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zunehmend im Nebel von Drogenabhängigkeit, ­Alkoholismus und Schizophrenie versinkenden Keith Moon, der sein persönliches Dilemma schließlich nur noch durch ungehemmte Bühnen­aktivität einigermaßen beherrschen konnte. Und als auch diese Möglichkeit ­ausschied, erlahmte seine schier übermenschlich scheinende Energie. Keith Moon verabschiedete sich in den Rock’n’Roll-Himmel, bevor der erste analoge Drumcomputer in Serienproduktion gehen konnte. Als der erst einmal auf dem Markt war, brauchte man theoretisch keinen Schlagzeuger mehr, um im Studio autark Platten aufnehmen zu können. Und tatsächlich wählten auch einige Rockbands diesen für ihre Drummer so schmachvollen Weg der Musikerzeugung, wodurch die Dynamik des selbstredend schwierigeren gemeinschaftlichen Kreativ­prozesses zugunsten von musikalischer Perfektion und Wirtschaftlichkeit ­weiter in den Hintergrund gedrängt wurde.

      Dass beherzte Aktionen wie die des Trommelgenies Keith Moon von ­elementarer Wichtigkeit waren, um den Rock’n’Roll am Leben zu erhalten, schien im Sommer 1971 aber noch unzweifelhaft; Showdrummer wie er ­galten­ als die Herzschrittmacher ihrer Musik. Und so ließen The Who sieben weitere­ Jahre auf der Bühne lautstark Taten sprechen, ehe der Tod des verrücktesten Rockstars aller Zeiten die Welt um Vieles ärmer und stiller machen sollte.

      Nun aber genug der Vorrede zum zweiten Buch: Let’s see action!

      1: „Let’s See Action“: Wieder auf Tour und ein gelungener Rückblick mit Meaty Beaty Big And Bouncy

      „Meine Kompositionen werden nicht meine Gedanken ­widerspiegeln, sondern das, was andere Leute denken.“

      Petes Lifehouse-Held DJ Bobby

      „Betrug! Lügen! Täuschung! Nur darum geht’s noch in der Rockmusik!“

      Pete im Rolling Stone, 12. Dezember 1971

      „Er will, dass ich das Mädchen mit der Harfe bumse!“

      „Er will, dass du das Mädchen … mit der Harfe bumst?“

      Keiths Dialog in Zappas Film 200 Motels, bei dem der Who-Drummer auch als Harfe spielende Nonne mitwirkte

      Obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätten, wirkten die vier Mittzwanziger von The Who alles andere als zufrieden und glücklich, als sie dem Presseempfang von Who’s Next beiwohnten. Die halb private Veranstaltung fand in Keiths neuem Heim statt, einem futuristischen Gebilde aus fünf pavillonartig zusammenwürfelten ­Pyramiden mit verglasten Wänden. Keith hatte das zwanzig Hektar große ­Anwesen erst kurz zuvor erworben – für stolze fünfundsechzigtausend Pfund, nach ­heutigem Kurs eine Investition in Millionenhöhe.

      Bei den anderen Bandmitgliedern verursachte Keiths Kaufentscheidung nicht nur wegen des hohen Preises Stirnrunzeln. Tara House, wie das Gebäude ließ, vermittelte alles andere als gediegene Bodenständigkeit. Einer der geladenen Gäste merkte gegenüber Pete an, dass wohl nur Keith sich ein Haus wie dieses hatte ausdenken können. Doch Pete erwiderte: „Das ist zwar richtig, aber er hat es sich nicht ausgedacht, und das beunruhigt mich, weil es bedeutet, dass eine weitere Kreatur mit dem Geist eines Keith Moon auf dieser Erde wandelt.“

      Tara House lag mitten im Grünen, in den Hügeln von St. Ann’s bei Chertsey, nur knapp eine Autostunde südwestlich des Londoner Stadtzentrums. Der Besitz war entweder nach einem keltischen Heiligtum in Irland benannt worden oder nach dem Anwesen im Film Vom Winde verweht, wie es der Makler Keith weis­machte.­ Jedenfalls hatte Tara House zuvor dem Regisseur Peter Collinson gehört, was ebenfalls symbolträchtig erscheint, wo doch das Medium Film in Keiths Leben und in den Plänen der Who seit einiger Zeit eine wichtige Rolle spielte.

      Keith hatte, wie in Band eins beschrieben, von Frank Zappa das Angebot erhalten, in dessen chaotischem Roadmovie 200 Motels eine kleine Rolle zu übernehmen. Natürlich akzeptierte Moon the Loon diese Einladung mit Begeisterung und kostete seinen Part in vollen Zügen aus. Die gesamten Dreharbeiten in den Londoner Pinewood Studios dauerten nur sieben Tage und entwickelte sich dank Moons Mitwirkung zu einer aberwitzigen Dauerparty, bei der hin und wieder auch mal eine Kamera mitlief. Ein richtiges Drehbuch hatte Zappa ohnehin nicht verfasst; er wollte im Grunde etwas Ähnliches wie Pete mit seinem gescheiterten Lifehouse-Projekt: ein multimediales, sich spontan entwickelndes Musikexperiment, das gemeinsam mit dem Royal Philharmonic Orchester in der Royal Albert Hall vor Publikum aufgeführt und gefilmt werden sollte.

