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      Das Attentat auf John Lennon führt nicht nur zu Spekulationen, sondern animiert auch Künstler. Ein beeindruckendes Tondokument stammt von der irischen Rockgruppe The Cranberries, die mit dem Song zum Nordirlandkonflikt »Zombie« 1994 international erfolgreich sind. In »I Just Shot John Lennon« aus demselben Jahr singt Dolores O’Riordan in monoton-zornig-eindringlicher Art über Lennons Tod und zitiert den Attentäter wörtlich: »Do it, do it.« Der Song rekapituliert abwechselnd sachlich und mit poetischem Furor den 8. Dezember und wiederholt immer wieder »John Lennon died«, so, als könne man es immer noch nicht begreifen.

      Die Obengenannten und viele andere erinnern auf je eigene Weise an ihr Idol: Der Filmer Mark R. Elsis setzt sich unter dem Motto »Love is our answer« mit vielen Aktionen für die Erhaltung und Verbreitung von Lennons Gedanken ein. Ihm gelingt es, Phil Spector in seine Projekte einzubinden, kurz bevor dieser 2009 wegen Mordes verurteilt und inhaftiert wird. Elsis nennt seinen Film »Strawberry Fields«, der 2009 unter anderem auf dem Philadelphia Independent Film Festival gezeigt wird.

      Was bleibt nach Jahren der Recherche und schreibend an dieser Biografie? Vor allem die Gespräche mit Cynthia Lennon, May Pang und Klaus Voormann, die mir über ihre Bücher hinaus den Menschen John Lennon näherbrachten. Die »Hamburg Days« lassen sich übrigens fabelhaft durch Voormanns Zeichnungen und Texte auch im Internet nachvollziehen: www.voormann.com. Oder die Nachricht meines Freundes Dr. Jazz, dessen Tochter in der vierten Klasse einen Vortrag über einen verstorbenen einflussreichen Menschen halten soll und sich nicht für Einstein, Gandhi, J.F. Kennedy, M.L. King, Mutter Teresa oder Albert Schweitzer entscheidet, sondern für John Lennon.

      Oder die BBC-Reporter, die am Ende ihres Interviews mit John und Yoko am 6. Dezember 1980 das Band weiterlaufen lassen, weshalb zu hören ist, wie John gut gelaunt und aufgeräumt sich und Yoko ermahnt, Sohn Julian mitzuteilen, wann dieses Interview gesendet wird, damit Tante Mimi und sein Erstgeborener die Neuigkeiten aus New York und die Grüße, die er seinen Verwandten über den Atlantik ausrichtet, auch hören können. Oder die Verletzlichkeit bei seiner ersten Reaktion auf Brian Epsteins Tod vor laufender Kamera. Obwohl er sich auf das TV-Team kurz vorbereiten kann, zerfällt sein Gesicht für Sekunden zu unermesslichem kindlichen Schmerz. Es scheint, als wiederhole sich die Trauer für die vielen geliebten Frühverstorbenen: Onkel George, Mutter Julia, Stu Sutcliffe und auch seine Idole Buddy Holly und Eddie Cochran. Oder die Metamorphosen: sein Gesicht als pummeliger Pilzkopf, als gequälter Jesus und zuletzt als zuversichtlicher Asket. Sein Körper mal weich, mal muskulös und zuletzt yogagestählt drahtig. Oder John, der in der Dick-Cavett-Show auf NBC bei der erfolgreichen Verteidigung seiner Wortwahl in »Woman Is The Nigger Of The World« einleitend über Yoko und seine neue Wahlheimat sagt: »Yoko liebt Amerika, und sie hat mich zu einem dieser New-York-Fanatiker konvertiert. Jetzt hasse ich es, wenn ich New York verlassen muss.«

      Bleiben wird auch der Kontrast zwischen seiner Aussage noch zu Beatles-Zeiten auf die Frage, wie er sterbe, er werde wahrscheinlich von irgendeinem Verrückten ausgeknipst (»I’ll probably be popped off by some loony«, erinnert sich Sonny Drane), und seiner Bemerkung im Dialog mit Phil Spector im Studio während der »Rock’n’Roll«-Aufnahmen, Elton John (mit dem er wenig später den Nr.-1-Hit »Whatever Gets You Thru’ The Night« aufnehmen wird) sterbe wohl bald, aber er werde ein 90-jähriger Guru. Oder »Power To The People« live von Mary J. Blige, John Legend und den Black Eyed Peas (»now is the hour for power«) mit Lennons Konterfei im Hintergrund (auch das nachzusehen auf YouTube). Oder Ringo Starr, der 2010 kurz vor seinem 70. Geburtstag nicht nur sein erstes selbst produziertes Soloalbum veröffentlicht, sondern auch mitteilt, er werde keine Memoiren schreiben, weil alle Agenten und Verlage nur von ihm wissen wollten: »Wie war John wirklich?« Oder US-Präsident Barak Obama, dem US-Journalisten eine »Lennonesque heal the world«-Haltung attestieren. Oder Olivia Harrison und Yoko, die gemeinsam mit Paul und Ringo von einer »extended Family« sprechen. Olivia und Yoko, die nach dem Tod ihrer Ehemänner George und John nicht mehr geheiratet haben und wohl nie mehr heiraten werden und das auf die Persönlichkeiten ihrer Gatten zurückführen, auf ihre Melodien, auf ihre positiven Gedanken. Alle möglichen männlichen Nachfolger verblassen dagegen. Oder George Martins Gesichtsausdruck in den 1990er Jahren, über das Mischpult gelehnt, sich an einen Witz seines Freundes John erinnernd und gegen die Tränen kämpfend. Vielleicht auch deshalb, weil niemand den ersten Produzenten der Beatles je gefragt hat, wie verletzend für ihn der Weggang des Bandleaders 1970 zu Phil Spector gewesen ist. Oder Yoko Ono, die mit Hilfe des befreundeten Fotografen Bob Gruen im Frühjahr 1981 Johns blutige Brille fotografiert, was keine Bitterkeit im Betrachter auslöst, sondern zu Yoko und John passt. Es entspricht ihrer beider Art, mit Schmerz umzugehen und dabei den Leidensweg festzuhalten, darzustellen und zu veröffentlichen.

