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länger seine Patientin, und er wusste, wie sehnsüchtig sie sich ein Kind wünschte. Wenn er sie gefragt hatte, wann ihr Mann bereit sei, sich ebenfalls untersuchen zu lassen, hatte sie jedes Mal ausweichend gesagt, er finde es noch zu früh für ein Kind. Mehr Informationen über Florian Ammerdinger hatte er bislang nicht gehabt und angenommen, das Problem werde sich eines Tages auf natürliche Weise lösen. Ein frisch verliebtes Paar dachte ja nicht immer an Verhütung, und dann, so hatte er angenommen, würde Ella Ammerdinger sofort schwanger werden.

      Nun stellte sich die Sache mit einem Mal anders dar.

      »Das hat er mir schon vor der Hochzeit gesagt, aber ich habe nicht geglaubt, dass er dabei bleibt«, fuhr seine junge Patientin fort. »Wir lieben uns wirklich, Herr Dr. Laurin, nur in diesem einen Punkt können wir uns nicht einigen.«

      »Sie verhüten doch, oder?«, fragte Leon.

      »Früher ja, aber jetzt verhütet mein Mann«, antwortete Ella zu seiner Überraschung. »Er weiß ja, dass ich gern ein Kind hätte, und da er solche Angst hat, ich könnte eins bekommen, hat er gesagt, er nimmt das lieber selbst in die Hand, damit auch ja nichts schief geht.«

      »Das heißt, er vertraut Ihnen nicht?«

      »Er will jedenfalls nichts riskieren. Und es kann schon sein, dass ich die Pille heimlich absetzen würde«, gestand Ella. »Aber er verhütet immer, er vergisst es nicht, nicht einmal, wenn es … also, wenn es ziemlich stürmisch zugeht zwischen uns. Ich versuche manchmal, ihm so den Kopf zu verdrehen, dass er die blöden Kondome endlich mal vergisst, aber bis jetzt habe ich das noch kein einziges Mal geschafft.«

      »Aber er hat sich nicht sterilisieren lassen?«

      Sie sah ihn an, fassungslos. »Nein, jedenfalls hat er davon nichts gesagt«, stammelte sie. »Ich … also … nein, ich denke, das hätte er mir erzählt.«

      »Hat Ihr Mann Ihnen gesagt, warum er keine Kinder will?«

      Ella schüttelte traurig den Kopf. »Er behauptet, es gibt keinen besonderen Grund dafür, er wüsste nur, dass er ein völlig ungeeigneter Vater wäre, weil er mit Kindern einfach nicht umgehen kann. Dabei stimmt das nicht, ich habe ihn schon manchmal beobachtet, wenn er mit Kindern aus der Nachbarschaft redet. Die mögen ihn alle, aber wenn ich das erwähne, winkt er nur ab und will es nicht hören. Dann sagt er, wenn man mal ein paar Sätze mit Kinder wechselt, kann man das nicht vergleichen mit der Situation, ein Kind großzuziehen und dauerhaft Verantwortung zu übernehmen.«

      »Haben Sie denn schon versucht, einmal in aller Ruhe ein Gespräch mit ihm darüber zu führen? Ich meine ein Gespräch, in dem sie ihn um eine Erklärung bitten, damit Sie seine Haltung verstehen können? Und vor allem ein Gespräch, in dem Sie nicht weinen, sondern sich um Gelassenheit bemühen, damit er sich nicht unter Druck gesetzt fühlt?«

      »Versucht habe ich es, aber ich kriege es nicht hin. Ich fange immer an zu weinen oder ihm Vorwürfe zu machen, und dann streiten wir. Eigene Kinder sind bei uns das einzige Thema, über das wir streiten.«

      »Was erzählt er denn über seine Kindheit und Jugend?«

      »Nicht viel, er hat sich nicht besonders gut mit seiner Mutter verstanden, sie haben praktisch keinen Kontakt mehr. Ich habe sie bis heute nicht kennengelernt, sie war auch nicht bei unserer Hochzeit.«

      »Und der Vater?«

      »Der hat überhaupt keine Rolle in seinem Leben gespielt, die Eltern haben sich früh scheiden lassen.«

      »Vielleicht ist der Grund da zu suchen?«

      »Danach habe ich ihn auch schon mal gefragt, aber dann winkt er immer gleich ab und sagt, ich soll aufhören, die Psychologin zu spielen. Er würde sich der Vaterrolle einfach nicht gewachsen fühlen, fertig. Bitte, helfen Sie mir, Herr Dr. Laurin!«

      »Aber wie? Der Einzige, der Ihnen helfen kann, ist Ihr Mann. Wenn er einmal herkäme, könnte ich versuchen, ihm etwas mehr zu entlocken, aber so …« Leon schüttelte den Kopf. »Es muss Gründe geben für die Selbsteinschätzung Ihres Mannes, und es liegt ja nahe, diese Gründe in seiner Familie zu vermuten. Aber wenn er sich weigert, darüber zu reden und wenn er selbst eine Empfängnis verhütet …«

