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die insbesondere das Geistkapitel bestimmen und die dazu führen, dass viele der vorliegenden Kommentare zu Hegels Text sich ab einem bestimmten Moment in erster Linie auf eine Erläuterung dieser Bezüge konzentrieren.9 Ich halte es für besonders wichtig, gerade auch dort, wo Hegels Text dem ersten Anschein nach historischen Orientierungen folgt, auch noch die systematische Linie des Textes nachvollziehbar zu machen. Das betrifft viele Passagen des Geistkapitels, aber zum Beispiel auch den Übergang zum Religionskapitel. An solchen Punkten ist es mein besonderer Anspruch, Hegels Text systematisch zu interpretieren, so dass ich insgesamt die Thesen und Argumente klären will, die Hegel bis zum Ende des Buches entwickelt und die meinem Verständnis zufolge in einem engen Zusammenhang stehen, der von den ersten Seiten des Bewusstseinskapitels bis zum absoluten Wissen reicht.

      Um die so weit benannten Ziele zu realisieren, gebe ich meinem Kommentar eine Struktur, die von der eines durchlaufenden Kommentars abweicht: Ich teile den Text in grundlegende Einheiten auf und gehe in Bezug auf diese Einheiten jeweils in analoger Art und Weise vor:

      1 Zuerst lege ich kurz dar, worum es in der jeweiligen Einheit geht, um dann

      2 wichtige Fragen zu benennen, mit denen jede Interpretation sich auseinandersetzen muss.

      3 Daraufhin entwickle ich meinen Kommentar entlang von Hegels Text in Orientierung an diesen Fragen und fasse

      4 die systematischen Ergebnisse, zu denen Hegel in den Abschnitten kommt, abschließend zusammen.

      Die Einheiten, in die ich den Text Hegels einteile, bestimme ich in Anlehnung an seine Gliederung, und zwar an jene zweite Gliederung, die er dem Text gegeben hat. So beginne ich mit der Einleitung und behandele dann jeweils das Bewusstseins-, das Selbstbewusstseins- und das Vernunftkapitel im Zusammenhang. Das lange Geistkapitel unterteile ich in drei Abschnitte, wobei ich zuerst die Zusammenhänge, die Hegel als sittliche Welt begreift, dann die Bildung und schließlich die Abschnitte zu Moralität und Gewissen kommentiere. Im Anschluss folgen Teile zu Religion und absolutem Wissen sowie schließlich noch zu der Vorrede als dem Textteil, den Hegel als Letztes geschrieben hat.

      Diese Einteilung mag die Frage aufwerfen, warum ich nur das lange Geistkapitel und nicht auch das zwar kürzere, aber durchaus auch sehr lange Vernunftkapitel unterteile. Ich verzichte hier deshalb auf eine Unterteilung, da Hegel insgesamt Vernunft noch als eine Abstraktion aus dem Gesamtbild begreift, das mit dem Begriff des Geistes positiv umrissen wird. Mir geht es dezidiert darum, im Geistkapitel, das viele Interpretationen nicht sehr systematisch artikulieren, den Schwerpunkt zu setzen, den auch Hegel in ihm gesetzt hat. Gerade die zweite Hälfte von Hegels Text verdient mehr Aufmerksamkeit, als ihr oft zuteilwird. Allzu viele Interpretationen richten sich besonders auf das Bewusstseins- und Selbstbewusstseinskapitel, obwohl Hegel hier unmissverständlicherweise erst am Anfang seiner systematischen Entwicklungen ist. Mein Anspruch ist es, den systematischen Entwicklungen zu folgen, bis sie den Stand gewonnen haben, den Hegel in der PhG erreicht. Dies macht es erforderlich, dass ich durchaus auch eigene Vorschläge zur Interpretation des Textes systematisch ausarbeite.10 Meine Einführung will also beides sein: eine echte Einführung und ein Beitrag zu der komplexen Debatte darüber, wie Hegel zu verstehen und zu verteidigen ist.11

      I. Einleitung

      Überblick

      In der Einleitung stellt Hegel das Projekt der PhG vor. Es handelt sich dabei um einen sehr dichten Text, der vielfach als Kernstück von Hegels Buch verstanden worden ist. Die wenigen Seiten sind entsprechend Gegenstand vieler Interpretationen geworden.12 Nach allem, was man weiß, hat Hegel diesen Textteil am Anfang seiner Arbeit an der PhG niedergeschrieben (die »Vorrede« ist erst am Ende entstanden). Aus diesem Grund führt er in der Einleitung noch in das Projekt ein, wie es ihm am Anfang vorschwebte: in eine »Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins«. Dieses Projekt hat sich im Laufe seiner Arbeit an dem Buch dann zur »Phänomenologie des Geistes« gewandelt. Auch wenn damit die Weichenstellungen der Einleitung weitgehend nicht verabschiedet werden, ist mit dem neuen Titel doch zumindest eine Akzentverschiebung gegenüber dem zu beobachten, was die Einleitung ankündigt.

