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dürfte, bemerkenswerterweise aber die Zwölf nicht nennt. Einige Traditionen von Erscheinungen |16| des Auferstandenen sind in Galiläa lokalisiert (Mk 16,7; Mt 28,16–20; Joh 21). Dies alles spricht dafür, dass massgebliche Jünger nach der Verhaftung oder spätestens nach dem Tod Jesu Jerusalem verlassen haben und nach Galiläa zurückgekehrt sind.

      Wir wissen heute, dass es nicht bei diesen Auflösungserscheinungen geblieben ist. Der Tod Jesu am Kreuz war nicht das Ende der Jesusbewegung. Die Anhängerinnen und Anhänger Jesu müssen vielmehr Erfahrungen gemacht haben, die sie zur Überzeugung brachten: Jesus aus Nazaret ist nicht im Tod geblieben, sondern Gott hat ihn auferweckt. Das bedeutete auch, dass all die Erfahrungen, die sie mit Jesus gemacht hatten, seine Worte, die sie überzeugt hatten, die Geschichten, die über ihn erzählt wurden, nicht hinfällig geworden waren, sondern ihre Überzeugungskraft behielten. Diese Erfahrungen machten aus der verstörten und verstreuten Gruppe der Jesusanhängerinnen und -anhänger eine kraftvolle Bewegung, die die Botschaft vom Gekreuzigten und von Gott Auferweckten in bemerkenswert kurzer Zeit über die Grenzen Judäas und Galiläas hinaus in weite Gebiete des Mittelmeerraumes verbreitete und rasch eine erstaunliche Zahl von Menschen für ihre Botschaft gewinnen konnte.

      Exkurs

      Menschen, die von Jesus in die Nachfolge gerufen wurden oder sich der Jesusbewegung angeschlossen haben, werden im Neuen Testament mit dem griechischen Wort mathetai bezeichnet. Es lässt sich verschieden übersetzen: als «Schüler, Schülerinnen» in Anlehnung an die rabbinische Tradition, als «Jünger, Jüngerinnen» nach gewohnterem kirchlichen Sprachgebrauch, als «Nachfolger, Nachfolgerinnen» oder auch «Anhänger, Anhängerinnen». Jedes deutsche Äquivalent macht jeweils andere Aspekte des griechischen Wortes sichtbar. Um einseitige Festlegungen zu vermeiden und den griechischen Begriff von möglichst vielen Seiten her zu beleuchten, verwenden wir in diesem Buch die genannten deutschen Übersetzungen nebeneinander. Wenn bisweilen von Freunden oder Freundinnen Jesu die Rede ist, ist dies vom Johannesevangelium inspiriert (Joh 15,15).

      Eine besondere Gruppe innerhalb der Jünger- bzw. Anhängerschaft Jesu ist der Zwölferkreis. Er wird vor allem im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte mit den Aposteln gleichgesetzt. In den paulinischen Briefen dagegen werden darüber hinaus noch andere Menschen wie Junia, Andronikus (Röm 16,7) oder Paulus als Apostel bezeichnet.

       |17| Erfahrungen, die alles verändern

      Als Auslöser für und treibende Kraft hinter dieser neuen und unerhörten Botschaft werden seit den ältesten neutestamentlichen Texten «Erscheinungen» des Auferstandenen vor einzelnen oder Gruppen seiner Anhängerinnen und Anhänger genannt. Schon das vermutlich älteste Glaubensbekenntnis des Neuen Testaments hält als Kern des christlichen Glaubens fest:

      «Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäss der Schrift, und ist begraben worden.

      Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäss der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf.» (1 Kor 15,3b–5)

      Das Bekenntnis ist zweigeteilt, signalisiert durch das zweimalige «gemäss der Schrift». Auf diese Weise wird einer Aussage über den Tod Jesu eine Aussage über seine Auferweckung an die Seite gestellt, und beides, Jesu Tod wie auch seine Auferweckung, wird als schriftgemäss qualifiziert. Jede der beiden Aussagen wird jeweils in einem zweiten Schritt nochmals bekräftigt: der Tod Jesu durch das Begräbnis, seine Auferweckung durch das Erscheinen.

      Letzteres ist bemerkenswert; denn es wird nicht auf eine mögliche Bestätigung der Auferweckung durch ein leeres Grab verwiesen, sondern auf Begegnungen verschiedener Personen mit dem von Gott Auferweckten, und das heisst: auf Erfahrungen dieser Menschen. Die Liste derer, denen eine solche Erscheinung des Auferstandenen zuteilwurde, wird im Anschluss an den wiedergegebenen Text noch fortgesetzt. Nach Petrus und dem Zwölferkreis wird eine Gruppe von 500 Glaubensgeschwistern genannt, sodann Jakobus sowie die Apostelinnen und Apostel. Schliesslich reiht sich Paulus selbst in die Liste dieser Auferstehungszeuginnen und -zeugen ein (1 Kor 15,6–8).

