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die nachfolgend noch Thema dieses Buches sein werden.

      Zum Jahreswechsel 2009/2010 kündigt die 76-jährige Yoko Ono an, sie wolle nun entgegen ihrer bisherigen Beteuerungen eine Autobiografie schreiben. Der Schwerpunkt solle ihre Beziehung zu ihrer großen Liebe John Lennon sein. Die zweite Ehefrau des Rockstars rechnet für das Verfassen der Enthüllungen, an die große Erwartungen bezüglich ihrer Rolle bei der Trennung der Beatles geknüpft werden, mit etwa fünf Jahren. Aber bis heute ist die Autobiografie nicht erschienen.

      Paul McCartney regt 2009 die Überarbeitung des Drehbuchs zum Kinofilm »Nowhere Boy« an, der in England hochgelobt wurde und im Winter 2009/2010 in den deutschsprachigen Kinos lief. In der alten Fassung wurde Tante Mimi, eigentlich Mary Elizabeth Stanley Smith, als strenge und herzlose Gouvernante porträtiert. Dank McCartney erscheint sie nun auf der Leinwand – dargestellt von Hollywood-Star Kristin Scott Thomas – mit Zwischentönen. »Tante Mimi war nicht grausam. Sie täuschte Strenge nur vor. Sie hatte aber ein gutes Herz und liebte John über alle Maßen«, sagt McCartney in einem Interview mit dem »Daily Express«.

      Die Überlebenden versuchen, das Bild John Lennons immer wieder neu zu gestalten: die Witwe, die Exfrau, die Geschwister, die Kinder, die entfernteren Verwandten, Freunde oder Kollegen, indem sie in Interviews und Memoiren den Star aus ihrer Sicht beschreiben; die Nachgeborenen, indem sie sich sein Werk neu anverwandeln.

      Nicht nur Weggefährten und Experten kommen von diesem Ausnahmekünstler nicht los. Er beschäftigt auch die kreative Jugend von heute. Fatih Akin beispielsweise zitiert auf seinem Filmplakat zu »Soul Kitchen« den berühmten Satz aus dem Song »Beautiful Boy«: –, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu machen, und bemerkt dazu: »John Lennon wusste einfach Bescheid.« Der Satz geht möglicherweise auf Allan Saunders zurück oder ist noch älteren Ursprungs, aber John Lennon verstand es, kluge Einsichten oder immerwährende Wahrheiten auf seine Weise populär zu machen. Eine sehr frühe und gelungene Flashmob-Aktion im deutschsprachigen Raum fand bereits am 23. Dezember 2009 statt, als sich mehrere hundert Leute in sozialen Netzwerken verabredeten, um in Zwickau in den Arkaden »Give Peace A Chance« zu singen. Die legendäre Schnelligkeit des berühmtesten Beatles ist nicht nur Vorbild, sondern wird in neue Initiativen mit neuen Medien eingebunden.

      John Lennon ist auf beeindruckende Weise im 21. Jahrhundert angekommen. Den Digital Natives zeigt sich die Pop-Ikone nicht nur als historische Figur, sondern auch als Avatar, als Stellvertreter im Internet. Wo das World Wide Web und die Wirklichkeit verwechselt werden, nutzt der virtuelle Lennon die Globalisierung, spielt seine Rolle in Games oder verbreitet seine Botschaften online fast noch nachhaltiger als früher. Im Internet bietet vor allem YouTube eine Plattform für die Präsentation sowohl historischer Dokumentationen als auch neuer Filme. Da sind wissenschaftlich akribisch aufgearbeitete Sounds und Clips ebenso zu finden wie Samplings, Remixe und schöpferische Phantasien, beispielsweise die von Scott Gairdner, der sich in das Jahr 3000 versetzt und »rückblickend« den Beatles-Mythos nachzeichnet. Bemerkenswert ist die grafische und musikalische Rekonstruktion von »Sgt. Pepper« alias »Sgt. Petsound« und die Tatsache, dass im Vierminuten-Film »The Beatles 1.000 Years Later« von den Fab Four einer noch John Lennon heißt, doch die anderen drei Paul McKenzie, Greg Hutchinson und Scottie Pippen sein sollen. Ein Spaß nur, der aber auf die Bedeutung Lennons hinweist, dessen Ruhm sich in der virtuellen und in der Folge auch in der realen Welt vervielfacht.

      Es sind auch die vielen Suchmaschinen- und YouTube-Treffer, die dazu führen, dass John Lennon laut Forbes-Liste kontinuierlich zu den Top-Verdienern aus dem Jenseits gehört. Ein interessanter Start in die YouTube-Lennon-Welt erfolgt über den Usernamen BenefitOfMr-Kite, der unter anderem das Demo »Now & Then« zu Gehör bringt sowie die Dakota-Tapes – jene Tonbänder, die er in seiner Hausmannszeit aufgenommen hat – und einige bemerkenswerte Clips zu ihm und den Beatles zusammengestellt hat, beispielsweise eine seltene Aufnahme von John und Yoko 1972 bei Proben vor einem Konzert. Von dort aus führen viele Wege zu einer täglich wachsenden Zahl von Lennon-YouTube-Fundstücken.

