Скачать книгу

– zu erzählen und zog dabei höchst komische Sehnsuchtsgrimassen. Dann lief er gewöhnlich mit einem Teller nach der Küche und schimpfte über den »Fraß«, den man ihm wieder vorgesetzt habe, oder gab den Anlaß zu irgendeiner gegen den Koch gerichteten Schandtat.

      Einmal wurde der Sonntagspudding, weil er zäh wie Leder war, dem Koch heimlich in die Matratze eingenäht. Dann wieder wurden über Nacht die steinharten Mehlklöße an die Tür der Kombüse genagelt. Über Nacht, wenn der Koch schlief, geschah immer etwas. Da wurde ein Schöpflöffel oder der Küchenschlüssel über Bord geworfen. Wie freuten wir uns, daß der Koch raste, als er eines Morgens den äußersten Ring vom Herd vermißte, so daß kein Topf mehr aufzusetzen war! Ein andermal erzählte Napoleon früh mit seinem verschmitzten Lächeln: »Le pain est parti.« Hermann, der das Brot mit mir in der Nacht vorher gestohlen hatte, sagte ganz ernsthaft: »Ja, die Ratten, die Ratten!«

      Napoleon lief daraufhin zum Koch, und wir hörten mit Vergnügen, wie dieser wegen der Fopperei außer sich geriet.

      Unser Logis wurde immer lebendiger. Ameisen hatten sich jetzt eingestellt und krochen zu Tausenden in den Kojen und im Biskuit umher. Einmal glaubte ich, einen Kakerlak am Halse zu spüren, und als ich das Tier mit der Hand abschlug, sah ich, daß es ein Skorpion war. Es regnete jetzt viel. Wir benutzten das, um unsere Wassertanks aufzufüllen.

      Steuermann war mitunter etwas freundlicher, aber im großen und ganzen verkehrte er doch nur »schlagweise« mit mir. Die neunschwänzige Katze, von der ich früher so viel gelesen, lernte ich damals in allen Variationen kennen. Ich verzweifelte manchmal an allem und grübelte viel über Vergangenheit, Zukunft und das Schicksal nach, das mich in meinen Erwartungen so getäuscht hatte.

      Es gab freilich auch schöne Momente. Wenn wir Seeleute in prachtvollen Nächten und erquickender Luft an Deck saßen und gemeinsam alte Volkslieder sangen, die in einfachen Worten von der Heimat, einer Geliebten oder Seemannserlebnissen erzählten, dann waren das herrliche Stunden, bei denen meine Erinnerung gern verweilt. Der freie Blick über das weite Meer, die vom Himmel sich abhebende Silhouette des Festlandes oder der vorgelagerten Inselgruppen haben sich mir fest eingeprägt.

      »In einem Städtchen in einem tiefen Tale –.«

      »Wie die Blümlein leise zittern –.«

      »Ich bete an die Macht der Liebe –.«

      »Leise und auf sanften Wogen – – –.«

      Paul und ich sangen auch bisweilen französische Lieder, wie »Elle s'appelle Clara – –« oder die Marseillaise.

      Ich vertraute in dieser Zeit meinem Tagebuch, daß ich mir das Priemen angewöhnt, sowie, daß ich eines Nachts in strömendem Regen an Deck geschlafen und gar nicht gemerkt hatte, wie ich durch und durch eingeweicht war.

      August machte sich jetzt das Vergnügen, mir Instruktionsstunde zu geben. Ich mußte ihm die Reihenfolge der Kompaßstriche hersagen, Taue verknüpfen und dergleichen. »Mensch, du willst das Einjährige haben?« sagte er, als ich einen seemännischen Knoten falsch machte, »du bist ja so dumm, so dumm, so dumm wie das grüne Gras!« Auch Lieschen, wie Hermann wegen seiner schmächtigen Gestalt genannt wurde, mußte am Unterricht teilnehmen und erhielt eine ähnliche Kritik. August besang ihn:

      Pupp und Spinne ging in Wald,

      Da wurden der Pupp die Beine kalt.

      Eines Abends fragte mich August plötzlich, ob ich mit ihm von Bord fliehen wolle, da er die Wirtschaft auf der »Elli« satt habe. Er war am Morgen wieder stark betrunken von Land zurückgekehrt und hatte uns anderen auch eine Flasche Schnaps mitgebracht, die wir zum Kaffee rund gehen ließen. Natürlich war ich von seinem Vorschlag ganz begeistert. Es gelang mir, einen Neger für unsere Sache zu gewinnen, der uns in der Nacht halb elf Uhr mit einem Boot am Bug erwarten sollte. Der Kerl hielt aber nicht Wort, und August wußte am nächsten Tage von der ganzen Verabredung nichts mehr.

      Zu Mittag wurde erzählt, daß zwei portugiesische Matrosen von einem nicht weit von uns liegenden Norweger entlaufen seien.

