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der nach der Apostelgeschichte zum ersten Mal einen Nichtjuden ohne Beschneidung und allein durch die Taufe in die Jesusgemeinschaft aufnimmt (Apg 8,26–39).

      Exkurs

      Zwar wird der äthiopische Eunuch (in den Übersetzungen meist als «Kämmerer» wiedergegeben), der von Philippus getauft wird, in Apg 8,27 als jemand gekennzeichnet, der nach Jerusalem gekommen war, «um Gott anzubeten», und er liest in seinem Reisewagen auch in den jüdischen Heiligen Schriften, genauer: im Buch Jesaja. Doch dürfte mit dieser Charakterisierung kaum gemeint sein, dass er als Proselyt anzusehen ist, also als jemand, der im vollumfänglichen Sinne zum Judentum konvertiert ist. Denn nach Dtn 23,2 konnte ein Eunuch gar nicht vollgültig Jude werden. Vielmehr erscheint der Eunuch hier als ein Gottesfürchtiger, also als einer, der mit dem Judentum zwar sympathisierte und sich im Umkreis der Synagoge bewegte, jedoch den letzten Schritt des Übertritts, der für Männer die Beschneidung bedeutete, nicht vollzogen hatte.41

      Wie die Verkündigungsarbeit des Philippus in Apg 8,4 als eine Folge der «Zerstreuung» nach dem Martyrium des Stephanus dargestellt worden war, so wird in Apg 11,19 auch die Verkündigung in weiteren Gebieten als eine Folge jener «Zerstreuung» dargestellt. Dabei wird die syrische Grossstadt Antiochia als diejenige hervorgehoben, in der das Evangelium gezielt und offenbar in grossem Umfang auch Griechen verkündet wurde, und zwar von Jesusgläubigen aus der Diaspora:

      «Bei der Verfolgung, die wegen Stephanus entstanden war, kamen die Versprengten bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia; doch verkündeten sie das Wort nur den Juden. Einige aber von ihnen, die aus Zypern |39| und Zyrene stammten, verkündeten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium von Jesus, dem Herrn.» (Apg 11,19 f.)

      In der Folge ist es Barnabas, der, von der Gemeinde in Jerusalem nach Antiochia gesandt, als massgeblicher Verkündiger in Antiochia hervortritt. Er ist es auch, der den mittlerweile vom Christusglauben überzeugten Saulus aus Tarsus wieder nach Antiochia holt und gemeinsam mit ihm dort eine erfolgreiche Arbeit leistet (Apg 11,22–26). Und in Antiochia erhielten die Jesusgläubigen zum ersten Mal eine Bezeichnung durch Aussenstehende, die sie als eine eigene Gruppe neben der jüdischen Gemeinschaft kennzeichnete: christianoi, Christen (Apg 11,26).

      Antiochia war zu jener Zeit eine Grossstadt von ausserordentlicher Bedeutung, wenngleich die Stadt des ersten Jahrhunderts noch längst nicht die Grösse und den Glanz der spätantiken Stadt erlangt hatte. Seit 27 v. Chr. war es die Hauptstadt der römischen Provinz Syrien und Sitz des römischen Statthalters. Es zählte neben Rom und Alexandria zu den «Weltstädten» des Römischen Reiches, und der jüdische Historiker Flavius Josephus gibt dieser Stadt «wegen ihrer Grösse und ihres allgemeinen Wohlstandes unwidersprochen den dritten Platz in der von den Römern beherrschten Welt»42.

      Exkurs

      Die genauen Einwohnerzahlen antiker Städte sind nur schwer zu ermitteln. Im Falle von Antiochia wird aufgrund verschiedener Zahlenangaben in antiken Quellen zumeist von der für eine antike Stadt enormen Grösse zwischen 300 000 und 600 000 Einwohnern ausgegangen.43 Doch sind die Zahlenangaben der antiken Autoren insgesamt recht inkonsistent. Wenn man die Grösse des antiochenischen Stadtareals der frühen Kaiserzeit mit einbezieht, sind die in der heutigen Diskussion gängigen Zahlen eher nach unten zu korrigieren. So geht Frank Kolb für die frühe Kaiserzeit von höchstens 250 000 Einwohnern der Stadt aus, was allerdings für die Antike immer noch eine beachtliche Grösse darstellt.44

      |40| Antiochia lag ausserordentlich günstig am Knotenpunkt des kleinasiatischen und orientalischen Strassennetzes, und sein Hafen eröffnete Handelswege in das gesamte Mittelmeergebiet. Doch war die Stadt nicht nur eine Wirtschaftsmetropole, sondern als Provinzhauptstadt auch ein Zentrum der römischen Verwaltung. Griechisch war die dominierende Sprache, insbesondere im Handel und in allen Bereichen der Politik. Dagegen sprach die einheimische Bevölkerung Syrisch.

