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die Jesusanhänger aus Galiläa im Zentrum des Interesses. Zu dieser galiläischen Gruppe gehörten neben dem Zwölferkreis und den genannten herausragenden Figuren noch weitere Personen, darunter so markante Jüngerinnen wie Maria aus Magdala.

      Es ist in Abschnitt 1.5.3 aber schon deutlich geworden, dass die Jerusalemer Jesusgemeinschaft nicht nur aus diesen Rückkehrern aus Galiläa bestand, sondern auch aus Jüdinnen und Juden, die aus der Diaspora stammten und sich in Jerusalem niedergelassen hatten. Als eine vorbildhafte Einzelfigur wurde bereits der aus Zypern stammende Josef mit dem Beinamen Barnabas genannt. Dieser spielte nach der Darstellung |34| des Lukas bei der gerechten Verteilung des Besitzes, wie sie in der Jerusalemer Gemeinde praktiziert wurde, eine rühmliche Rolle (Apg 4,36 f.).

      Diese verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Jesusgemeinschaft werden mit ihren Unterschieden besonders in Apg 6–8 sichtbar. Neben den Aramäisch sprechenden Jesusanhängerinnen und -anhängern aus Galiläa, die in Apg 6,1 «Hebräer» genannt werden, werden hier «Hellenisten» erwähnt, also Griechisch sprechende Mitglieder der Gemeinschaft. Meist werden diese als jene Jüdinnen und Juden näher identifiziert, die aus der Griechisch sprechenden Diaspora stammten, sich in Jerusalem niedergelassen hatten und dort mit der Botschaft vom Messias Jesus in Kontakt gekommen waren. Es ist aber auch denkbar, dass einige von ihnen aus Palästina stammten; denn auch hier war im Laufe der wechselvollen Geschichte unter verschiedenen Fremdherrschaften das Griechische in den städtischen Gebieten vor allem in der Verwaltung und im Handel zu einer verbreiteten Sprache geworden.33

      Dennoch: Einige Namen und Herkunftsbezeichnungen in der Apostelgeschichte zeigen, dass nicht wenige dieser «Hellenisten» aus der Diaspora stammten. Apg 6,9 nennt mit der Kyrenaika, mit Alexandria, Kilikien und der Provinz Asia einige Herkunftsgegenden dieser Jüdinnen und Juden. In Jerusalem hatten sie ihren religiösen Ort in den Diasporasynagogen, die religiöse und kulturelle Zentren für Jüdinnen und Juden aus bestimmten Regionen darstellten und zugleich als Gottesdienstraum, Schule und Herberge für Jerusalem-Wallfahrer dienten.34 Mit der so genannten Theodotus-Inschrift, einer Spenderinschrift für einen Synagogenneubau in Jerusalem, die wohl noch vor 70 n. Chr. zu datieren ist, ist auch ein archäologisches Zeugnis über eine solche Diasporasynagoge und ihre Funktionen erhalten:

      «Theodotus, (Sohn des) Vettenus, Priester und Synagogenvorsteher, Sohn eines Synagogenvorstehers, Enkel eines Synagogenvorstehers, baute die Synagoge zur Unterrichtung im Gesetz und zur Lehre der |35| Gebote sowie die Herberge und die Nebenräume und die Wasseranlagen zum Aufenthalt für die aus der Fremde, die (eine Herberge) benötigen; diese hatten gegründet seine Väter und die Ältesten und Simonides.»35

      Mit den verschiedenen Sprachen waren unterschiedliche soziale Milieus und kulturelle Prägungen verbunden. Da ist es kaum verwunderlich, dass es zwischen diesen Gruppen auch zu Konflikten kam. Die Apostelgeschichte erzählt von Differenzen anlässlich der Versorgung der Witwen des Griechisch sprechenden Gemeindeteils. Zwar gelten gemeinhin die Griechisch sprechenden Diasporajuden als der sozial bessergestellte Teil der Jesusanhängerschaft; doch sind es hier gerade die Witwen des Griechisch sprechenden Gemeindeteils, die bei der Versorgung zu kurz kamen. Mag sein, dass dies damit zusammenhängt, dass die Verteilung der Gelder dem Aramäisch sprechenden Gemeindeteil und speziell den Aposteln anvertraut war; denn nach Apg 4,37 und 5,2 wurde der Erlös aus den Verkäufen «den Aposteln zu Füssen gelegt».

      Anlässlich dieses Konflikts um die Versorgung der griechischen Witwen wird nach der Darstellung der Apostelgeschichte ein Siebenerkollegium der «Hellenisten» eingerichtet, das sich um die Versorgung der Witwen kümmern sollte:

      «In diesen Tagen, als die Zahl der Jüngerinnen und Jünger zunahm, begehrten die Hellenisten gegen die Hebräer auf, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden. Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jüngerinnen und Jünger zusammen und erklärten: ‹Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. Brüder und Schwestern, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.› Der Vorschlag fand den Beifall der ganzen Gemeinde, und sie wählten Stephanus, einen Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia. Sie liessen sie vor die Apostel hintreten, und diese beteten |36| und legten ihnen die Hände auf. Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jüngerinnen und Jünger in Jerusalem wurde immer grösser» (Apg 6,1–7).