      Eine alte Konservenbüchse vertrat bei uns die Stelle eines Salzfasses. Da hinein hatte sich ein Skorpion verirrt. Ich berührte ihn mit einer Gabel am Kopf, worauf er sofort wütend mit dem Stachel um sich schlug. Irgend jemand warf das Tier über Bord.

      Steuermann war ein paar Tage etwas milder gestimmt. Er gab mir sogar 25 Cents zu einem neuen Messer, das mir der Koch kaufen sollte, und meinte, der Alte würde vielleicht meine Flucht als einen Dummenjungenstreich hinnehmen. Dann schlug er mich und Hermann wieder, weil wir nicht seinem Befehl gemäß bis acht Uhr an Deck gewesen waren, obgleich wir die Ausrede gebrauchten, wir hätten Kartoffeln sortiert. Die lagen im Zwischendeck in einem Verschlag. Wir mußten öfters die gesunden auslesen. Die meisten waren schon verfault und voller Maden. Es stank schauderhaft da unten.

      Mein mexikanisches Schiff hatte die Flagge auf Halbmast gesetzt. Ich konnte nicht erfahren, weshalb. Willy hatte ein ganz junges Krokodil in der Größe eines Herings für 5 Cents an Land erstanden und verkaufte es für 25 Cents an Steuermann. Dieser setzte das Tier in einen Waschkübel auf ein Stück Kohle, nachdem er ihm die Füße vorher mit Segelgarn umwickelte, damit es nicht fortlaufen konnte.

      Vor diesem merkwürdigen Terrarium stand der Kapitän oft stundenlang und stocherte in kindlicher Freude mit einem Knüppel darin herum.

      Auf Nachricht von zu Hause wartete ich vergeblich, und ich nahm zuletzt an, daß man über meine sehr kurzen und schmierigen Briefe verstimmt sei. Es kostete mich selbst aber große Überwindung, nach der Arbeit noch Briefe zu schreiben. Ich hatte an meinem Tagebuch schon genug. Es mangelte auch an Papier.

      Keiner von uns las eine Zeitung. Wir wußten und hörten nur Unbestimmtes über den Burenkrieg.

      Am Sonntag war der Alte mit dem Steuermann an Land gefahren. Der griesgrämige Bootsmann und August waren in die Kajüte hinuntergegangen und hatten sich dort, wie wir später erfuhren, einer ganzen Korbflasche voll Rum bemächtigt. Napoleon, der unten aufzupassen hatte, bedrohten sie mit einem Stück Tau. Abends kamen beide wieder zum Vorschein –, stockbetrunken. Die zwei alten Knackse hielten sich umschlungen und torkelten – deutsche und englische Matrosenlieder singend – ins Logis, wo sie alles schauderhaft beschmutzten. Von den Matrosen war nur noch Paul an Bord. Der schlief, Hermann und ich beobachteten die Trunkenbolde von unseren Kojen aus. Sie rauchten merkwürdig gute Zigarren und konnten sich kaum mehr auf den Beinen halten. Segelmacher unterhielt sich lange mit einem Paar Seestiefeln. Dann erblickte er mich und sagte, ich solle gut Wache halten; das Boot mit dem Alten käme doch nicht wieder zurück. Hierauf taumelte er nach dem Hinterschiff. Ich hörte ihn noch über Blauholzstücke fallen und englisch auf die Skorpione schimpfen, von denen er sich gebissen glaubte.

      Viel ungemütlicher war August. Er hatte seinen Gürtelriemen abgeschnallt und schlug damit auf Hermann ein. Als dieser an Deck lief, folgte ihm August mit einem langen Messer in der Hand, unverständliche Worte vor sich hermurmelnd. Es gelang mir, ihn irrezuleiten, und Hermann fand ein Versteck. Nunmehr griff der rasende Kerl auch mich an, so daß ich mich ebenfalls hinter das an Deck aufgestaute Blauholz flüchtete. Ich wußte, daß August homosexuelle Neigungen hatte, aber dieser Begriff war mir damals noch ein sehr verschwommener.

      Endlich gegen halb drei Uhr nachts vernahm ich, wie das Boot anlegte, und lief ans Fallreep. Der kleine Franzose warf den Bootsinsassen die Leine zu und winkte August, zur Koje zu gehen, weil der Kapitän zurückkäme. Statt dessen schwankte der Betrunkene in die Kajüte hinunter, und gleich darauf hörten wir unten ein lautes Krachen und Klirren von Scherben.

      Der Alte und der Steuermann waren inzwischen angelangt. Der Kapitän begegnete August auf der Kajütstreppe.

      »Guten Abend, Kapitän!« brüllte dieser.

      »Was ist's?« fragte der Alte stutzig.

      »Ach, ich ha – habe nur die Lampe anstecken wollen, a – a – aber der Kram – – –.« Mehr brachte August nicht hervor.

      »Hallo! Guten Abend, Steuermann!« rief er dann plötzlich fidel.

      »Nanu?« gab dieser ebenfalls

Скачать книгу