      Das alles bleibt und weist in die Zukunft. John Lennon, ermordet 1980, unvollendet mit 40 Jahren und an einem Punkt, an dem er sich weitgehend gehäutet hat und für sein großes »Starting Over«-Projekt inklusive Welttournee bereit ist. Heute, mit 80 Jahren, ist John Lennon ruhmreich wie nie. Der Name John Lennon bedeutet Verwandlung auf der Suche nach Vervollkommnung, bedeutet Einsicht und Offenlegung eigener Schwächen, verbunden mit dem Versuch, daraus zu lernen und es anders und besser zu machen – das Scheitern dieser Versuche immer im Blick, immer bereit, auch Missglücktes in Kunst zu verwandeln. Mit John Lennon verbindet sich die kreative Energie eines New Yorker Zynikers mit der destruktiven Seite eines Liverpooler Rockers. John Lennon, ein romantischer Träumer zwischen den Polen Aggression und Zärtlichkeit, zwischen Gewalt und Liebe. Es bleibt das Warten auf seine noch unveröffentlichten Tagebücher, die gestohlen wurden und 2017 in einem Berliner Auktionshaus wieder auftauchten. Die unrechtmäßigen Besitzer hatten Yoko mit Indiskretionen gedroht. Doch jetzt sind die Tagebücher wieder bei ihr. Ob sie jemals für Beatles-Fans zugänglich gemacht werden, bleibt fraglich.

      John Lennon ist lange tot, aber viele Fragen sind offen. Allein das Rätsel um den Verbleib seiner Asche ist Anlass für neue Auseinandersetzungen mit ihm. Es gibt kein Grab; John ist nicht begraben. Man findet ihn auf keinem Friedhof. Es ist kein Frieden um den Rockpoeten, der uns Frieden gibt mit seinen Songs.

      John Lennon ruht nicht.

      Nicola Bardola, München 2020

      »Und es gibt keine Zeit, in der ich alleine bin«

      Vertrautheit, Innigkeit, Intimität: Die Liebe als Leitmotiv

      Letzte Nacht sagte ich diese Worte zu meinem Mädchen:

      Ich weiß, du versuchst es nicht einmal.

      Nun komm schon.

      Bitte, tu mir den Gefallen.

      So wie ich ihn dir tue.

      Du musst mir nicht zeigen wie, Liebe.

      Warum muss ich immer von »Liebe« reden? …

      Ich will mich ja nicht beklagen, aber du weißt, es regnet immer in meinem Herzen.

      Ich tu doch alles für dich.

      Es ist so schwierig, vernünftig mit dir zu reden.

      Warum machst du mich traurig?

      Komm schon, tu mir den Gefallen.

      Yeah!

      Please please me, whoa yeah!

      Es gibt mehrere Möglichkeiten, »Please Please Me« ins Deutsche zu übertragen. So einfach der Text des ersten, von Paul McCartney geschriebenen Beatles-Hits in England »Love Me Do« ist, so vieldeutig sind die Worte seines Partners auf der zweiten und deutlich erfolgreicheren Hit-Single der Band, »Please Please Me«, die im März 1963 erstmals Platz eins im »Melody Maker« erreicht.

      Außerhalb Liverpools kennt man die vier Musiker vor diesem Hit kaum. Mit John Lennons mehrdeutiger Bitte erreichen die Beatles ihren ersten nationalen Top-Ten-Erfolg. Produzent George Martin, der ursprünglich die liebliche und harmlose Fremdkomposition »How Do You Do It« statt »Please Please Me« veröffentlichen wollte, ist begeistert, er spürt die beginnende Mersey-Beat-Hysterie (eine Anspielung auf das County Merseyside, in dem Liverpool liegt) und bittet die vier wieder ins Studio. »Please Please Me« gibt auch der ersten LP den Namen, verwirrt und erhitzt die Fans und begründet die Beatlemania.

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