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– jedenfalls nicht jetzt und hier. Seine Mutter begriff das sofort und stellte keine weiteren Fragen. Sie konnten zu Hause darüber reden, in aller Ruhe und unter vier Augen.

      »Kann ich meinen Sohn mitnehmen?«, fragte sie.

      »Ja«, antwortete Eckart Sternberg. »Aber er sollte sich noch schonen, stecken Sie ihn zwei oder drei Tage ins Bett, sein Kopf braucht Ruhe. Außerdem wird er spätestens morgen ein ziemlich buntes Gesicht haben. Legen Sie Kühlkissen auf die Schwellungen, und ich gebe Ihnen noch eine Salbe mit, die verhindert, dass die Blutergüsse allzu schlimm ausfallen. Viel mehr können Sie nicht tun.«

      »Ich will lieber in die Schule gehen«, ließ sich Peter vernehmen.

      »Du hast gehört, was der Herr Doktor gesagt hat. Drei Tage Bettruhe wirst du schon aushalten. Ich kann deine Lehrer ja fragen, was du in dieser Zeit im Unterricht versäumst.«

      Peter schüttelte leicht den Kopf. Er wandte sich an Antonia. »Vielleicht kann Kyra mir schreiben«, schlug er schüchtern vor, »was durchgenommen wird und welche Aufgaben wir bekommen.«

      Antonia fiel aus allen Wolken. »Ihr geht in eine Klasse, Kyra und du?«

      »Ja. Ich weiß das aber erst, seit ich Ihren Namen gehört habe«, erklärte der Junge.

      Auch seine Mutter reagierte überrascht. »Ich wusste nicht, dass Sie eine Tochter haben, Frau Dr. Laurin.«

      »Zwei sogar – und zwei Söhne«, erklärte Antonia mit einem Lächeln. »Kyra ist unsere Jüngste. Sag mir, wie sie dich erreichen kann, Peter. Oder weiß sie das?«

      »Nein. Haben Sie was zu schreiben?«

      Und so verabschiedete sich Antonia wenig später mit einem Zettel in der Tasche, auf dem zwar nichts stand als eine Telefonnummer und eine Mail-Adresse, aber etwas an Peters Gesichtsausdruck hatte ihr verraten, dass sich dahinter so etwas wie eine erste schüchterne Liebeserklärung versteckte.

      Kyra und Peter waren elf! Aber sie erinnerte sich, dass es auch in ihrem Leben eine Kinderliebe gegeben hatte und wenn sie sich nicht täuschte, war sie seinerzeit sogar noch etwas jünger gewesen. Und noch etwas fiel ihr ein: dass Kyra an ihrem Geburtstag erklärt hatte, noch habe sie keinen Freund, aber vielleicht bald.

      Ob sie da von Peter Stadler gesprochen hatte?

      *

      Als Florian nach Hause kam, war die Wohnung leer. Er hatte vom ersten Moment an ein komisches Gefühl, das er sich nicht erklären konnte. Ella war öfter nicht zu Hause, wenn er aus dem Büro kam, aber es dauerte dann nie lange, bis sie auftauchte. Mal war sie einkaufen gewesen, mal bei einer Freundin, gelegentlich allerdings auch bei Dr. Laurin …

      Er verzog das Gesicht. Frau Dr. Laurin war ihm auf Anhieb sympathisch gewesen, nicht nur, weil sie sofort gesehen hatte, dass ein Kind in Not war, während die übrigen Passanten blind und taub für das Geschehen um sie herum weitergegangen waren. Nein, sie hatte insgesamt sehr umsichtig reagiert, war nicht hektisch oder panisch geworden, sondern hatte getan, was getan werden musste. Er konnte nur hoffen, dass man die anderen Jungen ausfindig machte und empfindlich bestrafte.

      Der Anblick des Jungen, der so tapfer gewesen war und nicht einmal geweint hatte, verfolgte ihn. Dieses blutverschmierte Gesicht, die zerbrochene Brille und dann noch die Bitte, seine Mutter nicht zu beunruhigen – er hatte mit den Tränen kämpfen müssen, und er wusste auch, warum. Er hatte sich selbst in diesem Jungen wiedererkannt.

      Er ging in die Küche, um festzustellen, was Ella zum Abendessen eingekauft hatte, aber der Kühlschrank war ziemlich leer. Wenn sie jetzt erst zum Einkaufen gegangen war, würde es spät werden mit dem Abendessen.

      Das Wohnzimmer war so aufgeräumt, dass er irritiert die Stirn runzelte. Es sah irgendwie … unbewohnt aus. So, als hätte Ella alles, was an sie erinnerte, fortgenommen. Kein Buch mit Lesezeichen lag herum, keine Strickjacke, kein Schal, keine Rezeptsammlung.