      Die 17 Absätze des Textes der Einleitung lassen sich in drei Abschnitte aufteilen.

      1 Die ersten drei Absätze (71–73/68–70)13 artikulieren einen Ausgangspunkt, gegen den Hegel sich wendet, klären also indirekt, wie er nicht anfangen will.

      2 Die Absätze vier bis acht (73–78/70–75) geben dann knapp an, wie er (stattdessen) vorgeht. Sie bieten in geraffter Form einen Ausblick auf die Entwicklung, die er in seinem Buch präsentieren will.

      3 Die Absätze neun bis siebzehn (73–84/75–81) schließlich machen Angaben zur Methode der Entwicklung, die Hegel in der PhG präsentiert. Dabei behauptet er paradoxerweise, keine eigene Methode zu verfolgen.

      In allen drei Teilen kann die Einleitung so gelesen werden, dass sie Hegels Selbstverständnis von Philosophie skizziert. Genau dies macht den Text reich und gleichermaßen dicht. Besonders wichtig aber ist, dass der Text klare Ankündigungen dazu macht, wie Hegel in dem Buch insgesamt vorgehen wird. Eine Lektüre der Einleitung sollte also dazu führen, dass Leserinnen und Leser ein erstes Verständnis dieses Vorgehens gewinnen.

      Probleme der Interpretation

      Die zentralen Fragen in der Interpretation der Einleitung lassen sich so fassen, dass jeder ihrer drei Abschnitte eine bestimmte Frage aufwirft.

       (a) Gegen welche philosophischen Positionen und – sofern sich dies überhaupt sagen lässt – gegen wen richtet sich Hegel mit seinen Eingangsüberlegungen? Er kann leicht so verstanden werden, dass er hier bereits seine direkten Vorgänger Kant, Fichte und Schelling attackiert. Ist dies aber wirklich so und wenn ja: Was genau kritisiert Hegel an den Philosophien, von denen er sich abgrenzt?

      Die zweite Frage betrifft die gerafften Angaben, die Hegel zu der in dem Buch präsentierten Entwicklung macht:

       (b) Wie ist der Weg zu begreifen, den Hegel hier mit unterschiedlichen Formulierungen ankündigt? Er spricht zum Beispiel von einem »Weg der Seele«, dessen Ziel darin bestehe, »dass sie sich zum Geiste läutere« (75/72). Er spricht aber auch von einem »Weg der Verzweiflung« (75/72). Was besagen solche Formulierungen?

      Die dritte Frage ist angestoßen von Hegels These, er benötige für sein Projekt keine eigene Methode und, damit zusammenhängend, von dem Begriff der Erfahrung, den Hegel ins Spiel bringt.

       (c) Warum geht Hegel davon aus, dass Bewusstseinsgestalten sich immanent kritisieren, dass sie also in dem Sinne Erfahrungen machen, dass ihre Wissensansprüche sich in Bezug auf ihre Gegenstände als unzureichend erweisen, woraufhin sich, wie er sagt, sowohl das Wissen als auch sein Gegenstand ändert? Wie funktioniert eine solche immanente Kritik und insbesondere: Was kann es heißen, dass ein Gegenstand sich ändert? Wir gehen normalerweise davon aus, dass die Gegenstände, von denen wir Wissen zu erlangen suchen, sich nicht verändern, sondern dass sich zuweilen unsere Überzeugungen wandeln, während die Gegenstände bleiben, was sie sind. Revidiert Hegel dieses Verständnis von Erfahrung?

      Detaillierter Kommentar

      Hegel beginnt das große Buch damit, dass er von einer »natürlichen Vorstellung« spricht. Er erläutert sie folgendermaßen:

      Es ist eine natürliche Vorstellung, dass, eh in der Philosophie an die Sache selbst, nämlich an das wirkliche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegangen wird, es notwendig sei, vorher über das Erkennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug, wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder als das Mittel, durch welches hindurch man es erblicke, betrachtet wird. (71/68)

      Es liegt nahe zu denken, dass Hegel erst einmal philosophische Positionen kritisiert, mit denen er sich auseinandersetzt, so zum Beispiel – wie bereits angeführt – die Positionen seiner Vorgänger Kant, Fichte und Schelling. Auch andere neuzeitliche Philosophen wie Descartes, Locke, Leibniz und Hume könnten als Positionen verstanden werden, mit denen Hegel gleich zu Beginn eine kritische Abrechnung vornimmt. So könnte er die These vertreten, dass manche oder alle dieser Philosophien

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