort aufwarten können!“

      Pete meinte solche Statements stets aufrichtig. Jedenfalls während er sie aussprach. Er war frei von Zynismus, wenn er über die gesellschaftliche Bedeutung von Rockmusik und die Rolle von Stars räsonierte. Doch sein ambitioniertes Lifehouse-Projekt, mit dem er diese Fragen beantwortet sehen wollte, war gescheitert, und darunter litten sein Selbstverständnis und sein Sendungsbewusstsein erkennbar. „Vielleicht war die Gruppe nicht das passende Medium dafür. Die Band ­glaubte,­ wir sollten besser das Banner der sechziger Jahre und der Who hochhalten, als etwas Neues zu versuchen, wozu wir vielleicht nicht fähig waren. The Who sind The Who sind The Who – und darin hängen wir ziemlich fest.“

      Für die Welt klangen solche resignierenden Töne mehr als verwunderlich. The Who hatten soeben ein bahnbrechendes Album hingelegt, das als ihr erster Longplayer in den britischen Charts die Spitzenposition eroberte und das Kritiker schon bald als Klassiker einstuften. Sie standen auf dem Zenit ihres Ansehens als beste Liveband der Rockmusik, hatten Geld wie Heu, verständnisvolle Frauen und bald wieder jede Menge Groupies. Denn Pete verkündete in Tara House auch die Daten einer unmittelbar bevorstehenden Nordamerikatournee.

      Heute, da die USA zum Inbegriff bigotter Prüderie geworden sind, hört es sich beinahe unglaubhaft an, dass die Vereinigten Staaten in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren für britische Rockmusiker das El Dorado schlechthin bedeuteten. Dort lag das Geld praktisch auf der Straße, und man wurde allein wegen seiner Herkunft als Englishman wie ein Götterbote verehrt – vor allem vom weiblichen Geschlecht. „Die Frauen waren dort viel lockerer“, erklärte Tour­manager Wiggy Wolff. Er meinte damit: williger. „Du musstest dich bloß umdrehen, und schon war da wieder eine, die dir einen blasen wollte. Das war eine fantastische Sache. Es war Befreiung, eine andere Welt. Das Tollste an Amerika war der Sex. Rock’n’Roll wird von Sex angetrieben, und auf Tournee zu gehen, bedeutete Sex. Deshalb hieß es immer: Schnell, wir müssen nach L. A.! Los Angeles­ war das Größte. Wir freuten uns immer darauf wie auf Weihnachten.“

      Auch in New York kamen die Bands und ihre Crews auf ihre Kosten. Und in Chicago gab es die Plaster Casters, zwei Mädchen, die ihre Rockidole auf sehr spezielle Weise verewigten: Sie brachten das beste Teil des Musikers mit Fingerfertigkeit und

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