      Um diese reale Erfahrung herum sponn Zappa die surreale Filmhandlung einer Rockband auf Tournee. Er wollte den Alltag on the road zeigen, frustrierte Musiker, Drogen, miese Auftrittsbedingungen, ständig neue Orte und Hotelzimmer – und nicht zu vergessen die Groupies. Er hatte kurz zuvor in Los Angeles die erste Girlband aus Groupies formiert und produziert, die GTOs (Girls Together Outrage­ously); deren Mitglieder übernahmen i­n Zappas Film eine publicityträchtige Rolle: Sie spielten sich selbst. Zappas Filmego „Jeff der Zwerg“ stellte der ähnlich hakennasige und hohläugige Ringo Starr dar, weil Zappa zu beschäftigt war oder keine Lust hatte, sich selbst zu mimen; der renommierte Schauspieler Theodore Bikel ­­lotste als Conferencier mit deutschem Akzent und lispelnd durch den Film.

      Universal Pictures hatte dem Medienverschnitt auf Zelluloid ein Budget von sechshundertsiebzigtausend Dollar zur Verfügung gestellt. Keith Moon bot das Projekt ein denkbar günstiges Forum zur Selbstdarstellung. Das Studio, das einem biederen amerikanischen Provinzstädtchen nachgebildet war, wurde bald zu seinem persönlichen Biotop, zu einem von Alkohol, Pillen, Schlaflosigkeit und mondsüchtigem Irrsinn geprägten Laboratorium des Rock’n’Roll. Der Regisseur Herb Cohen legte sein Amt auf halber Strecke nieder und wollte mit dem Projekt nie mehr in Zusammenhang gebracht werden. Mehrere Mitglieder im Team schieden frühzeitig aus, zwei distinguierte Philharmoniker verweigerten nach der ersten Probe mit Zappas Band The Mothers Of Invention ihre weitere Mitwirkung.

      Möglicherweise veranlasste Keiths verwirrender und keineswegs vorgese­hener Auftritt während einer Probe die Kollegen von der E-Musik zum Streik. In ­seiner­ Verkleidung als harfespielende, triebhafte Nonne ließ er sich plötzlich vom wildmähnigen Ringo-Zappa kichernd und kreischend durchs Orchester jagen; er wirbelte Musiker, Stühle, Notenständer und Instrumente durcheinander, bis er mit flatterndem Ordensgewand in der Kulisse verschwand.

      Keiths wichtigste Szene spielt in einem Hotelzimmer, wo er als verführte, in wollüstiger Reue sich windende Gottesdienerin von zwei dürftig bekleideten Groupies­ die heilige Kommunion empfängt. Die Hostie entpuppt sich freilich als ­Psychokeks, nach dessen Genuss sich Keith in übertriebener Theatralik auf den Boden schmeißt: „Die Pillen, ich hab’ so viele Downers genommen, Tabletten, Mandrax – so viele, dass ich weiß: Das bedeutet mein Ende! Ich werde sterben!“

      So grotesk diese Szene anmutet, so plötzlich trifft die Erkenntnis: Bei Zappas Dreh rechnete damals offenbar noch niemand damit, dass der scheinbar unbesiegbare Komödiant Keith Moon nur sieben Jahre später tatsächlich an einer Über­dosis Tabletten – in Verbindung mit Alkohol – sterben würde.

      Keiths Rolle war übrigens einem Mädchen aus der Groupieband GTO nachempfunden. Diese Miss Pamela, die ihren legendären Ruf als Verführerin von Mick Jagger und Jimmy Page gewonnen hatte, war am Set anwesend. Sie spielte aber nicht sich selbst, sondern eine mannstolle Rockjournalistin. Keiths Nonnentracht verwies auf die eigenartige „jungfräuliche Verruchtheit“ von Miss Pamela, die eigenen moralischen Regeln folgte. So behauptete Miss Pamela, geborene Pamela­ Miller, beharrlich, sie habe nie mit einem verheirateten Star geschlafen.

      In ihren Memoiren (Pamela Des Barres: Light My Fire – Bekenntnisse eines ­Groupies) kann man nachlesen, dass sie in Keith Moons Fall zunächst keine Ausnahme machte – Keith war ja immer noch mit seiner Kim verheiratet – und lediglich ihre Freundschaft und ihren Trost anbot, während die anderen im Team selbstverständlich davon ausgingen, dass Keith mit seiner neuesten Eroberung das Bett teilte. Sie erzählt:

      „Wenn ich nicht im Scheinwerferlicht schwitzte, vertrödelte ich die Zeit mit Keith Moon, der das Universum mit seinem Irrsinn erschütterte. Er füllte den Raum derart aus, dass selbst das Atmen mühselig war. Ich fühlte mich gegen die Wand gedrückt, weil sein Wahnsinn einem derart in die Knochen fuhr. Er rannte in Nonnentracht herum, besprenkelte die Leute mit heiligem Cognac und sorgte fortwährend für Konfusion

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