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psychisches Problem?«, fragte Cyprian verwundert.

      »Die Spand'sche Krankheit, wie ich es in aller Bescheidenheit nenne, lässt sich – wenn ich die bislang mangelhaften Fakten extrapoliere – auf eine fatale Wechselwirkung zwischen Physis und Psyche zurückführen. Ob es speziell mit seiner ÜBSEF-Konstante zusammenhängt, also mit den Eigenarten genau seines Bewusstseins ... das ist die Frage, die mich interessiert.« Der Ara atmete geräuschvoll durch. »Vom Überleben meines Patienten natürlich abgesehen, das an erster Stelle der Prioritäten steht.« Er zwinkerte Giuna zu. »Paragraph zwölf.«

      Sie fand es nicht sonderlich lustig. »Wenn ich dich richtig verstehe, könnte Lanko ein Einzelfall sein – oder ein solches Koma droht allen, die aus der Wirkung eines Vital-Suppressors befreit werden.«

      »So sieht es aus.« Doktor Spand widmete sich mit Hingabe der filigranen Figur eines spindeldürren Wesens in seinem Sammlerregal. Er fischte mit spitzen Fingern eine Staubfluse von den ausgebreiteten Flügeln, die durchsichtig glänzten wie Glas. »Und diese Frage ist entscheidend wichtig für den NDE. Denn was nützt ein potenzieller Zugriff auf eine Ausweglose Straße oder die Befreiung einer Welt, die unter einem Vital-Suppressor leidet, wenn anschließend alle Befreiten ins Koma fallen?«

      So schrecklich diese Vorstellung war, so sehr erleichterte sie Giuna auch. Ein besseres Argument, das Risiko einer Rückkehr zur Ausweglosen Straße zu rechtfertigen, hätte sie sich niemals überlegen können.

      Das sah Cyprian Okri offenbar genauso, denn er ließ sich davon sofort überzeugen. »Wir werden gehen«, sagte er. »Da sich Giuna bestimmt nicht abwimmeln lässt ...«

      »Was denkst du denn!«

      »... wird es ein Einsatz mit fünf Personen«, beendete Cyprian seinen Satz in aller Seelenruhe.

      Doktor Spand streckte die Hand aus und zählte mit den Fingern mit: »Kommandant Kondayk-A1. – Deine Wenigkeit, Cyprian Okri. – Unsere gute Giuna Linh. – Mein Patient Lanko Wor.« Er blickte vielsagend auf den noch eingeknickten Daumen. »Wer fehlt in dieser Aufzählung?«

      »Du«, stellte Cyprian klar. »Oder willst du dir entgehen lassen, die Auswirkungen auf das einzige Studienobjekt in Sachen Spand'sche Krankheit vor Ort zu beobachten?«

      »Ich bin hin- und hergerissen«, sagte der Ara. »Zwischen medizinischer Forschung und dem Wunsch zu überleben.«

      »Die Forschung hat hiermit gewonnen«, entschied Cyprian, drehte sich um und ging Richtung Ausgang. »Befehl von ganz oben«, ergänzte er, ohne sich umzudrehen.

      »Du kannst mir nichts befehlen! Ich gehöre nicht zum NDE.«

      »Aber zum Widerstand gegen die Cairaner.«

      »Das wusste ich noch gar nicht.«

      Die Tür schloss sich hinter Cyprian.

      »So was«, sagte Doktor Spand.

      Giuna versuchte ein Grinsen. »Steht vielleicht auch in deinem Vertrag.«

      *

      Giuna fühlte eine unbestimmbare Ruhe in sich, als das Beiboot aus der TREU & GLAUBEN ausschleuste.

      Doktor Spand hatte eine Autonome Medokapsel an Lankos Bedürfnisse angepasst, ein Modell, das auch für die Rettung von Schiffbrüchigen aus dem Weltall genutzt wurde.

      Lanko lag in dem medizinischen Hightech-Gerät, und Giuna versuchte verzweifelt, sich von der unpassenden Assoziation, die sich ihr immer wieder aufdrängte, nicht überwältigen zu lassen: Er liegt aufgebahrt in einem gläsernen Sarg.

      Sie war mit ihm allein in einem engen Laderaum des Beiboots. Es gehörte zu den kleinsten, in die sie sich zu fünft samt zweier Kampfroboter hineinquetschen konnten. Sie trugen SERUNS – sogar Lanko war mit einem dieser Schutzanzüge ausgerüstet, denn falls er tatsächlich erwachte, würde er die Medokapsel verlassen.

      Die medizinische Einheit erinnerte an eine waagrecht liegende Linse, die mit ihrem Durchmesser von drei Metern den Raum nahezu völlig ausfüllte. Nur ein Schott trennte diesen Laderaum vom freien All, in das die Kapsel in Kürze starten sollte, wenn alles nach Plan lief.

