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ihre Haltung zu überdenken und dass sie „Mr. Moon“, der sich unverhohlen an die hübsche Seelenverwandte heranmachte, nicht lange widerstehen konnte. „Ich ging in sein Zimmer und hörte mir seine neuen Who-Nummern an … hervorragend!“ notiert sie am 8. Februar etwas gouvernantenhaft in ihr ­Filmtagebuch. „Armer kleiner Keith, er ist ein trauriger und einsamer Fall. Wenn ich nicht so gehandikapt wäre, könnte ich durchaus geneigt sein, ihm hilfreich zur Seite zu stehen.“ Miss Pamela trauerte um eine verflossene Liebe, und da auch Keith den Verlust seiner Kim ­beklagte,­ scheint die anfängliche Kameradschaft glaubhaft:

      „Ich hatte nicht vor, mir Mr. Moon zur Brust zu nehmen, aber ich konnte mich auch nicht überwinden, ihn vollständig auszuschließen. Er half mir wirklich, die Seelenqualen wegen S. in ausführlichen Gesprächen zu verarbeiten, wobei er mich gleichzeitig die feine Kunst des Cognacsüffelns lehrte. Ich nahm an, dass ich ihm irgendwo entlang der schönen Wege wieder begegnen würde.“

      Miss Pamelas Annahme sollte sich als zutreffend erweisen. Zuvor aber trennten sich beider Wege wieder. Zappas Projekt endete mit einem kleinen politischen Skandal, als der Manager der Royal Albert Hall die geplante Aufführung der Mothers mit dem Philharmonischen Orchester wegen fortwährender Obszö­nitäten­ in Zappas Umgebung kurzfristig absetzte. Der Meister selbst und seine Musiker­ demonstrierten vor der Halle, entschuldigten sich persönlich bei den geprellten Konzertbesuchern und zogen vor Gericht, während Keith Moon in den Schoß der Who-Familie zurückkehrte, für Lifehouse-Konzerte probte und sein Privatleben in den Griff zu bekommen versuchte.

      Der Streit mit Kim hatte endgültig operettenhafte Züge angenommen. Kim war zunächst zu ihren Eltern nach Dorset geflohen, hatte dann aber eine kleine Wohnung in Ealing bezogen, um während der Woche ihre Karriere als Foto­modell zu verfolgen. Keith fand ihre Adresse heraus und klopfte Kim mit für Hollywood tauglichen nächtlichen Szenen weich. Die Nachbarn begannen sich zu beschweren, und Kims Augenringe wuchsen. Zwischenzeitlich verschwand Keith immer für einige Tage, zu Auftritten mit The Who, zu Proben oder zu Mick Jaggers Hochzeit nach St. Tropéz; doch er kam stets wieder. Zudem schickte er Mutter Moon in die Schlacht und ließ seinen sehnsüchtigen Wunsch mitteilen, mit Kim und Mandy in einem neuen Haus einen neuen Anfang zu machen.

      Schließlich gab Kim auf: „Alles in allem war es einfacher, zu ihm zurück­zukehren.“ Natürlich wusste sie, dass sie mit zweiundzwanzig Jahren zu alt war, um ihre ­Karriere als Fotomodell fortzusetzen, die sie für Keith abgebrochen hatte, und die Lage der inzwischen fast fünfjährigen gemeinsamen Tochter Mandy machte allen Beteiligten Sorgen.­ „Ich hatte wirklich nicht vor, für lange Zeit zu ihm zurückzukommen“, sagte Kim. „Nur noch so lange, wie wir für einen ­­letzten­ Versuch brauchten, um Mandy eine gewisse Sicherheit zu geben.“ Im Frühjahr 1971, etwa um die gleiche Zeit, als die Aufnahmen­ zu Who’s Next begannen, willigte die seit fast einem halben Jahr von Keith getrennt lebende Kim in den Vermittlungsvorschlag von Mutter Moon ein. Sie beauftragte­ einen Immobilienmakler, den ihr George Harrisons Frau Patti empfohlen hatte, mit der Suche nach einem passenden Wohnobjekt für die wiedervereinigte Familie:­ „Es soll ­außergewöhnlich sein und groß, und nicht zu nahe zu irgendwelchen Nachbarn ­gelegen sein, in deren eigenem Interesse.“

      Wenig später wurde ihr Tara House angeboten. Regisseur Peter Collinson, der Vorbesitzer, hatte das Grundstück ursprünglich gekauft, um darauf ein Kloster als Kulisse für einen Film zu errichten. Wenn man sich das Resultat vor Augen führt, scheint Petes Sorge nur allzu gut begründet, dass Keith in dieser Hinsicht nicht der einzige Verrückte auf dieser Welt war. Im Zentrum der Anlage stand die mittlere Pyramide – mit einem etwas abgesenkten Boden, eingelassenen Sitz­gelegenheiten um einen offenen kupfernen Kamin und mit einer fest installierten Musikanlage. In diesem wandhoch verglasten Wohnkäfig spielte sich das tägliche Leben der Moons ab, oder besser gesagt: ihr täglicher Wahnsinn. Richard ­­Barnes,­ Petes Studienfreund und Who-Chronist aus frühen Tagen, zeigte sich noch Jahre später überwältigt, als er über die Zustände in Tara House nachdachte:

