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Moment sei »für sich«, bedeutet dies, dass dieses Moment aus sich heraus konstituiert ist. Ist hingegen davon die Rede, ein Moment sei »für anderes«, dann ist dieses Moment nicht aus sich heraus konstituiert, sondern ist in seiner Konstitution abhängig von anderem. Hegel hält sich in seiner Analyse von Bewusstseinsgestalten streng daran, erkenntnistheoretische und ontologische Unterschiede mittels dieser Begriffe zu markieren.

      Damit komme ich zum zweiten Schritt in Hegels Zurückweisung der Notwendigkeit eines externen Maßstabs, mit dem wir nachvollziehen können, inwiefern Hegel die interne Prüfung von Wissenskonzeptionen als eine immanente Kritik begreift. Aufgrund dieser Prüfung befinden sich Wissenskonzeptionen in einer Bewegung, die von Hegel folgendermaßen kommentiert wird:

      Diese dialektische Bewegung, welche das Bewusstsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstande ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird. (82/78)

      Ich habe oben schon bemerkt, dass diese Thesen Hegels erst einmal sehr irritierend sind. Geht es um Wissen, begreifen wir mögliche Anpassungen unserer Überzeugungen nicht so, dass sich mit unseren Überzeugungen auch die Gegenstände unserer Überzeugungen ändern. Normalerweise gehen wir vielmehr davon aus, dass Gegenstände bei einer Änderung unserer Wissensansprüche gleich bleiben. Hegel kann schlecht so verstanden werden, dass er an dieser Trivialität uneingeschränkt rütteln will.22 Stellen wir aber in Rechnung, dass es Hegel darum geht, ein angemessenes Wissen vom Wissen zu begründen und dass er aus diesem Grund Wissenskonzeptionen durchgeht, kann man ihm erst einmal den folgenden Gedanken zuschreiben: Mit jeder Veränderung von Wissenskonzeptionen kommen auch neue Gegenstandsauffassungen zustande. Wissenskonzeptionen haben unterschiedliche Auffassungen davon, was Gegenstände des Wissens sind. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich von Wissenskonzeption zu Wissenskonzeption das, was als Gegenstand gilt, ändert. Hegels These hat damit einen klaren Sinn: Sie besagt, dass jeweils mit einer neuen Wissenskonzeption auch eine neue Gegenstandsauffassung zustande kommt.

      Dabei entstehen Gegenstandsauffassungen nicht einfach so neu. Die neuen Gegenstandsauffassungen reflektieren vielmehr die Probleme, die sich in alten Gegenstandsauffassungen ergeben haben. Gegenstandsauffassungen entwickeln sich auseinander. In diesem Sinn sagt Hegel: »Dieser neue Gegenstand enthält die Nichtigkeit des ersten, er ist die über ihn gemachte Erfahrung.« (82/79)

      Die Veränderung von Wissenskonzeptionen und damit von Gegenstandsauffassungen ist aber nicht nur eine theoretische, abstrakte Angelegenheit. Mit Gegenstandsauffassungen verändern sich vielmehr auch die Gegenstände selbst. Insofern rüttelt Hegel durchaus an der Einschätzung, Gegenstände seien einfach aus sich heraus als Gegenstände des Wissens zu verstehen. Für unser Wissen von Gegenständen sind Gegenstandsauffassungen grundlegend. Mit Letzteren also verändern sich durchaus auch die Gegenstände, von denen wir Wissen zu erlangen suchen.

      Der Erfahrungsbegriff, den Hegel auch in dieser These verwendet, scheint der Interpretation, die ich bislang entwickelt habe, zu widersprechen. Ist Erfahrung nicht das, was sich in Auseinandersetzung mit einzelnen Gegenständen vollzieht? Von Erfahrung reden wir doch normalerweise dann, wenn wir lernen, dass Herdplatten heiß sein können oder dass es in Kollegien zu unüberbrückbaren Spannungen kommen kann. Erfahrungen sind in diesem Sinn empirisch: Sie resultieren aus unserer Konfrontation mit Sachverhalten in der Welt.

      Es ist wichtig zu erkennen, dass Hegel Erfahrung primär jedoch nicht in dieser Weise versteht. Erfahrung ist für ihn daran gebunden, dass Wissen sich verändert. Eine Veränderung des Wissens aber vollzieht sich dadurch, dass unser Wissen vom Wissen eine neue Gestalt annimmt. Erst dadurch können wir den bloßen Anschein von Veränderung (»ein trockenes Versichern«) von einer echten Veränderung unterscheiden. Erfahrung ist insofern aus Hegels Sicht immer an die Widersprüche gebunden, die sich in Wissenskonzeptionen ergeben. Sie resultiert nicht aus der Konfrontation mit bloßen Gegenständen, sondern daraus, dass Wissensansprüche sich an den in Gegenstandsauffassungen gegebenen Gegenständen nicht bewähren. Erfahrung setzt insofern die Spannung voraus, die nach Hegels Verständnis alles Bewusstsein ausmacht. Sie ist – um es kurz zu sagen – nicht empirisch, sondern dialektisch-spekulativ.23