      Allerdings tritt dieses Siebenerkollegium im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte gar nicht in dieser Funktion in Erscheinung. Vielmehr agieren prominente Mitglieder dieses Kreises wie Stephanus und Philippus als Verkündiger des Evangeliums und Wundertäter (Apg 6,8–15; 8,4–8.26–40). Ausserdem deutet einiges darauf hin, dass Stephanus und Philippus auch inhaltlich andere Akzente setzten als die Aramäisch sprechenden Gemeindemitglieder: Stephanus tritt massiv mit Kritik an Tempel und Tora auf – und erleidet dafür den Märtyrertod (Apg 6–7). Und Philippus ist mit der Taufe des gottesfürchtigen äthiopischen Kämmerers der erste im Erzählverlauf der Apostelgeschichte, der einen Nichtjuden in die Jesusgemeinschaft aufnimmt (Apg 8,26–40).

      Sozialgeschichtlich betrachtet scheint es also nicht nur um eine Funktionsteilung gegangen zu sein, bei der das Siebenerkollegium die caritativen Funktionen und der Zwölferkreis die Aufgaben der Verkündigung übernahm. Vielmehr werden unterschiedliche Gemeindeteile sichtbar, die unterschiedliche Leitungsstrukturen herausbildeten. Dabei fungierte der Siebenerkreis – analog zu den Leitungsstrukturen, die aus Diasporasynagogen bekannt sind – als Leitungsgremium des Griechisch sprechenden Gemeindeteils.36

      Die Bedeutung dieses Griechisch sprechenden Gemeindeteils für die weitere Entwicklung des «Christentums» kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.37 Nicht nur, dass die Begüterten unter ihnen zur Versorgung der gesamten Jerusalemer Jesusanhängerschaft entscheidend beitrugen und auch Versammlungsmöglichkeiten für den Aramäisch sprechenden Gemeindeteil zur Verfügung stellten. Sie entwickelten auch theologische und christologische Ansätze, die sich als anknüpfungsfähig für die Verkündigung der Christusbotschaft unter Nichtjuden erwiesen. Sie trugen entscheidend |37| zur Transformation der Christusbotschaft in griechisch geprägtes Denken bei.

      «Die hellenistischen Judenchristen sind sozusagen die Brücke zwischen Jesus und Paulus.»38

      Die frühe und schnelle Verbreitung der Christusbotschaft in verschiedene Städte Nordafrikas, Syriens, Kleinasiens, Griechenlands und bis hin nach Rom ist sicher zu einem guten Teil den Verbindungen dieser Diasporajuden in ihre Herkunftsstädte zu verdanken.

      Wenn die Apostelgeschichte in 8,1 von der Flucht der Gemeindemitglieder aus Jerusalem wegen einer Verfolgung nach der Ermordung des Stephanus erzählt – «mit Ausnahme der Apostel» –, dann sind hier vor allem diese Griechisch sprechenden Gemeindeteile und ihre Repräsentanten im Blick. Als Folge dieser Flucht beginnt die Apostelgeschichte im Anschluss von der Verbreitung des Christusglaubens auch ausserhalb von Judäa zu erzählen. Den ersten Schritt nach Samaria und sodann in die Küstenebene macht sie dabei bezeichnenderweise an Philippus fest, einem Mitglied des Siebenerkollegiums (Apg 8,4–40). Vermutlich haben die Mitglieder des Siebenerkreises nach dem einschneidenden Ereignis der Tötung des Stephanus die Stadt verlassen.39 Von nun an geraten mit Damaskus und Antiochia zwei bedeutende Städte ins Blickfeld des Interesses, in denen entscheidende Weichen für die weitere Entwicklung des Christusglaubens gestellt wurden.

       Samaria, Antiochia, Damaskus – Der Schritt zu «den Völkern»

      Kennzeichnend für die Ausbreitung der Christusbotschaft nach dem Martyrium des Stephanus ist nach dem Bild, das die Apostelgeschichte entwirft, die Aufnahme von Menschen nichtjüdischer Herkunft in die Gemeinschaft der Jesusnachfolge. Mit Samaria kommt zunächst ein aus Jerusalemer Perspektive nicht als «richtig» jüdisch anerkanntes Gebiet in den |38| Blick. Mit Philippus verkündet ein Mitglied des Siebenerkreises als erster in dieser Region (Apg 4,5–8). Nach Ausweis der Apostelgeschichte tat er dies mit einigem Erfolg. Es scheint, dass mit dem Christusglauben sich den Samaritanern eine Möglichkeit der gleichwertigen Zugehörigkeit zum Gottesvolk

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