      „Einmal besuchte ich ihn und blieb dort mehr oder weniger das ganze nächste­ Jahr hängen. In Tara herrschte ein fundamentales Durcheinander. Kim betrachtete es als ihr Zuhause; ihre Mutter und ihr acht Jahre alter Bruder ­Dermott lebten ebenfalls dort. Keith wollte zwar, dass Tara ihr gemeinsames Zuhause war, aber noch mehr sah er es als sein Spielzeug an.“

      Keith schien den Kerngedanken von Petes gescheitertem Lifehouse-Projekt auf seine Weise verwirklichen zu wollen. Die meisten Rockstars wollten schnell reich und berühmt werden und entzogen sich dann ihrem Publikum. Keith war grundsätzlich anders. Er suchte das Publikum, immer und überall. Er liebte seine Fans, vor allem deren ungeteilte Aufmerksamkeit, und nutzte jede Gelegenheit, sich mit anderen zu verbrüdern. Im Herzen blieb Keith der größte aller Who-Fans; er bewunderte die Band und sich selbst wie ein Dritter – seine Schizophrenie hatte nicht nur sehr dunkle, sondern auch sehr liebenswerte Seiten.

      Pete war inzwischen ebenfalls ein großer Who-Fan geworden. Er hatte erkannt, dass die meisten Rockmusiker in ihrer Karriere einem Automatismus folgten, der sich fatal auswirkte, für den Rock’n’Roll wie auch für die Musiker selbst. Der Fehler, sich vom Publikum abzusondern und die künstliche Überhöhung im Starkult anzunehmen, konnte sogar tödlich sein, wie zum Beispiel das tragische Ende von Jimi Hendrix und Janis Joplin im Jahr davor gezeigt hatte. Pete näherte­ sich dem Problem aber vorwiegend intellektuell und als Künstler. Er erdachte das Gegenprojekt Lifehouse, ohne es leben zu können. In Keith hingegen nahmen alle diesbezüglichen Überzeugungen und Überlegungen Leben an, vor allem die von Pete, den er bewunderte. Keith ­scherte sich nie um die Konsequenzen seines Tuns. Er installierte Tara House als ­reales­ Abbild seiner durch und durch extrovertierten­ Lebenshaltung. „Ich will eine Situation schaffen, in der eine Nonstop-Vierundzwanzig-Stunden-Party abgeht“, erklärte­ er dem beeindruckten Barnes. „Das heißt, wann immer ich von irgendwo zurückkomme, kann ich reinmarschieren und geradewegs dort weitermachen, wo ich aufgehört habe.“ Natürlich funktionierte sein Lifehouse genauso wenig wie das von Pete. Das ­störte Keith aber nicht. Im Gegenteil, Keith liebte das Chaos, er benützte es als Schleier für seine Unsicherheit und als Vehikel für seine großartige, aber unüber­sehbar zerrissene Menschlichkeit.

      Tara House war vergleichsweise klein und erlaubte kein echtes Privatleben. Um die zentrale Pyramide scharten sich die vier kleineren, vorstehenden, etwas weniger verglasten Pavillons Wand an Wand. Eine dieser Wohnpyramiden beherbergte Keiths Schlafzimmer mit einem eigenen Bad; die zweite enthielt zwei getrennte Schlafzimmer, vermutlich für Keiths Schwiegermutter Joan und ihren Sohn Dermott, der ebenso alt war wie Mandy; die dritte, das sogenannte Familien­zimmer oder „Studio“, war angefüllt mit Spielzeug, das vor allem Keith ge­hörte, und mit lebensgroßen Marvel-Comicfiguren bemalt; in der vierten Pyramide fanden­ sich die Küche und ein weiteres Schlafzimmer.

      Das gesamte Bauwerk sah von oben aus wie die fünf Augen auf einem ­Würfel, wenn man die Spitzen der Pyramidendächer jeweils als Punkte nahm. Viele Dinge konnten in diesem Heim gleichzeitig geschehen; aber man kann sich nur schwer vorstellen, dass in dieser verrückten Umgebung, die baulich wie auch familiär den Keim des Wahnsinns in sich trug, irgendwer Ruhe fand oder gar Geborgenheit. Jedenfalls nicht, solange Keith anwesend war. Richard Barnes erinnert sich:

      „Es gab eigentlich zwei Taras. Eines, wenn Keith daheim war, und eines, wenn er nicht da war. Er verbrachte sehr viel Zeit außer Haus, und dann entspannte­ sich die Situation, und jeder lebte fast wie ein normaler Mensch. Aber die Tage, in denen Keith nach Hause kam und Zeit hatte, waren sehr hektisch, lustig, extravagant und neurotisch. Keith war der Prototyp eines tragischen Clowns. Es war unmöglich, den wahren Keith zu erkennen, er hatte so viele unterschiedliche Persönlichkeiten. Sein exzessiver Alkoholgenuss und die Pillen machten es nicht besser. Wenn er zur Ruhe kam, fühlte er sich unglaublich einsam und unglücklich. Keith liebte Aktivität, er liebte es, beschäftigt zu sein, im Mittelpunkt zu stehen, Leute zum Lachen zu bringen. Und natürlich schaffte er das auch immer. Keith war ja nicht bloß ein Witzbold; er war wirklich geistreich und originell. Ich kenne niemanden, der es geschafft hätte, bei Keith das letzte­ Wort zu behalten.“

      Tag und Nacht wurden in Tara House Schallplatten und Musikkassetten abgespielt, und zwar in jedem Zimmer andere und gleichzeitig. Keiths Schlafzimmer

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