      Theoretisch konnte die Autonome Medokapsel drei Verletzte aufnehmen, die entweder saßen oder lagen. Den Zugang bildete eine seitliche Flügeltür. Im Sockelbereich unter dem Patientenraum versammelten sich Energiespeicher, Generatoren, Projektoren, medizinische Apparaturen jeder nur denkbaren Art ... und diverses Zusatzmaterial, von einem Techniker der TREU & GLAUBEN speziell für diesen Einsatz hinzugefügt.

      Der kleine, aber leistungsstarke Impulsantrieb sowie die HÜ-Schirmprojektoren der Einheit waren verstärkt worden.

      Wenn alles gut ging, wollten sie mit der Kapsel von der Ausweglosen Straße fliehen, indem sie sich zu fünft hineinquetschten und starteten. Gleichzeitig sollten die beiden Roboter in Kamikazemanier ein Loch in die transparente Umhüllung der Strafanstalt sprengen, durch das die Kapsel anschließend hindurchjagte, ehe die Schutzsysteme griffen und die Flucht verhinderten – eine genau getaktete Aktion. Im All würden sie die Medoeinheit vernichten, damit ihren Tod simulieren und in den SERUNS weiterfliegen. Dabei sollte ein vorbereitetes Notsignal abgehen, sodass ein weiteres Beiboot der TREU & GLAUBEN die fünf Flüchtlinge aufnehmen konnte.

      So lautete der Plan, der darauf fußte, dass sie diverse Technologien nutzten ... was den Gefangenen unmöglich war. Für sie blieb die Ausweglose Straße weiterhin absolut ausbruchsicher, und das verleitete die Cairaner hoffentlich selbst nach Lanko Wors Befreiung zu einer gewissen Nachlässigkeit. Das hofften Kondayk-A1 und Cyprian Okri zumindest, die diese Strategie entwickelt hatten.

      Wie die Praxis aussah, musste sich zeigen. Giuna zweifelte nicht daran, dass sie früher oder später gezwungen sein würden, zu improvisieren, um irgendwie zu überleben und zu entkommen.

      Wäre es nicht eine Ironie sondergleichen, wenn sie am Ende alle in dem cairanischen Straflager festsäßen?

      Ohnehin galt es zunächst einmal, in die Ausweglose Straße einzudringen. Das konnte diesmal nicht mithilfe eines gekaperten Transmitters geschehen, wie bei ihrem ersten Vorstoß – kein Zweifel, dass die Cairaner diese Zugangsstationen inzwischen besser bewachten.

      Deshalb flogen sie momentan in diesem Beiboot in Richtung der Ausweglosen Straße.

      Eine knappe Stunde Flugzeit lag noch vor ihnen. Das hieß, Giuna blieb nur wenig Ruhe, bis sie sich sammelten und alles ein letztes Mal durchsprachen. Sie legte die Hand auf die gläserne Hülle der Autonomen Medokapsel.

      Ungefähr ein halber Meter trennte sie von ihrem Mann. Fünfzig Zentimeter ... und ein Koma, hervorgerufen von der Spand'schen Krankheit, an deren Existenz sie keine Sekunde mehr zweifelte.

      »Wir holen dich zurück, Lanko«, sagte sie. »Gleich geht's los. Es ist sogar aufregender als zu unseren besten Zeiten, während wir uns durchs Leben gemogelt haben.«

      Bei den Erinnerungen, die bei diesen Worten in ihr aufstiegen, lächelte sie.

      Etwa, als er zum ersten Mal seine Fähigkeiten als Positroniker rücksichtslos zu ihrem eigenen Vorteil eingesetzt und ihnen unter falscher Identität eine Passage über insgesamt neunzehn akonische Etappentransmitter verschafft hatte. Das terranische Pärchen, das wenig später feststellen musste, dass es die gebuchte und bezahlte Reise nicht antreten konnte, tat ihr zwar leid ...

      ... aber für Lanko und Giuna war diese Aktion ein Neuanfang gewesen.

      Du bist jetzt mit einem waschechten Posizider zusammen, hatte er gesagt und sie angegrinst, auf seine schelmische Art.

      Wenn man der verworrenen Datenlage nach der Datensintflut Glauben schenken wollte, stammte der Begriff aus dem frühen 17. Jahrhundert NGZ, war zuerst bei den Blues aufgetaucht und beschrieb jemanden, der sich zu fremden Positroniken Zugang verschaffte und sie eigennützig manipulierte.

      Die Bezeichnung gefiel Giuna, weil sie ihr irgendwie charmant vorkam – wahrscheinlich nur dank der Assoziation mit Lanko. Jedenfalls hatte sie damals mit einem Kriminelle unter sich gekontert und ihn geküsst.

      Die

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