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werden, sondern bedürfen in ihrer Konstitution des Bezugs des Bewusstseins auf sich selbst. Allgemeinbestimmungen stellen einen beständigen Zusammenhang zwischen wechselnden Gegenständen her, verbinden also Beständigkeit und Unbeständigkeit miteinander. Diese Verbindung lässt sich nicht aus dem Gegenstandsbezug heraus begründen, sondern bedarf des Bezugs auf das Bewusstsein, das in seinem Umgang mit unterschiedlichen Gegenständen Bestimmungen festhält. Damit ist der Übergang zu den Wissenskonzeptionen des Selbstbewusstseinskapitels vorgezeichnet.

      Probleme der Interpretation

      Das Bewusstseinskapitel wirft drei zentrale Fragen für die Interpretation auf:

      1 Wen kommentiert Hegel in den Abschnitten, die dieses Kapitel umfasst? Ist sein Ansatzpunkt ein neuzeitlicher Empirismus, der die These vertritt, es sei nichts im Geiste, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist? Oder handelt es sich um eine abstrakte Zusammenstellung von Positionen, die nicht einer einheitlichen Tradition angehören?

      2 Dazu gehört eine zweite Frage: Worin besteht der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Positionen, die Hegel im Bewusstseinskapitel bespricht? Gerade dann, wenn man zu der Auffassung gelangt, dass Hegel die Positionen nicht aus einer einheitlichen Tradition schöpft, sondern selbst einen Zusammenhang herstellt, gewinnt diese Frage an Relevanz: Was ist die Gemeinsamkeit der Bewusstseinsgestalten, die dem ersten Augenschein nach recht unterschiedlich sind? Um diese Gemeinsamkeit zu klären, ist es auch wichtig zu verstehen, wie die in dem Kapitel zusammengebrachten Bewusstseinsgestalten aneinander anschließen.

      3 Die vielleicht heikelste Frage in der Interpretation des Bewusstseinskapitels liegt besonders nahe. Sie lautet: Wie funktioniert der Übergang zum Selbstbewusstseinskapitel? Welche Widersprüche machen das Ende des Bewusstseinskapitels aus, und inwiefern werden diese Widersprüche von Wissenskonzeptionen aufgehoben, in deren Zentrum das Selbstbewusstsein steht?

      Detaillierter Kommentar

      I. Die sinnliche Gewissheit oder das Diese und das Meinen

      Hegel beginnt seine Überlegungen mit einer Wissenskonzeption, die ihrem Selbstverständnis nach voraussetzungslos ist. Wir haben bereits in der Einleitung gesehen, dass es für ihn selbstverständlich ist (er spricht von einem »natürlichen Bewusstsein«), Wissen voraussetzungslos begründen zu wollen. Aus diesem Grund muss die Wissenskonzeption der sinnlichen Gewissheit am Anfang stehen. Sie macht geltend, dass Wissen durch den direkten Kontakt mit Gegenständen in der Welt erworben wird. Der Wissensanspruch, der hier vertreten wird, besagt, dass durch diesen direkten Kontakt, durch ein reines Auffassen der Welt, das reichste und konkreteste Wissen zustande kommt. »[E]ine Erkenntnis von unendlichem Reichtum« (85/82) solle auf diese Weise gewonnen werden.

      Welche Gegenstandsauffassung aber korrespondiert diesem Anspruch? Hegels Kommentar zur »sinnlichen Gewissheit« gibt ein gutes Beispiel für die einer Bewusstseinsgestalt inhärenten Widersprüche, von denen Hegel in der Einleitung spricht. Die Gegenstandsauffassung nämlich bedeutet das Gegenteil dessen, was der Wissensanspruch verspricht. Die Gegenstandsauffassung ist die »abstrakteste und ärmste Wahrheit« (85/82). Dies sucht Hegel mit seiner Explikation gleich zu Anfang deutlich zu machen. Falls ein bloß direkter Gegenstandskontakt zu Wissen führen soll, so bedeutet das, dass nur eine einzige Beziehung im Spiel ist, nämlich diejenige des Bewusstseins auf seinen Gegenstand. Mögliche Beziehungen, die für den Gegenstand und das Bewusstsein sonst relevant sind, können entsprechend in dieser Wissenskonzeption nicht durch das Bewusstsein erfasst werden. Um sie zu erfassen, müsste es seinen Anspruch aufgeben, den Gegenstand durch einen unmittelbaren Kontakt zu wissen. So kommen für das Bewusstsein weder Beziehungen im Gegenstand, zum Beispiel zwischen unterschiedlichen seiner Eigenschaften, noch Beziehungen im Rahmen des Bewusstseins, zum Beispiel zwischen unterschiedlichen seiner Bewusstseinsinhalte, in Betracht. In Hegels Worten:

      Ich, dieser, bin dieser Sache nicht darum gewiss, weil Ich als Bewusstsein hiebei mich entwickelte und mannigfaltig den Gedanken bewegte. Auch nicht darum, weil die Sache, deren ich gewiss bin, nach einer Menge unterschiedener Beschaffenheiten eine reiche Beziehung an ihr selbst, oder ein vielfaches Verhalten zu andern wäre. (85/82 f.)

