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Krieg zwischen einer Partei, die nicht beweisen kann, dass es etwas gibt, und einer, die nicht beweisen kann, dass es etwas nicht gibt. Was für eine Sinnlosigkeit! Wenn du mich fragst, haben die Cairaner recht daran getan, uns zu stoppen und die öffentliche Glaubensausübung in die Götterhaine zu verbannen.«

      »Aber was würden die Götter antworten, wenn ich sie fragte?«

      Das Gespräch war noch einige Zeit so weitergegangen, und am Ende war Ologbon zu der Erkenntnis gelangt: »Die Cairaner haben unseren Glauben zu einem langsamen Tod durch allmähliches Vergessen verurteilt. Die Götter jedoch existieren weiter.«

      Zumindest bei der ersten Aussage stimmte Ofilor zu. Die zweite hingegen hielt er für lächerlich.

      Und trotzdem besuchst du den Götterhain aus einem anderen Grund als bisher.

      Mit den Riechlappen fächelte er sich Luft in den Riechspalt, genoss die Aromen und hoffte, dass die Ruhe des Hains auf ihn übergreifen würde. Denn nur ein ruhiger Geist war ein offener Geist, und nur ein offener Geist strahlte.

      Doch wie sollte man zu sich selbst finden, wenn einem die Gedanken mit der Kraft eines Sturms durch den Kopf fegten?

      Vor ihm öffnete sich die Lichtung. Da stand es, inmitten einer blütenübersäten Wiese, umgeben von roten, violetten, gelben und blauen Farbtupfen: das Tolno-Mal. Eine lichte Säule aus sich umschlingenden Zweigen, so hoch, dass Ofilor das obere Ende selbst dann nicht berühren könnte, wenn er sich aufstellte.

      Das Sonnenlicht brachte das silbrig weiße Holz zum Funkeln und vermittelte den Eindruck ständiger Bewegung – die künstlerische vergrößerte Nachbildung einer Tolnotenkolonie.

      Ofilor blieb davor stehen, zögerte kurz und ließ sich schließlich auf den abgeknickten Hinterläufen nieder. Seine Zupflippe zitterte. Er wusste nicht, wie er beginnen sollte.

      »Ehre sei dir, Tolno, Schwester von Olno, Tochter des Olu, Schöpferin und Schutzpatronin der Tolnoten.«

      Er kam sich fürchterlich albern vor bei diesen schwülstigen Worten. Aber was sollte er sonst sagen? Ihm fehlte jede Erfahrung, wie man mit den Göttern sprach. Freilich besuchte er den Hain regelmäßig, allerdings nur, um dem Trubel der Stadt und den geringschätzigen, spöttischen Blicken der Erwachsenen zu entkommen. Und selbstverständlich, weil es sein Vater von ihm erwartete.

      Bisher war er selbst nie in der Absicht an diesen Ort gekommen, um Zwiesprache mit einem Phantasiewesen zu halten. Wozu auch?

      Dass er es an diesem Tag zu tun gedachte, lag nicht etwa daran, dass er seine Meinung geändert und plötzlich zum Götterglauben gefunden hätte. Vielmehr wollte er in seiner Verzweiflung keine noch so lächerliche Chance ungenutzt lassen. Falls sein Vater recht hatte und es die Götter tatsächlich gab, ließen sie sich vielleicht erweichen.

      Allerdings solltest du von ihnen dann nicht als Phantasiewesen denken.

      »Ich weiß, dass es dir vermessen erscheinen muss, wenn ich dich um etwas bitte. Ich, der sich noch nie an dich, deine Geschwister oder euren Elter gewandt hat.« Er lachte auf. »Ich, der nicht einmal an euch glaubt, um ehrlich zu sein. Aber falls es euch doch gibt und du es mir beweisen und einen Gefallen tun könntest, dann ...«

      Er stockte. Der Rest seines Satzes hätte zu sehr nach Erpressung geklungen. Außerdem bezweifelte er, dass es eine wirkliche Göttin nötig hätte, Zeichen ihrer Existenz zu schicken.

      »Egal. Mein Name ist Ofilor, Sohn von Ologbon, der mit Inbrunst an euch glaubt. Im Rahmen des von den Cairanern Erlaubten, versteht sich. Und ich ...«

      Zwischen den Bäumen knackte es. Ofilor erhob sich hektisch auf alle viere und blickte sich auf der Lichtung um: Silberbäume, dichte Büsche, der Pfad, auf dem er gekommen war ... mehr sah er nicht.

      Mach dich nicht lächerlich, dachte er. Der Hain ist voller Geräusche. Wo es knarrt, kann es auch knacken. Niemand verirrt sich hierher. Du bist allein. Also bring es hinter dich!

