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besonders auch die Auseinandersetzung mit Fichtes Denken von größerer Bedeutung ist. Bereits im Jahr 1802, also im zweiten Jahr seiner Zeit in Jena, hat Hegel ein Manuskript verfasst, das unter dem Titel »System der Sittlichkeit« bekannt geworden ist. Dabei orientiert Hegel sich kritisch an Fichtes Grundlagen des Naturrechts von 1796 und dem dort eingeführten Begriff der Anerkennung. Anerkennung ist für Fichte ein transzendentales Prinzip des Bezugs von selbstbestimmten und in diesem Sinn rationalen Individuen aufeinander. Sie können Selbstbestimmung nur dann für sich reklamieren, wenn sie sie auch anderen zugestehen, diese also als gleichermaßen selbstbestimmte Individuen anerkennen. Fichtes Gedanke hat, so zeigen die frühen Jenaer Arbeiten, von Anfang an eine große Faszinationskraft auf Hegel ausgeübt. Er sah in ihm das Potential, Probleme der von Kant, Fichte und Schelling vorgelegten Positionen zu lösen. Insofern lässt sich die Kritik des Naturrechts-Ansatzes von Fichte, die Hegel auch in einer Abhandlung im Critischen Journal publiziert hat, als Keimzelle der Loslösung auch von seinem Freund Schelling begreifen.

      Diese Loslösung wurde im Jahr 1803 erheblich dadurch beschleunigt, dass Schelling – wie viele andere seiner renommierteren Kollegen – Jena verließ und einen Ruf an die Universität Würzburg annahm. Durch diesen Weggang war Hegel nun in Jena in mehrfacher Weise auf sich allein gestellt. Erstens fiel die gemeinsame Arbeit am Critischen Journal weg – das Journal wurde, nach zwei Jahrgängen mit jeweils drei Heften, wieder eingestellt. Zweitens verlor Hegel seinen Mentor und Unterstützer. Drittens verlor Jena nach Fichte nun auch die zweite maßgebliche Stimme avanciertesten Philosophierens in deutscher Sprache. Aus Schellings Abschied ergab sich deshalb für Hegel sicherlich im ersten Moment eine schwierige Situation. Im zweiten Moment bot sich ihm damit aber auch eine gute Gelegenheit, sich selbst zu profilieren. Und letztlich nutzte er diese Gelegenheit. Er erarbeitete sich in den Folgejahren bis zu seinem Abschied aus Jena im März 1807 die Grundlage dafür, sich seinerseits als eine wichtige neue Gestalt in der deutschsprachigen Philosophie zu etablieren.

      Auch wenn Hegel in den Jahren nach 1803 nach wie vor als Privatdozent ohne feste Bezahlung tätig war, so erregte seine Lehrtätigkeit in Jena zunehmend größere Aufmerksamkeit. Gerade in den Vorlesungen der Jahre von 1803 bis 1806 zeichnet sich auch mehr und mehr eine neue Konzeption ab, die dann ihre erste Gestalt in der PhG fand. Diese Vorlesungen werden heute unter dem Titel Jenaer Systementwürfe I–III diskutiert (früher waren zwei von ihnen unter dem Titel Jenaer Realphilosophie I+II bekannt). In ihnen wird nicht nur der von Fichte her entwickelte Anerkennungsbegriff immer wichtiger, sondern es wird zunehmend auch der Idealismus Schellingscher Prägung überwunden, also eine primäre Orientierung an der grundlegenden Einheit von Subjekt und Objekt. Hegel geht es im Gegensatz dazu nun besonders um die Auseinandersetzungen von Subjekten mit Objekten und um diejenigen von Subjekten mit anderen Subjekten – kurz gesagt: um Differenzen und Konflikte. Von einer Einheit kann ihm zufolge nur auf Basis dieser Differenzen und Konflikte die Rede sein. Dabei betont er, wie vor ihm bereits Fichte und Schelling, die Bedeutung von Praxis, die er aber konkreter versteht als seine Vorgänger. Sowohl die Auseinandersetzung mit Objekten als auch diejenige mit anderen Subjekten muss demnach unter Rekurs auf historisch-kulturell entwickelte Praktiken gedacht werden.