      Die Widersprüche, auf denen die dialektisch-spekulative Struktur der Erfahrung beruht, sind dabei nicht einfache Widersprüche, die sich leicht ausräumen lassen (in dem Sinne, dass wir einfach eine der Thesen, die im Widerspruch zueinander stehen, fallenlassen), sondern es handelt sich um Widersprüche, die uns gerade aufgrund ihrer gewissen Unlösbarkeit (es wird noch zu klären sein, inwiefern hier von einer »gewissen Unlösbarkeit« die Rede ist) zu einer Weiterentwicklung unseres Denkens veranlassen.24 Erfahrungen führen so dazu, dass wir unsere Begriffe verändern; sie greifen in unser Denken ein. Wenn ich mit Hegel davon spreche, dass Erfahrung damit dialektisch bestimmt ist, heißt dies: Erfahrung ist der Prozess immanenter Kritik, in dem sich aus einem Widerspruch von zwei für uns grundlegenden Verständnissen ein neues Verständnis ergibt, in dem dieser Widerspruch auf eine neue Ebene gehoben wird.

      Um ein Beispiel zu geben: Wir machen eine Erfahrung, wenn wir erkennen, dass die Bestimmungen des Menschen als eines Sinnenwesens und eines geistigen Wesens sich widersprechen, und aus dieser Einsicht heraus eine neue Konzeption des Menschen entwickeln, zum Beispiel die Konzeption des Menschen als eines unbestimmten Wesens, eines »nicht festgestellten Tiers«, wie Nietzsche sagt.25 Hegel spricht oft davon, dass wir die widersprüchlichen Bestimmungen in der neuen Bestimmung aufheben. Der Begriff der Aufhebung wird immer wieder als einer der zentralen methodischen Begriffe von Hegels Philosophie angesehen. Zwar spielt dieser Begriff in der PhG keine besonders prominente Rolle. Man kann ihn aber heranziehen, um das Verständnis der immanenten Kritik, das die PhG verfolgt, zu artikulieren. Demnach hebt eine neue Bestimmung die Widersprüche alter Bestimmungen dahingehend auf, dass sie (a) diese alten Bestimmungen überwindet, dass sie (b) diese alten Bestimmungen dabei zugleich bewahrt und dabei (c) eine neue Ebene begründet. Aufhebung ist ein in diesem Sinne jeweils dreifaches Geschehen – und Dialektik eine Theorie der Produktivität der Widersprüche.

      Hegels Begriff der Erfahrung ist im Rahmen dieser Theorie zu verstehen. Erfahrung kommt demnach dadurch zustande, dass die theoretischen Begriffe, in denen Menschen ihr Wissen artikulieren und somit Wissen von ihrem Wissen haben, sich weiterentwickeln. Wer im Sinne Hegels Erfahrungen macht, entwickelt sich in seinem Wissen über sich und damit über die Welt weiter. Er verändert damit sein Wissen über sich und über die Welt. Man kann sagen, dass Hegel somit Erfahrung als Realisierung von Selbstkritik (in dem oben erläuterten Sinn) versteht. Er vertritt damit einen anspruchsvollen Begriff von Erfahrung, dem zufolge nicht ein bloßer Erwerb von Wissen, sondern eine kritische Reflexion von Wissen Erfahrung ausmacht. Aus einer solchen Reflexion resultiert dabei nicht »ein leeres Nichts« (83/80), sondern kommt ein spezifisches neues Wissen über das eigene Wissen zustande: also eine neue Wissenskonzeption (im Kapitel zum absoluten Wissen wird sich zeigen, dass sich eine Veränderung von Wissenskonzeptionen durchaus auch als ein Aspekt einer Auseinandersetzung mit Gegenständen in der Welt verstehen lässt).

      Hier wird noch einmal deutlich, inwiefern Hegels »sich vollbringender Skeptizismus« sich von einem substantiellen Skeptizismus unterscheidet. Letzterer behauptet eine Unmöglichkeit von Wissen. Nach gängigem Verständnis formuliert er gerade in seiner neuzeitlichen Variante skeptische Hypothesen (zum Beispiel im Sinne der Frage: »Kannst du aus deiner Bewusstseinsperspektive heraus ausschließen, ein Gehirn im Tank zu sein, das in raffinierter Art und Weise zu den Bewusstseinseindrücken stimuliert wird, die du hast?«) und macht geltend, dass diese Hypothesen nicht ausgeschlossen werden können. Solange dies aber so ist, gebe es, streng genommen, kein Wissen. Hegels dialektische Widersprüche, die den Prozess der Erfahrung vorantreiben, funktionieren jedoch nicht wie skeptische Hypothesen. Sein Skeptizismus ist vielmehr der Prozess, in dem immer mehr Bestimmungen, die wir für feststehend zu halten geneigt sind, sich als für sich genommen unhaltbar erweisen, so dass ein komplexerer begrifflicher Horizont gewonnen werden muss, innerhalb dessen diese Bestimmungen (in dem erläuterten Sinn) aufgehoben sind. Die Unhaltbarkeit der Bestimmungen führt nicht zu ihrer bloßen Negation. Sie führt vielmehr zu einer Weiterentwicklung von Bestimmungen, in der die unhaltbaren Bestimmungen in veränderter Form weiter Bestand haben. Aus dieser Entwicklung heraus hängen alle Bestimmungen, in denen wir unser Wissen artikulieren,

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