      Leider wird nicht konkretisiert, was sich genau hinter der Ausdrucksweise «er erschien» (wörtlich: «er liess sich sehen», «er zeigte sich») verbirgt. Darüber, was hier geschehen ist und welcher Art diese Erfahrungen waren, ist viel gerätselt und auch gestritten worden. Vorausgesetzt scheint eine visuelle |18| Erfahrung, eine wie auch immer zu fassende Vision und/oder Audition, die die Genannten als auf sie zukommend erfuhren und durch die sie zur Überzeugung kamen, dem auferweckten Jesus begegnet zu sein.

       Die Verkündigung des von Gott rehabilitierten Gekreuzigten

      Grundlage und theologischer Interpretationsrahmen dieser Überzeugung ist die jüdische Hoffnung auf die Auferweckung der Toten durch Gott, die sich, wie ausserbiblische und biblische jüdische Texte zeigen, im Ringen um Gottes Gerechtigkeit und Treue auf der Grundlage vielfältiger früherer Bilder und Aussagen der Hebräischen Bibel seit etwa 300 v. Chr. entwickelt hatte.2 Diese Hoffnung wurde zwar nicht von allen jüdischen Gruppierungen des ersten Jahrhunderts geteilt – so standen nach Ausweis der Quellen vor allem die Sadduzäer und die Samaritaner dieser theologischen Entwicklung ablehnend gegenüber –, doch hatte sie eine wichtige Basis bei den Pharisäern sowie bei den Qumran-Essenern.

      Im Horizont dieser Hoffnung, dass Gott seine Gerechten nicht im Grab lässt, sondern ihnen Gerechtigkeit schafft, konnte Jesus als ein solcher von Gott auferweckter Gerechter verstanden werden. Dies zeigt sich besonders deutlich in den ältesten Formeln, die den Osterglauben ins Wort brachten. Diese versprachlichen das Geschehen fast ausschliesslich als ein Handeln Gottes an Jesus in der Grundform: «Gott hat Jesus auferweckt» (z. B. Röm 10,9). Sprachlich kann dies auf verschiedene Weise variiert werden, zum Beispiel als partizipiale Gottesprädikation («der Jesus erweckende Gott», z. B. Röm 4,24) oder als passivische Formulierung («Jesus wurde [d. h. von Gott] erweckt», z. B. 1 Kor 15,4).

      Bemerkenswert ist nun, dass einige dieser alten Auferweckungsformeln behaupten, Gott habe Jesus «aus [den] Toten» – also aus einem Kollektiv – auferweckt (Röm 10,9), oder auch, Jesus sei der «Erstling der Entschlafenen» (1 Kor 15,20) |19| bzw. der «Erstgeborene aus den Toten» (Kol 1,18), dem – so die Logik dieser Aussagen – die anderen Toten folgen würden. Solche Aussagen deuten darauf hin, dass die neutestamentlichen Texte die Auferweckung Jesu im Horizont der frühjüdischen Hoffnungen als ein endzeitliches Geschehen interpretieren.3 Denn die Mehrheit der jüdischen Zeugnisse versteht die Totenauferweckung als ein Geschehen im Kontext des «Jüngsten Tages». Wenn die Freundinnen und Freunde Jesu nun behaupten, Jesus sei bereits auferweckt worden, deuten sie die Auferweckung Jesu als Teil dieser erwarteten und ersehnten endzeitlichen Ereignisse. Dies konnten sie gut mit der Reich-Gottes-Botschaft in Einklang bringen, die sie mit Jesus teilten. Jesus war davon überzeugt, dass Gott seine Herrschaft endgültig angetreten hatte und dass die Zeit erfüllt und qualifiziert war von Gottes Gegenwart. Dies hatte Jesus nicht nur in seinen Worten, sondern vor allem in immer neuen symbolischen Handlungen sichtbar und erfahrbar gemacht. Im Lichte dieser Reich-Gottes-Botschaft konnte nun die Auferweckung Jesu als entscheidende Etappe des grossen Umwälzungsprozesses der endgültigen Durchsetzung der Gottesherrschaft verstanden werden. Mit Jesu Tod war diese Reich-Gottes-Botschaft also keineswegs falsifiziert, sondern seine Auferweckung musste als eine Bestätigung dieser Botschaft und damit auch als eine Bestätigung und Rehabilitierung der Person Jesu selbst gesehen werden.

      Wenn sich auf diese Weise die Reich-Gottes-Botschaft verifizierte, erhielt damit auch die gesamte vorösterliche Reich-Gottes-Praxis, die aus dieser Kraft der Gegenwart der Gottesherrschaft lebte, eine Bestätigung. Das heisst wiederum: Sicherlich sind – neben dem Glauben an die Leben schaffende Macht Gottes – auch die ermutigenden, bewegenden und lebensvollen Erfahrungen, die die Jesusgruppe zu Lebzeiten Jesu gemacht hatte, eine nicht zu unterschätzende Basis für die Formulierung des Osterglaubens. Damit hat der Osterglaube eine bedeutende Wurzel in der überzeugenden Praxis Jesu selbst. Und es ist klar: Auf diesem von Jesus begonnenen Weg sollten seine Jüngerinnen und Freunde weitergehen.

      |20| Der Osterglaube, so wie er zuerst in der paulinischen Briefliteratur bezeugt ist, wird in den späteren

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