      Es bleibt bei dem direkten Kontakt des Bewusstseins zu seinem Gegenstand. Aus diesem Grund ist das »reine Sein« (86/83), das bloße »dies ist« der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit. Damit wird, so insistiert Hegel, kein reiches, sondern ein überaus undifferenziertes und somit armes Wissen erworben. Der Gegenstand des Wissens steht im eklatanten Widerspruch zu dem erhobenen Wissensanspruch. Oder anders gesagt: Der Wissensanspruch wird durch die Wissenskonzeption nicht eingelöst.

      Die Bewusstseinsgestalt des sinnlichen Wissens ist aber in ihrer Grundstruktur nicht hinreichend gefasst, wenn man nur die Unmittelbarkeit des Gegenstands betont. Die sinnliche Gewissheit, so Hegel, bezieht sich auf die Gegenstände, auf die sie sich bezieht, als eine Instanz von Unmittelbarkeit. Sie rechnet konstitutiv mit vielen Unmittelbarkeiten. Das aber bedeutet, dass die Unmittelbarkeit in der sinnlichen Gewissheit differenzbehaftet ist. Hegel sagt: Jeder Gegenstand der sinnlichen Gewissheit ist »ein Beispiel derselben« (86). Dies lässt sich genauer so verstehen: Die Konzeption eines Wissens durch unmittelbaren Kontakt mit Gegenständen, das zudem ein besonders reiches Wissen sein soll, gibt nur unter der Bedingung Sinn, dass es viele Situationen eines solchen unmittelbaren Kontakts gibt. Es gibt unterschiedliche Gegenstände, denen man in unmittelbarem Kontakt begegnen kann. Aus diesem Grund steht ein unmittelbarer Kontakt nicht für sich. Er ist immer ein Beispiel sehr vieler unmittelbarer Kontakte, die jeweils zu sinnlicher Gewissheit führen. Mit Hegels etwas aufgeladener Sprache kann man sagen: An jedem unmittelbaren Kontakt spielen viele andere unmittelbare Kontakte beiher (vgl. 86/83).27 Unter den Unterschieden möglicher Gegenstände sinnlicher Gewissheit ist dabei der Unterschied zwischen dem Subjekt (dem »Ich«) und dem Objekt (dem »Gegenstand«) von besonderer Bedeutung. Aus diesem Grund ist – entgegen der Grundhaltung der Wissenskonzeption – doch ein In-Beziehung-Setzen für das Wissen der sinnlichen Gewissheit entscheidend. Bereits in seiner Grundstruktur wird die Wissenskonzeption also ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht.

      Dieser Grundwiderspruch spielt auch in den unterschiedlichen Formen eine entscheidende Rolle, in Bezug auf die Hegel die Bewusstseinsgestalt im Folgenden weiter analysiert. Hegel unterscheidet drei Formen, in denen die sinnliche Gewissheit auftritt:

      1 In der ersten Form ist ein äußeres Objekt der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit (86–88/83–86),

      2 in der zweiten Form das subjektive Bewusstsein in unterschiedlichen seiner Zustände (88–90/86–87).

      3 Die dritte Form schließlich bezieht sich auf einen Zusammenhang von Subjekt und Objekt als seinen Gegenstand (90–92/87–90).

      Hegel verfolgt diese unterschiedlichen Formen aus der Perspektive dessen heraus, der die Entwicklungen, denen er folgt, überschaut. Dies liegt darin begründet, dass die Wissenskonzeption der sinnlichen Gewissheit keine Beziehungen kennt – und damit auch keine Beziehungen des Wissenden auf sein Wissen. Wenn es in einer Bewusstseinsgestalt kein Wissen vom eigenen Wissen gibt, kann es auch keine Selbstkorrektur in Bezug auf den eigenen Wissensanspruch geben. Wer sich zu seinem eigenen Wissen verhält, kann sich durch Widersprüche in der eigenen Wissenskonzeption zu Entwicklungen genötigt sehen. Viele andere Wissenskonzeptionen, die Hegel im Rahmen der PhG kommentiert, vollziehen gewissermaßen aus sich selbst heraus Entwicklungen – die sinnliche Gewissheit tut dies nicht. In ihrem Fall führen die Widersprüche nur an sich zu einer Entwicklung, nicht für das Bewusstsein (vgl. zu diesem Vokabular hier S. 48 f.). Es kommt dem Kommentator Hegel zu, die Widersprüche der Bewusstseinsgestalt als Motor einer Entwicklung zwischen unterschiedlichen Formen, in denen die Gestalt auftritt, verständlich zu machen. Man kann ihn so verstehen, dass er sagt: Unterschiedliche Realisierungen der Wissenskonzeption hängen zusammen. Es gibt demnach einen Übergang von der Realisierung, der zufolge man Wissen aus dem direkten Kontakt mit äußeren Gegenständen zu gewinnen sucht, zu der Realisierung, in der ein entsprechender Kontakt mit eigenen Bewusstseinszuständen dies leisten soll, zu einer Realisierung, in der ein Konglomerat aus beidem die Basis des Wissens abgeben soll. Hegel zeigt, dass in allen drei Realisierungen die grundlegenden Widersprüche der Konzeption

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