      Einer plötzlichen Eingebung folgend ging er ins Schlafzimmer und öffnete ihren Schrank. Fassungslos starrte er auf die fast leere Kleiderstange und die Fächer, in denen vorher kaum noch Platz für etwas Neues gewesen war. Jetzt lagen dort noch ein paar vereinzelte T-Shirts und ein leichter Sommerpulli, alles andere war weg. Genau so war es bei den Schuhen, und als er schließlich im Wandschrank nachsah, wo ihre Koffer standen, wurde aus seinem Verdacht Gewissheit: Ella hatte ihn verlassen.

      Er lief durch die ganze Wohnung, suchte nach einem Brief von ihr, der eine Erklärung enthielt, fand aber nichts. Sie war ohne ein Wort gegangen.

      Panik stieg in ihm auf. Er liebte Ella, er konnte sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen, aber bei ihr war es offenbar anders. Sie schien es sich vorstellen zu können, ohne ihn zu leben, weil er sich weigerte, ihr ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Wie oft hatte er sich schon gefragt, ob er nicht nachgeben und endlich einwilligen sollte, mit ihr eine Familie zu gründen, aber sofort kehrte die Panik zurück, und er wusste, er würde es nicht über sich bringen.

      Er begann zu telefonieren, rief alle Leute an, von denen er sich vorstellen konnte, dass sie vielleicht wussten, wo Ella sich jetzt aufhielt, aber niemand konnte ihm helfen. Oder wollte ihm niemand helfen?

      Er versuchte, sich zu beruhigen, schließlich war niemandem geholfen, wenn er jetzt durchdrehte. Er musste Ella finden und ihr sagen, wie sehr er sie liebte und dass er überzeugt davon war, mit ihr auch ohne Kinder ein glückliches Leben führen zu können. Vielleicht würde er ihr sogar endlich erzählen, warum er keine Kinder haben wollte, und dann würde sie erkennen, dass sie ihn in diesem Punkt nicht länger unter Druck setzen durfte.

      Als ihm niemand mehr einfiel, den er anrufen konnte, verließ er die Wohnung. Es gab einen Menschen, dem er jetzt unbedingt die Meinung sagen musste.

      *

      »Bist du böse auf mich?«, fragte Peter.

      »Höchstens, weil du mir nicht von diesen Jungen erzählt hast. Ich dachte immer, wir beide könnten über alles reden.«

      »Können wir ja auch. Aber du hattest doch sowieso schon Stress in deinem neuen Job – und ich dachte, ich komme schon irgendwie damit klar.«

      »Wie lange geht das schon so?«

      »Paar Wochen«, nuschelte Peter.

      »Aber es war nicht von Anfang an so schlimm wie heute?«

      »Nee, am Anfang haben sie mir nur blöde Sachen hinterher gerufen. Dann haben sie angefangen, mich zu schubsen und zu treten. Ich sollte ihnen Geld geben, damit sie aufhören.«

      »Geld geben?«, rief Britta entsetzt. »Sie haben dich erpresst?«

      »Sie haben es versucht, ich habe ihnen ja nichts gegeben. Aber dadurch ist es immer schlimmer geworden. Zum Schluss – na ja, ich hatte echt Angst.«

      »Sie waren zu viert und älter als du. Was für eine feige Bande!«

      »Das habe ich mir auch immer gesagt, aber geholfen hat es leider nicht. Zum Schluss haben sie gedroht, mir mein Handy wegzunehmen.«

      »Wir werden Anzeige erstatten«, sagte Britta.

      »Ich bin froh, dass du jetzt Bescheid weißt, Mama. Tut mir leid, dass ich dir nicht schon früher davon erzählt habe.«

      »Wenn wieder mal etwas ist, was dir zu schaffen machst, redest du mit mir, versprich mir das.«

      »Ich verspreche es.«

      »Und jetzt erzähl mir von Kyra Laurin. Sie ist also nett?«

      »Ja«, antwortete Peter. »Sie ist überhaupt nicht albern, sie kichert auch nicht dauernd wie die anderen Mädchen, und sie trägt nicht so blöde Klamotten. Sie ist ziemlich schüchtern, aber sie ist mir gleich aufgefallen. Ich dachte nur …«

      Er verstummte.

      Britta wartete geduldig, bis er weitersprach. »Ich dachte, sie findet nur größere Jungen toll, weil sie manchmal mit einem auf dem Schulhof geredet hat. Aber dann habe ich gehört, dass das einer ihrer Brüder war.« Jetzt glühte sein Gesicht rosig.

      Britta

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