      Eine lange Tradition hatte die dortige jüdische Gemeinde, die zwar als eine der bedeutendsten der Diaspora gilt,45 über deren genaue Grösse aus den Quellen allerdings kaum konkrete Angaben zu erhalten sind.46 Der jüdische Historiker Flavius Josephus betont die Grösse und Bedeutung der jüdischen Präsenz in Antiochia, die zudem von den seleukidischen Königen gefördert worden sei, und er hebt die Offenheit der antiochenischen jüdischen Gemeinde und ihre einladende Haltung gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung der Stadt hervor.47

      Dieses Milieu derer, die mit dem Judentum sympathisierten, jedoch den letzten Schritt des Übertritts nicht getan hatten, wird in der Folge von grösster Bedeutung für die Ausbreitung der Christusbotschaft. Denn die aus Jerusalem kommenden Griechisch sprechenden Jesusverkündiger, die ja selbst Jüdinnen und Juden aus der Diaspora waren, waren rechtlich Teil der örtlichen Judenschaft und fanden ihren ersten Ort selbstverständlich in den Synagogen Antiochias. Dezidiert sprachen sie mit ihrer Jesusbotschaft aber nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern auch Menschen nichtjüdischer Herkunft und insbesondere jene Sympathisantinnen und Sympathisanten im Umkreis der Synagoge (die «Gottesfürchtigen») an und nahmen sie durch die Taufe in die messianisch-jüdische Gemeinschaft auf. Für diese Gottesfürchtigen war damit ein Weg eröffnet, dem Judentum anzugehören, ohne dass sich die Männer beschneiden lassen mussten. Dies |41| war für viele attraktiv. Allerdings musste diese Praxis bei den örtlichen Synagogengemeinden auf Misstrauen und Widerstand stossen; denn die Gottesfürchtigen waren für die Synagogengemeinden wegen ihrer rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Stellung im Beziehungsgefüge der Stadt von ungeheurer Bedeutung. Wenn diese einflussreichen Personen durch ihre Taufe für die Synagogengemeinde «verloren» zu gehen drohten, waren Konflikte mit den Jesusverkündigern vorprogrammiert. So deutet die Notiz in Apg 11,26, dass in Antiochia die Anhängerinnen und Anhänger des «neuen Weges» als «christianoi» bezeichnet worden seien, auf eine wohl schon von aussen wahrnehmbare Differenz zwischen den messiasgläubigen Jüdinnen und Juden, die als «Christianer» bezeichnet wurden, und den Jüdinnen und Juden, die dem Messiasglauben nicht anhingen. Mit der antiochenischen Praxis, auch Menschen «aus den Völkern» durch die Taufe in die messiasgläubige Gemeinschaft aufzunehmen, war allerdings der Weg vorgezeichnet, auf dem sich die Christusbotschaft auch in anderen Städten verbreiten würde.48

      Eine weitere Stadt, die in diesen Anfangszeiten von grosser Bedeutung war, ist Damaskus. Wie das Evangelium dort hingekommen war, erzählt die Apostelgeschichte allerdings nicht. Bereits beim gewaltsamen Wüten des Paulus49 gegen die christusgläubigen Gemeinschaften war Damaskus als ein Ort genannt worden, in dem solche Gemeinschaften zu finden waren (Apg 9,2), und auch im weiteren Verlauf der Erzählung über die Christusbegegnung des Paulus nahe bei Damaskus werden Jesusanhängerinnen und -anhänger in dieser Stadt vorausgesetzt. Damaskus ist die Stadt, in der Paulus in den Glauben an den Messias Jesus eingeführt wurde, und von hier hat er zentrale Ideen für sein künftiges Wirken mit auf den Weg bekommen. Bereits hier wird er die Öffnung der Jesusgemeinschaft gegenüber Menschen nichtjüdischer |42| Herkunft hautnah erlebt haben, was für seine gesamte weitere Arbeit von prägender Bedeutung wurde.50

      Damit ist die Darstellung bei der Figur angelangt, die für die Ausbreitung der Christusbotschaft über Syrien hinaus von allergrösster Bedeutung war: Paulus aus Tarsus. Seiner Person, seiner Arbeit im Beziehungsgefüge der frühen Gemeinden und seiner Theologie ist das folgende Kapitel gewidmet.

      Zum Weiterlesen

      Ebner, Martin: Von den Anfängen bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts, in: Möller, Bernd (Hg.): Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Mittelalter, Darmstadt 2006, 15–42.

      Frankemölle, Hubert: Frühjudentum und Urchristentum. Vorgeschichte – Verlauf – Auswirkungen (4. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr.) (Studienbücher Theologie 5), Stuttgart u. a. 2006, 222–267.

      Schenke, Ludger: Die Urgemeinde. Geschichtliche und theologische Entwicklung, Stuttgart u. a. 1990.

      Vouga, François: Geschichte des frühen Christentums (UTB 1733), Tübingen 1994.

      Zeller, Dieter: Die Entstehung des Christentums, in: ders. (Hg.): Christentum I. Von den Anfängen bis zur Konstantinischen Wende (Die Religionen der Menschheit 28), Stuttgart u. a. 2002, 58–123.

      Конец

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