      Trotzdem kam er sich beobachtet vor. Vermutlich lag das aber nur daran, dass es ihm peinlich war, eine Göttin um Beistand zu bitten, und dass er fürchtete, jemand könnte etwas davon mitbekommen. Sein Bobla zum Beispiel, der überraschend früh von der Handelsmission zurückgekehrt war.

      Oder seine Mutter, die sich fragte, wohin ihr Sohn wieder einmal unterwegs war.

      Oder – nicht auszudenken! – Osgu und seine Gefolgschaft. Osgu, mit dem er jahrelang wie mit einem Bruder verbunden gewesen war, mit dem er in den Sumpfigen Gründen gespielt und sich vorgestellt hatte, wie es wäre, erwachsen zu sein und fremde Planeten zu erforschen. Osgu, von dem er gedacht hatte, nichts könnte sie trennen, bis ...

      Nein, Ofilor wollte nicht daran denken.

      Er drehte sich zurück zu dem Tolno-Mal.

      »Ich bin fast dreizehn Jahre alt. Alle meine Freunde – oder sollte ich sagen: ehemaligen Freunde? – haben ihre Initialkopplung bereits hinter sich. Manche schon seit vier Jahren.«

      Er sank erneut auf die Hinterläufe, hob die Arme und betrachtete die Fußhände, die drei kurzen, klobigen Finger jeder Hand, diese schlichten, groben, kraftvollen und für feine Bewegungen völlig ungeeigneten Glieder.

      »Sie alle tragen Tolnoten, verstehst du? Nur ich ... ich habe bisher keine Kolonie gefunden, die mich akzeptiert. Sechsmal habe ich die Kontaktgärten besucht. Sechsmal habe ich sie als Kind betreten und als Kind wieder verlassen. Die anderen lachen mich deswegen aus!«

      Wut und Verzweiflung stiegen in ihm auf, wie so oft in der letzten Zeit. Er fühlte, wie der Riechspalt austrocknete und schmerzte. Hastig schaufelte er mit den Hautlappen Luft hinein. Es half nicht.

      »Ich will keiner von diesen Sonderlingen werden, die ohne Symbionten in irgendwelchen Siedlungen hausen wie die Aussätzigen und sich einreden, sie täten es freiwillig. Ich will auch keine Prothesen tragen. Ich will einfach nur ein ganz normaler Olubfaner sein. Ist das denn zu viel verlangt?«

      Ofilor starrte das Tolno-Mal an, als könnte er es so dazu zwingen, ihm zu antworten oder ein Zeichen zu geben. Aber die verschlungenen Äste schwiegen. Natürlich.

      »Entschuldige, wenn ich aufgebracht klinge«, fügte er leiser und mit bebender Zupflippe hinzu. »Aber ich dachte mir ... nun ja, du bist die Schöpferin der Tolnoten, ihre Schutzpatronin, und falls es dich wirklich gibt, könntest du mir vielleicht helfen, eine ...«

      Erneut brach er den Satz ab. Wie niedergeschlagen musste man sein, um sich von einem Astgewirr Hilfe zu versprechen?

      »Ich bezweifle, dass das etwas bringt«, sagte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihm.

      *

      Ofilor fuhr hoch und schnellte herum. Er hatte sich also doch nicht geirrt, als er das Knacken vernommen hatte.

      Vor ihm stand Osgu. Ausgerechnet er.

      Er hatte sich auf die Hinterbeine erhoben, ragte in voller Höhe vor Ofilor auf und ließ einen feinen Zweig zwischen den Fingern hin und her tanzen. Eine überflüssige Geste, zu nichts weiter gut, als seine Überlegenheit zu unterstreichen. Denn selbstverständlich bewegten nicht seine Finger den filigranen Zweig – dazu wären sie viel zu klobig –, sondern die Tolnoten in den Handflächen.

      Osgu war der erste von Ofilors Freunden, dem die Initialkopplung gelungen war. Gleich beim ersten Versuch, worauf er sich seitdem außerordentlich viel einbildete. In der Folge hatte er sich verändert, war zu einem überheblichen Aufschneider geworden, mit dem sich Ofilor immer öfter gestritten hatte, bis es schließlich zum Bruch gekommen war.

      »Wen haben wir denn hier?«, fragte Osgu. »Wenn das mal nicht der zurückgebliebene Ofilor ist. Schleicht sich in den Götterhain und fleht Tolno an. Hätte nicht geglaubt, dass du eines Tages so tief sinkst.«

      Das sagst ausgerechnet du! »Bist du mir nachgeschlichen?«

      »Ach was! Ich habe hier gewartet, ob sich so kurz vor der nächsten Kopplungszeremonie ein Verzweifelter einfindet. Mit dir habe ich allerdings nicht gerechnet.«

      Ofilor

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