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Halbierte Wirklichkeit. Hans-Dieter Mutschler
Читать онлайн.Название Halbierte Wirklichkeit
Год выпуска 0
isbn 9783766642271
Автор произведения Hans-Dieter Mutschler
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Hans-Dieter Mutschler
Halbierte Wirklichkeit
Hans-Dieter Mutschler
Halbierte Wirklichkeit
Warum der Materialismus die Welt nicht erklärt
Butzon & Bercker
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de
ISBN 978-3-7666-1721-7
E-Book ISBN 978-3-7666-4226-4
E-Pub ISBN 978-3-7666-4227-1
© 2014 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Christoph M. Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Printed in Germany
Inhalt
2. Wissenschaft und Lebenswelt
3. Die drei Säulen des Materialismus
3.3 Das Prinzip der kausalen Geschlossenheit der Welt
4. Das Neue in der Welt: Emergenz
6. Spiritualistisches und materialistisches Einheitsdenken
7. Die Selbstaufhebung des monistischen Materialismus
1. Einleitung
Weltanschauungen kommen und gehen. Noch vor 300 Jahren waren bei uns Atheisten ärgerliche Ausnahmeerscheinungen in einem Umfeld, das im Wesentlichen durch das Christentum geprägt war. Inzwischen ist es, jedenfalls in Intellektuellenkreisen, gerade umgekehrt. Wer sich in diesen Kreisen zum Christentum bekennt, wird belächelt als jemand, der den Fortschritt noch nicht zur Kenntnis genommen hat. „Glaubst Du noch, oder denkst du schon?“ heißt der Slogan der sogenannten „Neuen Atheisten“, die ihre Überzeugungen aus der Naturwissenschaft ableiten oder abgeleitet zu haben vorgeben und die heute zumeist das Sagen haben.
Vor 200 Jahren hingegen war in Deutschland, jedenfalls in den besseren Kreisen, der Hegelianismus Mode. Man glaubte an den Fortschritt zum je Besseren, weil nämlich der Weltgeist alles auf ein gutes Ziel hin ausrichten würde. Natur und Geschichte waren gleichermaßen dafür da, den Weltgeist zur Erscheinung zu bringen und alles und jedes würde immer nur besser werden, zwar auf einem etwas mühsamen, aber letztlich dennoch erfolgreichen Weg. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben uns diesen optimistischen Fortschrittsglauben ausgetrieben, nicht aber einen eher diesseitigen Glauben an die segensreiche Wirkung von Wissenschaft und Technik, die jetzt zum Garanten des Fortschritts wurden. Karl Popper war davon überzeugt, dass unsere Zeit „die beste aller Zeiten ist, von der wir Kenntnis haben.“1 Hat Popper noch nie etwas von Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Hochrüstung, den Atomwaffen, von Auschwitz oder vom Archipel Gulag gehört?
Es sieht so aus, als hätten wir ein unstillbares Verlangen nach Stimmigkeit, nach einer Insel des Glücks, die nicht von Korruption und Verfall bedroht wäre. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine ganz reale Sehnsucht nach solchen Inseln und nicht nur Paul Gauguin machte sich auf nach Tahiti, um sein Glück zu finden. Die meisten dieser Abenteurer endeten jämmerlich in ihren vorgeblichen Paradiesen, so wie im großen Stil der Weltgeschichte die Sehnsucht nach einem marxistischen Reich der Freiheit im stalinistischen Terror endete.
Der postmoderne Philosoph Jean-François Lyotard sprach daher vom „Ende der großen Erzählungen“ und brachte damit eine Intuition zum Ausdruck, die viele Zeitgenossen mit ihm teilen, dass nämlich all dieses umfassende Streben nach Stimmigkeit, Glück und Einheit gescheitert sei, so dass wir uns mit dem kleinen Glück und mit partikulären Sinnressourcen zufrieden geben sollten, letztlich ein Rückzug ins gemüthaft Private des Biedermeier. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Menschen an diesen gut gemeinten Ratschlag halten werden. Die Sehnsucht nach dem Ganzen, Umfassenden, nach unwiderruflicher Erfüllung, ist dem Menschen ins Herz geschrieben und weil diese Sehnsucht notwendigerweise auch eine soziale Komponente hat, wird niemals der Fall eintreten, dass die Gesellschaft auf solche Großerzählungen verzichten wird.
Es ist ja auch nicht wahr, dass sie verschwunden sind. Obwohl wir eine enorme Pluralität von Wissenschaften haben, mit ihren je eigenen Methoden und Gegenstandsbereichen, gibt es doch die verbreitete Rede von der Wissenschaft im Singular, von der man mit Karl Popper erwartet, dass sie unser gesamtes Weltverhalten auf eine rationalere Basis stellen werde. Und selbst postmoderne Philosophen wie Richard Rorty haben sich diesem Glauben verschrieben, obwohl Rorty doch sonst an allem zweifelt, was in Richtung umfassender Vernunft geht. Nach Rortys Überzeugung haben sich insbesondere die Naturwissenschaftler als „hervorstechende Musterbeispiele für bestimmte moralische Tugenden“ erwiesen und ihr Anspruch, vom Atom bis zum menschlichen Geist alles zu erklären, begrüßt Rorty als einen wahren Fortschritt.2 Auch hier fragt man sich verblüfft, ob dieser Philosoph niemals zur Kenntnis genommen hat, mit welchem Feuereifer und mit wie wenig moralischen Skrupeln die besten Physiker auf der Welt dazu beigetragen haben, die erste Atombombe zu bauen und man fragt weiter, wie es sein kann, dass Rorty an allem zweifelt, nicht aber am Totalerklärungsanspruch der Naturwissenschaft. Wir haben also den charakteristischen Sachverhalt, dass ein postmoderner Philosoph, der ansonsten alles in Frage stellt, an der Illusion einer heilen Welt der Wissenschaft festhält und dass er ihr die privilegierte Möglichkeit zuspricht, das wahre Wesen der Dinge zu erkennen, eine Möglichkeit, die Rorty doch ansonsten der menschlichen Vernunft vehement abgesprochen hatte. Dieser schroffe Widerspruch wird im Wesentlichen das Thema des vorliegenden Buches sein, nämlich der ideologische Missbrauch der Naturwissenschaften zu Zwecken des materialistischen Monismus, der sich auf diese Art seriös gibt.
Einer meiner Freunde versichert ständig, Atheist zu sein, begeistert sich aber recht zeitaufwändig für nichts als Barockkirchen, sodass er letztendlich viel mehr Zeit in den Kirchen verbringt als jeder Gläubige sonst. Es scheint also, dass der Mensch an etwas glauben