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war überall im Überfluss vorhanden. Dafür waren die meisten anderen Rohstoffe rar, der Boden karg, Wasser in viel zu geringem Ausmaß vorhanden.

      »Du bist spät dran«, sagte Sisual Okeno und reichte ihr eine Tasse mit Heißkräutersud. »Hat aber keiner bemerkt.«

      »Außer dir. Ich ... wurde aufgehalten.« Sie nahm einen Schluck von dem widerlichen Gebräu. Immerhin: Es wärmte den Magen.

      Dann stutzte Climba. Niemand hatte ihre Verspätung bemerkt? Und was war das für ein seltsamer Glanz in Sisuals Augen? So kannte sie den dürren, leicht krummen Mann gar nicht.

      »Rück schon raus, bevor du platzt«, sagte sie leise.

      »Wir haben Relikte entdeckt. Bei der Fundamentlegung eines Höhen-Bauernhofs.«

      »Das ist alles?«

      »Eben nicht. Ein Arbeiter hat etwas beschrieben, das wie eine uralte Gebäudestruktur aussieht. Eine, die wir kennen.«

      »Ein ... ein Observatorium?!«

      »Nicht so laut!« Okeno zog sie in eine Ecke, die geschützt war. Niemand außer ihnen beiden wusste davon, dass man sich dort ungestört unterhalten konnte.

      Nachdem Okeno sich nach allen Seiten umgesehen hatte, fuhr er fort: »Ja. Vermutlich ein Observatorium. Das vierte in Honams Verborgenheit. Wenn ich den Worten meines Verbindungsmanns trauen kann, ist es verkapselt und äußerlich in gutem Zustand.«

      Ossy-Benk erlaubte sich noch immer nicht, sich zu freuen. »Was wurde an die Meldestelle weitergegeben? Wer weiß Bescheid?«

      »Niemand außer dir, mir und meinem Kontaktmann. Er ist ein einfacher Arbeiter. Ich kenne ihn von früheren Begegnungen. Seine Kollegen wissen den Fund nicht richtig einzuschätzen. Ihm ist es gelungen, eine vorläufige Sperre des Geländes durchzusetzen, ohne dass jemand neugierig wurde.«

      »Du meine Güte! Du meinst, wir haben allein Zugang zu einem Observatorium, das womöglich zur Gänze erhalten ist?«

      »Nicht mehr lange, wenn du so laut redest, Ossy-Benk! Und ja. Falls wir Glück haben.«

      »Was hast du deinem Informanten geboten?«

      »Alles, was ich an Erspartem hatte, und alles, was du an Erspartem hattest. Lebensmittelkarten, Luxusgüter, Ansprüche auf zehn leistungsfreie Tage ...«

      »Das hast du alles in meinem Namen ausgelobt?«

      »Hättest du es anders gemacht?«

      »Natürlich nicht.« Climba lächelte ihre Gelegenheitsaffäre an. Es war sonderbar, Fröhlichkeit zeigen zu dürfen. Vielleicht verband sie das. Fröhlichkeit im Gemeinheim mit dem Ü-Freund war ein Luxus, den sie sich nicht leisten durfte. »Bleiben nur die Fragen nach dem Wann und dem Wie.«

      »Uns wurde befohlen, das Gelände noch heute zu sichten. Wir entscheiden, ob die Arbeiten auf Dauer unterbrochen werden sollen und wir eine offizielle Grabungsstätte daraus machen.«

      Climba starrte ihn ungläubig an. Mochte er noch so unattraktiv aussehen, er hatte etwas, das kein anderer Mann bieten konnte. Er lebte.

      »Wie hast du das bloß fertiggebracht?«

      »Ich habe eine sich bietende Gelegenheit ergriffen. Das ist unsere beste Chance seit Langem, mehr über Honams Verborgenheit zu erfahren. Zu beweisen, dass zwischen unserer Wahrheit und der Wahrheit, die über allem steht, ein Unterschied ist. Damit wir beweisen können, dass nicht alles richtig ist, was unsere ... gütigen Herrscher behaupten.«

      Sie drückte seine rechte Hand. Ganz fest.

      Wie mutig er war.

      Sein Mut musste auch ihrer sein.

