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sind wir eine psychosomatische Einheit mit zwei Aspekten. Diese fundamentale Einheit in Verschiedenheit wird auch das Modell sein, das einer Alternative zugrunde liegen wird, die wir dann im achten Kapitel vorstellen. Diese Alternative, dass nämlich Geist und Materie sowohl ungeschieden als auch ungetrennt sind, ließe sich auch an den einfachen technischen Beispielen verdeutlichen, die oben erwähnt wurden. Nach Aristoteles haben auch technische Artefakte eine Form, also etwas Geistiges in sich, einfach deshalb, weil der Ingenieur bei ihrer Herstellung einen Zweck verfolgte. Zeitmessung, Musikübertragung, Informationsverarbeitung sind Zwecke, deren Verwirklichung der Ingenieur durch die spezifische Vernetzung der materiellen Teile realisiert. Da es sich bei diesen Zwecken um Ideen handelt, kommen sie weder in der Materie als gesonderte Einzelteile vor, noch existieren sie außerhalb. Sie sind ihre Form. Das Geistige ist kein Was, sondern ein Wodurch. Wir haben eine fatale Neigung, den Geist als ein Ding hinter den Dingen zu suchen, so wie Klopfgeister, die in einem verwunschenen Schloss nächstens spuken und wenn wir Gründe haben, solche Klopfgeister für Hirngespinste zu halten, dann schließen wir voreilig auf die Wahrheit des Materialismus. Aber der Geist ist kein Ding hinter den Dingen, sondern die Art der Dinge zu sein. Man sollte also verschiedene Seinsweisen zulassen. Ein Mensch ist auf eine andere Weise als ein Stein oder ein Tier und unsere Weltauffassung sollte daher pluralistisch und nicht einfach nur monistisch sein. Die Vielheit der Formen ist nicht wie eine Knetmasse, aus der das Kind spielerisch Gestalten erzeugt, um sie wieder zu zerstören, wobei die Knetmasse stets erhalten bleibt als eine allem zugrunde liegende Substanz. Die Identität der Dinge liegt nicht in ihrer Materie, sondern in ihrer Form und diese Formen liegen auf verschiedenem Niveau.

      Nun aber zurück zu den Beispielen: So wie Newton im praktischen Leben (gegen seine eigene Theorie!) annehmen musste, dass ein sich bewegender Körper ständig angetrieben werden muss, soll er nicht zum Stillstand kommen, so wie der Quantenphysiker vom substanziellen Charakter seiner Messinstrumente (oder seiner eigenen Person und seiner Kollegen) überzeugt ist, so unterstellt auch der Neurowissenschaftler in seiner praktischen Existenz Personalität, Vernunft und Freiheit bei sich selbst und auch bei allen Menschen, mit denen er verkehrt. Ohne diese Unterstellungen würde jede soziale Übereinkunft zerstört. Wir haben keine Vorstellung davon, wie ein Leben ohne solche fundamentale Unterstellungen funktionieren würde und wir haben auch keine Kunde von einer Epoche der Menschheit, wo es Derartiges noch nicht gegeben hat. Obwohl sich unsere Vorstellungen, was das Ich sei, welche Verhaltensweisen vernünftig oder moralisch sind, epochal und lokal gravierend verändern, bleibt doch ihr Dass erhalten. Dass wir Verantwortungssubjekte sind, kann füglich nicht bezweifelt werden. Doch was folgt aus all dem für das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Lebenswelt?

      Es folgt a), dass beide wie die unabhängigen Brennpunkte einer Ellipse sind, die diese Figur erst aufspannen und ermöglichen. Es folgt b), dass wir sowohl das in die Alltagssprache als auch die Wissenschaft eingebaute Wirklichkeitsverständnis ganz ernst nehmen sollten. Aber dann ergibt sich sofort ein Problem: Was, wenn sich diese Wirklichkeitsverständnisse ernstlich widersprechen oder wenn ihr Zusammenhang nicht ersichtlich ist? Wir leben ja doch in einer Welt und das Wort Realität existiert ernstlich nicht im Plural, so wie es keine verschiedenen Universen gibt, sondern nur das eine Universum, in dem wir leben. Für dieses drängende Problem einer Einheit der Realität gibt es womöglich keine glatte Lösung, aber vielleicht eine pragmatische Strategie des Umgangs: Wir können es uns nämlich eher leisten auf eine bestimmte wissenschaftliche Doktrin zu verzichten als auf unsere grundlegenden praktischen Intuitionen, vor allem, weil es sich bei diesen Doktrinen oft nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse als solche handelt, sondern um deren weltanschauliche Interpretation. Was würde sich denn an Singers oder an Roths Wissenschaft ändern, wenn sie das materialistische Vorurteil aufgäben, das Ich sei im Gehirn lokalisiert? Müssten sie dann auf irgendeines ihrer Experimente verzichten oder würde sich dann nicht einfach nur der Geltungsanspruch ihrer Theorien verändern, sie selbst aber nicht?