      Nicht zuletzt seine sich zusehends verschlechternde ökonomische Situation brachte Hegel wohl dazu, den lange gehegten Plan einer Niederschrift seines Systems in einem eigenen Buch nicht weiter aufzuschieben. Die im Jahr 1805 aufgenommene Arbeit an dem Text, den wir als PhG kennen, verlief jedoch nicht ohne Komplikationen. So hatte Hegel mit dem Verleger (Goebhardt in Bamberg) eigentlich vereinbart, dass er bei der Ablieferung der Hälfte des Manuskripts entlohnt würde. Der Verleger wurde aber wegen Hegels unklarem Text- und Zeitmanagement so unruhig, dass er die Verabredung änderte und erst bei Abgabe des Gesamtmanuskripts zur Zahlung bereit war. Diese wurde – unter Vermittlung von Hegels Freund Immanuel Niethammer (1766–1848) – auf den 18. Oktober 1806 festgesetzt. Zu dem Druck, unter dem Hegel stand, trugen auch die politischen Umstände bei. Im Sommer 1806 entwickelte sich zunehmend ein Konflikt zwischen dem napoleonischen Frankreich und Preußen, der dazu führte, dass Napoleon mit seinen Truppen am 13. Oktober in Jena einmarschierte – am Vorabend der Schlacht von Jena und Auerstedt. Hegel hat sein Erstlingswerk mit diesen historischen Ereignissen verbunden, indem er behauptete, es an diesem Abend fertiggestellt zu haben. Richtig ist wohl, dass er das Ende des Buches in diesen Tagen fertigstellte und dann sehr besorgt war, das resultierende Teilmanuskript durch die feindlichen Linien zu seinem Verleger nach Bamberg bringen zu lassen (ein anderer Teil des Manuskripts befand sich schon lange dort und war, wie damals üblich, auch schon gedruckt worden). Erst im Januar 1807 aber lieferte er mit der Vorrede den letzten Textteil ab. Das Buch erschien dann im April 1807 unter dem Titel System der Wissenschaft. Erster Theil, die Phänomenologie des Geistes, als Hegel Jena bereits verlassen hatte und als Redakteur bei der Bamberger Zeitung arbeitete.

      Das Buch wurde zuerst nicht sonderlich euphorisch aufgenommen. Die erste Rezension am 6. August 1807 in der Oberdeutschen Allgemeinen Literaturzeitung kritisierte die PhG besonders für eine übertrieben idealistische Position. Moniert wurden eine angeblich intellektualistische Grundtendenz von Hegels Philosophie sowie eine Orientierung an einem allumfassenden Absoluten. Da Letzteres in der Position Schellings tatsächlich eine größere Rolle spielt, kann man vermuten, dass Hegel weiterhin durch die Brille seines Freundes gelesen wurde, von dessen Ansatz er sich inzwischen aber entfernt hatte. Schelling selbst realisierte dies sofort und war, verständlicherweise, nicht sonderlich erfreut über Hegels Werk. Die philosophische Mitwelt aber brauchte einige Zeit, um zu verstehen, dass Hegel eine eigenständige Position erarbeitet hatte. Dies mag ein Grund dafür sein, dass seine eigentliche akademische Karriere noch ein wenig auf sich warten ließ. Erst im Jahr 1816 erfolgte der Ruf auf die erste Professur (in Heidelberg), und das Jahr 1818 brachte ihn dann an seine Wirkungsstätte Berlin, wo er mit seiner Philosophie großes Ansehen erlangte. Dort fing er gegen Ende seines Lebens, im Jahr 1831, erste Arbeiten an einer geplanten Neuauflage des Buches an. Zu dieser Neuauflage kam es dann aber wegen Hegels Tod nicht mehr.

      Nach der PhG hat Hegel Texte publiziert, die im engeren Sinne das ausmachen, was man als sein System bezeichnet: besonders die Wissenschaft der Logik (1812–1816) und die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817). Damit ist die notorische Frage aufgeworfen, wie sich die PhG zu Hegels reiferem Werk verhält. Diese Frage wird gewissermaßen dadurch verschärft, dass Hegel in der Enzyklopädie eine »Phänomenologie des Geistes« in die Explikation des Geistes integriert hat. Dies suggeriert, durch die reiferen Arbeiten sei die PhG überwunden. Das ist aber nicht notwendigerweise der Fall. Gerade wenn man die PhG als Einleitung des Systems2 liest, kann man sie als einen eigenständigen und wichtigen Teil dieses Systems begreifen. Im »Vorwort« der Wissenschaft der Logik verweist Hegel auch klar auf den Standpunkt der PhG als eine Voraussetzung für die systematische Perspektive, die er dort bezieht.3 So scheint es mir richtig, davon auszugehen, dass der PhG im Kontext von Hegels System eine Funktion zukommt, die sich durch das System nicht erübrigt hat (in den letzten beiden Teilen dieses Kommentars werde ich diese Funktion genauer bestimmen).

      Gestalt und Struktur der PhG

      Die PhG ist ein eigentümliches philosophisches Buch. Vergleicht man sie zum Beispiel mit den großen philosophischen Abhandlungen der Neuzeit – also zum Beispiel mit Descartes’ Meditationes de prima philosophia, mit Lockes Essai Concerning Human Understanding und Kants Kritik der reinen Vernunft –, so fällt auf, dass Hegel keinen Traktat geschrieben hat: Das Buch entwickelt nicht systematisch eine Position, mit der ein bestimmter Bereich philosophischer Fragestellungen gewissermaßen sukzessive ab- und ausgearbeitet wird. Hegel rechtfertigt diese Eigentümlichkeit in der Einleitung der PhG, in der er die Gründe dafür darlegt, warum es aus seiner Sicht problematisch ist, einfach systematisch eine philosophische Position zu entwickeln.

      Diese Gründe werde ich im Kommentar der Einleitung ausführlich erörtern. An diesem Punkt reicht es erst einmal, die Eigentümlichkeit der PhG weiter zu charakterisieren: Sie entwickelt nicht systematisch eine eigene Position, sondern ordnet vielmehr andere Positionen in einer systematischen Art und Weise. Diese Positionen sind aber oftmals nicht klar als solche einzelner Philosophen zu erkennen; sie beziehen auch naturwissenschaftliche Theorien wie die Newtonsche

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