      Er gab ihr einen Papierausdruck. Keine Folie, die ließ sich nicht so leicht vernichten. Sie hielt das Blatt hoch, sodass sie es besser erkennen konnte. Es zeigte die verwischte Aufnahme einer Gebäudestruktur, die zweifelsohne mithilfe alter, fortschrittlicher Technik errichtet worden war. An der Unterseite, wo die Arbeiter auf das Gebilde gestoßen waren, zeigte sich der Ansatz jenes charakteristischen Dorns, den alle bisher entdeckten Observatorien aufgewiesen hatten.

      Climba zerknüllte das Papier und stopfte es sich in den Mund. Ihr Blick verschwamm. »Das könnte es wirklich sein«, sagte sie, nachdem sie geschluckt hatte.

      »Du hast feuchte Augen.« Sisual Okeno wischte ihr zärtlich über die Wangen. »Du darfst dir unter keinen Umständen was anmerken lassen, wenn wir jetzt mit der morgendlichen Routinearbeit loslegen. Schaffst du das?«

      »Frag nicht so blöd!«, schniefte sie und schüttelte den Kopf. »Ich bin einfach nur aufgeregt. Glücklich. Durcheinander. Ich weiß nicht, was ich sagen soll ...«

      »Lass uns hoffen, dass wir etwas über unsere Vergangenheit erfahren. Etwas, das uns hilft.«

      Er sah sich nochmals nach allen Seiten um, zog sie an sich und küsste sie mit einer Intensität, die sie bei jedem anderen vermisste.

      Wolken. Sonne. Leben.

      *

      »Ewiges Leben ...? Das ist vor allen Dingen ein Preis.

      Ich hasse es, ihn zu bezahlen, aber was bleibt mir übrig?

      Ich hasse es, mich zu erinnern, weil jede Erinnerung mich an einen Verlust erinnert.

      Wer wird sich überhaupt an mich erinnern – und weshalb sollte er das tun?

      Erinnern ist Gift. Weil es schmerzt.

      Man muss den Menschen sagen, woran sie sich erinnern dürfen, damit sie es auch wollen. Ich dachte, es wäre ganz leicht.

      Ich habe mich getäuscht. Ich wusste oft nicht einmal, was für mich selbst das Beste war.

      Hätte ich sonst dieses verfluchte Ding angenommen, an dem mein Leben hängt? Hätte ich mich sonst verliebt in eine Frau, die mich dann allein zurückließ? Wollte ich meine Kinder sterben sehen, als ich mich entschied, sie zu haben?

      Nein.

      Das ist das Leid der Unsterblichen. Diese Verantwortung. Für andere zu entscheiden. Die Fehler zu sehen, die das mit sich bringt.

      Ich hasse es, zu entscheiden. Ich will das nicht. Ich will nicht schuldig sein am Leid.

      Aber selbst wenn nicht ich es bin ... jemand entscheidet immer. Hauptsache, das bin nicht ich.

      Du fragst, was bleibt?

      Nun ... ich. Ich selbst. Meine Erinnerungen. An Copperworld, wo ich geboren wurde. An das Angebot, das man uns machte. An die Enttäuschung, als ich feststellte, dass mein Jugendgarant Aussetzer hat. An das, was wurde.

      Aber das alles ist so entsetzlich negativ. Wäre alles so, gäbe es mich längst nicht mehr. Das Positive ... für mich ... ist die Musik. Musik stirbt nicht, weißt du? Wenn du sie im Herzen trägst, trägt sie auch dich. Du verstehst das wahrscheinlich nicht, ich habe dich nie eine Melodie pfeifen hören. Oder summen.

      Vergiss, was ich gesagt habe. Ich muss mich um mich selbst kümmern.

      Ich muss das tun, was von mir verlangt wird, dann schmerzt es nicht, daran zu denken, denn mein Handeln ist dann nicht meine Verantwortung.

      Ich wünschte, ich könnte vergessen.

      Vergessen ist eine Gnade. Vielleicht auch das Vergessenwerden.«

      aus: Zanoshs Protokolle der Unsterblichen:

      Buch der Triumvirn: Cappleshort

      6.

      BJO BREISKOLL

      »Nur diese eine kurze Begegnung«, sagte Osmund Solemani. »Und dann war der Geist weg.«

      Sie saßen einander an einem runden Tisch gegenüber, dessen Platte schwarz poliert war. Darüber drehte sich ein Holo, das nach Oberleutnant Solemanis Erinnerungen gestaltet worden war.

      »Ein Geist. Soso.«

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