      Oft wird nicht zwischen einer gesicherten Theorie und ihrem Geltungsanspruch unterschieden. Aber beide sind logisch unabhängig voneinander. Wenn der Physiker eine „Great Unified Theory“ entwickelt, die in einem Formalismus alle vier Grundkräfte der Materie enthält, so kann er diese Theorie als eine „Theory of Everything“ interpretieren, mit dem Anspruch, alles zu erklären, was es auf der Welt gibt, vom Atom bis zur Trinität. In diesem Sinn hat sich z. B. der Physiker Steven Weinberg geäußert, der glaubte, er könne mit seiner Wissenschaft auch gleich noch die Biologie miterklären. Oder aber der entsprechende Physiker könnte auch den bescheideneren Anspruch mit seinen Formeln verbinden, lediglich die Kräfte der Materie zu berechnen, aber z. B. keine Aussagen über Lebendiges oder über den Menschen zu machen. So hat Werner Heisenberg seine Physik verstanden, obwohl er einer der Ersten war, der eine Weltformel an die Tafel schrieb. Die Formeln, die Heisenberg an die Tafel schreibt, könnten im Grenzfall genau dieselben sein, die Weinberg anschreibt, aber der damit verbundene Geltungsanspruch könnte dennoch radikal verschieden sein.

      Diese Differenz betrifft alle Wissenschaften. Ich kann als Biologe den Anspruch stellen, die Eigenschaften aller Lebewesen unter Einschluss des Menschen erklärt zu haben. Oder ich kann gewisse Kulturleistungen, wie z. B. seine Moralität, davon ausnehmen. Die zugrundeliegende Biologie ändert sich dadurch nicht. Wenn also Konflikte zwischen Wissenschaft und Lebenswelt entstehen, dann ist man oft in der Lage, sie durch Überprüfung der Geltungsansprüche zu entschärfen. Ansonsten ist von einem Primat der Lebenswelt vor der Wissenschaft auszugehen. Die Menschheit hat lange ohne Wissenschaft im Sinn der Neuzeit gelebt, aber niemals ohne praktische Maximen oder ohne die Betroffenenperspektive. Und dann ist die Wissenschaft selbst von unseren praktischen Einstellungen substanziell abhängig. So schreibt uns z. B. die Natur nicht vor, welche Phänomene wir interessant oder forschungswürdig finden sollten. Wir legen die Richtung der Forschung fest, nicht die Objekte in Raum und Zeit! Theorie hängt entscheidend von Praxis ab, aber ohne in ihr aufzugehen. Diese etwas vertrackte Überblendung von Theorie und Praxis, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen wird, steht allerdings bisher nicht im Focus des wissenschaftstheoretischen Interesses. Tatsächlich findet man dort so gut wie nichts zu dieser ganz entscheidenden Frage. Dies könnte ein gravierender Einwand gegen die hier vertretene Position sein: Wissenschaftstheorie in unserem Sinn gibt es seit rund 100 Jahren, also seit dem Wiener Kreis. Seither ist eine Menge Scharfsinn darauf verwendet worden, zu bestimmen, was eigentlich Wissenschaft sei z. B. im Unterschied zu Religion und Mythologie oder um zu verdeutlichen, welche logische Struktur wissenschaftliche Erklärungen haben sollten, auf welche Ontologie mich ein wissenschaftliches Modell verpflichtet usw. Es könnte vielleicht misstrauisch stimmen, dass in einer so mächtigen Tradition das hier verhandelte Problem praktisch ausfällt, aber der Sachverhalt klärt sich leicht.

      Wissenschaftstheorie zerfällt nämlich, grob gesprochen, in zwei Arten, die genau dem Gegensatz zwischen Wissenschaft und Lebenswelt entsprechen. Die Mehrheit der Wissenschaftstheoretiker geht davon aus, dass Wissenschaft das wahre Wesen der Dinge erforscht. Der mainstream der Wissenschaftstheorie beschränkt sich eben nicht darauf, die logische Struktur wissenschaftlicher Erklärungen zu untersuchen, deren ontologische Verpflichtungen aufzuklären oder den Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion herauszuarbeiten. Wissenschaftstheorie versteht sich seit dem Wiener Kreis vielmehr gerne als normativ in dem Sinn, dass sie darstellen kann, wie Rationalität auszusehen habe und zwar nicht nur die Rationalität der Physik, Chemie, oder Biologie, sondern Rationalität schlechthin. Die Intuition, die dahinter steckt, hängt mit der negativen Erfahrung zusammen, die man mit der spekulativen Philosophie namentlich des Deutschen Idealismus gemacht hatte. Es war besonders der Hegel’sche Idealismus, der den Eindruck hinterließ, man sei mit den empirischen Wissenschaften besser bedient als mit einer spekulativen Metaphysik. Dass es so einfach nicht ist, wird sich im Hegelkapitel des vorliegenden Buches zeigen. Aber zunächst einmal war dies die sehr verständliche Reaktion. Empirie statt Spekulation, Logik statt Dialektik, ein aufs Endliche gerichteter Verstand statt einer aufs Absolute gerichteten Vernunft, Analyse statt Synthese, kontrollierbares Experiment statt ausschweifender Phantasie usw.

      Fasst man die Wissenschaftstheorie normativ in diesem Sinn, dann kann sie kein Interesse an pragmatischen Relativierungen haben, und in der Tat lässt sich beobachten, dass sich die Wissenschaftstheorie in ihrer Geschichte nach Kräften gegen die Pragmatik wehrte und sie nur ganz kontrolliert zuließ, und zwar dann,

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