      Ella schlug beide Hände vor ihr Gesicht und brach in Tränen aus. »Dann muss ich mich von ihm trennen«, schluchzte sie. »Aber ich liebe ihn doch so sehr, Herr Doktor!«

      Selten hatte sich Leon Laurin so hilflos gefühlt. Hier lag ja kein schwieriges medizinisches Problem vor, das er hätte lösen müssen. Hier ging es um etwas anderes, und noch sah er keine Möglichkeit, seiner Patientin zu helfen.

      Dennoch sagte er: »Reden Sie noch einmal mit ihm. Bitten Sie ihn, Ihnen seine Haltung zu erklären. Er ist Ihr Mann, er liebt Sie. Also wird er Ihnen doch offen sagen können, warum er keine Kinder möchte.«

      »Ich glaube nicht, dass er das tut«, erwiderte Ella niedergeschlagen. »Ich habe es ja schon öfter versucht. Wissen Sie, was ich mir schon mal überlegt habe?«

      »Was denn?«

      »Dass ich all seine Gummis durchlöchere und dann abwarte, was passiert, wenn ich gegen seinen Willen schwanger geworden bin.«

      »Was denken Sie? Was würde er tun?«

      »Sich scheiden lassen«, antwortete Ella nach kurzem Zögern.

      »Ich würde Ihren Mann gerne kennenlernen, um mir selbst ein Bild von ihm zu machen, Frau Ammerdinger.«

      »Er wird nicht kommen, nie im Leben. Und wenn er wüsste, was ich Ihnen heute alles erzählt habe, würde er es als Verrat ansehen.« Sie lächelte traurig. »Ich befolge Ihren Rat und bitte ihn, offen mit mir zu reden, aber ehrlich gesagt: Ich verspreche mir nichts davon.«

      Als sie sich verabschiedet hatte, machte sich Leon nachdenklich ein paar Notizen. So ein seltsamer Fall war ihm schon lange nicht mehr untergekommen. Was nur sollte er tun, um Ella Ammerdinger zu helfen?

      *

      »Na, Brillenschlange?«

      Peter Stadler versuchte, einfach weiterzugehen, ohne den Kopf einzuziehen oder seine Schritte zu beschleunigen. Wenn er das nämlich tat, machte er alles nur noch schlimmer, wie er aus leidvoller Erfahrung wusste.

      Die vier Jungen, die ihn seit ­Wochen fast jeden Tag nach der Schule drangsalierten, waren alle größer als er, und sie gingen auf eine andere Schule. Er hatte keine Ahnung, warum sie sich gerade ihn ausgesucht hatten, aber es gab offenbar keine Möglichkeit, ihnen zu entkommen. Er hatte schon größere Umwege in Kauf genommen, aber irgendwie schienen sie immer zu wissen, wo sie ihn finden konnten, jedenfalls spürten sie ihn auch dann auf, wenn er nicht den üblichen Heimweg wählte.

      Er war noch neu in München, erst seit zwei Monaten wohnte er hier. Seine Mutter hatte eine Stelle in einem Architekturbüro bekommen, deshalb waren sie aus dem bayrischen Wald hierher gezogen. Der neue Chef seiner Mutter hatte ihnen sogar geholfen, eine Wohnung zu finden. Die war zwar kleiner als die vorherige, aber groß genug für sie beide.

      Seinen Vater kannte Peter nicht, seine Eltern hatten sich schon kurz nach seiner Geburt wieder getrennt. Ihm machte das nicht viel aus, er vermisste keinen Vater. Seine Mutter fand er toll, mit ihr konnte er über alles reden, und sie war meistens guter Dinge.

      Er dagegen war ein eher ernsthafter Junge, der über den Lauf der Welt nachdachte und beschlossen hatte, später einmal in die Politik zu gehen, um die Welt zu verbessern. Seine Mutter hatte nur gesagt: »Nur zu, mach das. Du hast schon immer gewusst, was du willst, ich verspreche dir, ich wähle dich, weil ich überzeugt davon bin, dass du ein großartiger Politiker sein wirst.«

      So war sie. Auf sie konnte er sich immer verlassen – und sie sich auf ihn.

      Da sie es aber gerade ein bisschen schwer hatte in dem neuen Büro – sie musste sich da ja erst durchsetzen – wollte er ihr nicht von diesen vier Jungen erzählen, die offenbar beschlossen hatten, ihm das Leben schwer zu machen. Er war ja schon elf, da konnte man auch mal versuchen, allein mit einem Problem fertig zu werden.

      Dumm war nur, dass er nicht besonders

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