      Zu John Lennons Ruhm tragen Gerüchte, Geheimnisse und Rätsel aller Art bei. Lennon-Biografen kommen nicht ohne mythologische Recherchen aus, besonders was die Numerologie oder mysteriöse Todesfälle betrifft. Ein chilenischer Journalist fand bei seinen Untersuchungen zu dem bis heute ungeklärten Tod des aus Chile stammenden Newcastle-Fußballspielers Eduardo »Ted« Robledo ein bemerkenswertes Foto, das John Lennon gekannt haben muss. Die von ihm selbst als persönliche Glückszahl definierte Neun entspricht nämlich nicht nur seinem Geburtstag, sondern taucht erstmals prominent auf einer Kinderzeichnung des elfjährigen Schülers auf. Nachforschungen haben ergeben, dass die Vorlage für die Zeichnung, die 1974 sein Soloalbum »Walls And Bridges« ziert, ein Zeitungsfoto vom Fußball-Cup-Finale zwischen Arsenal und Newcastle United von 1952 im Londoner Wembley Stadion ist. Newcastle gewann vor 100.000 Zuschauern mit 1:0. Die Szene zeigt den Kopfballtreffer des Chilenen George Robledo, dem Bruder von Ted. Rechts außen ist der Mitspieler Jackie Milburn zu sehen, er trägt die vom Ex-Beatle groß gezeichnete Rückennummer 9 und starb an Lennons Geburtstag am 9. Oktober 1988.

      Auch um den Tod des Künstlers ranken sich Gerüchte, Legenden und seltsame Zufälle: »Who Killed John Lennon?«, fragt der englische Journalist und Anwalt Fenton Bresler in seinem gleichlautenden Buch. Er glaubt, dass der Attentäter ebenso ein Opfer sei wie der Star selbst. Mark David Chapman sei von den Drahtziehern des Attentats einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Die naheliegende psychologische Theorie, Chapman wollte mit der Tat selbst berühmt werden, akzeptiert Bresler nicht, allein schon aufgrund von Chapmans Scheu vor den Medien. Auch Beatles- und Lennon-Produzent Phil Spector stellt schon kurz nach dem Mord ähnliche Überlegungen an.

      Verstärkt werden Verschwörungstheorien, die George H.W. Bush als letzte Instanz hinter dem Attentat ausmachen, insbesondere durch Lennons Äußerung von 1972: »Sollte jemals Yoko und mir etwas zustoßen, so war das kein Unfall.« Als die amerikanische Journalistin Barbara Walters 1992 Chapman für den Nachrichtensender ABC interviewt, wiederholt er vor laufender Kamera seine Aussage, Stimmen gehört zu haben – »do it, do it« –, woraufhin er fünfmal auf John geschossen habe. Das Motiv: Er wollte John Lennons Ruhm auf sich lenken. Es ist beängstigend, wie ruhig und gefasst der Attentäter mit seiner dünnrandigen und übergroßen Brille – so, als wollte er damit die Brille seines Opfers übertrumpfen – diese absurde Tat schildert. Die TV-Dokumentation »The Day John Lennon Died« (45 Minuten, 2010) lässt den Mörder nicht zu Wort kommen, sondern dokumentiert sachlich und fast Stunde für Stunde, was sich am Ende ereignet. Sehenswert ist der Film (Regie Michael Waldman) auch wegen der vielen Augen- und Zeitzeugen und Verehrer: Yoko, Cilla Black, Dick Cavett, David Frost, Elliot Mintz, Andy Peebles, Dave Sholin (er macht für den Radiosender RKO das letzte Interview mit John und Yoko), Jack Douglas, Bob Gruen, Paul Goresh (Fan und Hobbyfotograf, der die letzte Aufnahme von John vor dem Dakota macht), Dr. Stephan Lynn (Notfall-Arzt im Roosevelt Hospital, der die aussichtslose Rettungsoperation durchführt und mit seinen Händen Johns Herz massiert), Gerry Marsden (Gerry and the Pacemakers), Liam Gallagher (Oasis) und viele andere. Es ist Jack Douglas, der die Reaktionen der Menschen, die John persönlich nahestehen einerseits und die Reaktionen des großen Publikums andererseits treffend zusammenfasst. Douglas erklärt, dass John zu etwa achtzig Prozent die aufrichtige und direkte Musik selbst ist, die er für die Menschen macht, weshalb alle völlig zu Recht meinen, dass sie John sehr gut kennen, daher auch die weltumspannende Trauer.

      Je länger man sich mit Lennons Tod beschäftigt, desto eher neigt man zur Suche nach weiteren Erklärungen für dieses Gewaltverbrechen, das – ähnlich wie der Tod Bob Marleys – möglicherweise gesellschaftspolitische Hintergründe hatte. Zwischen Reggae-Star Marley und Rockpoet Lennon bestehen bis zuletzt viele Verbindungslinien: Eine Inspirationsquelle für mehrere der letzten, teilweise posthum veröffentlichten Kompositionen Lennons sind die Songs des Jamaikaners. Merkwürdig, wie rätselhaft John Lennons Tod bleibt, wo doch offenbar alle Fakten auf dem Tisch liegen, Augenzeugen und sogar der Mörder selbst befragt werden können. Im Jahr 2006 wiederholt Yoko Ono im Rahmen des Films »The U.S. vs. John Lennon« ihre Vermutung, dass »sie« versucht hätten, John zu töten, dass es ihnen aber nicht gelungen sei, denn seine Botschaft sei immer noch lebendig. Mit »sie« sind die Behörden, CIA und FBI, sowie die Regierung bis hinauf zum Präsidenten gemeint. »Laurel and Hardy, das sind John und Yoko. Und wir haben so

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