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einschlief.

      Am nächsten Tage erfuhren wir, was in der Kajüte vorgefallen war. Wir saßen gerade beim Frühstück, wie immer auf das Essen schimpfend, als Paul ein großes Stück – etwa ein Viertel – von einem Edamer Käse nach vom brachte, mit der Bestellung, der Kapitän schicke das für August. Wir waren alle einen Moment baff vor Verwunderung, aber August, obgleich noch immer nicht ernüchtert, lächelte so eigentümlich, und als wir dann bei näherer Betrachtung des Käses deutliche Spuren eines menschlichen Gebisses in der roten Rinde erkannten, verstanden wir diesen Hinweis.

      »Na, August«, sagte Jahn, indem er die seltene Delikatesse mit sichtlichem Behagen anschnitt, »ich glaube, deine Zähne passen da hinein.« Doch dieser leugnete hartnäckig und behauptete, das könne nur Napoleon gewesen sein; der wäre gestern besoffen gewesen.

      Bald wurden die Einzelheiten der am Tage vorher angerichteten Verwüstung bekannt. In der Kajüte war der Fußboden greulich besudelt, die Hängelampe zertrümmert, und auf dem Tisch hatte der Alte die leere Rumflasche und den angebissenen Käse vorgefunden. Wir waren gespannt, was geschehen würde.

      Zu Mittag rief Kapitän Pommer mit etwas stockender Stimme ins Logis hinunter: »August, Sie können an Land gehen!«

      »Allright, Captain!« gab dieser zurück, ohne von der Erbsensuppe aufzusehen.

      Der Alte ging dann fort, und August machte sich daran, seine Sachen zu packen. Er gab die von den anderen geliehenen Gegenstände zurück und versicherte immer wieder, daß es ihm ganz gleichgültig sei, ob er bliebe oder ginge. Währenddessen wurde er zum Kapitän gerufen. Er nahm ein Paar Seestiefel vom Segelmacher, einen Ölanzug vom Steuermann und einen Südwester, den ihm der Koch geborgt hatte, mit nach achtem. Nach einiger Zeit erschien er wieder und erklärte, daß er an Bord bleiben werde, da ihn der Alte um Entschuldigung gebeten hätte. Später erfuhr ich, daß der Kapitän den alten, verheirateten Mann nicht hatte fortjagen wollen. Dieselbe Rücksicht hatte man auf den Segelmacher genommen. Der lag volle zwei Tage besinnungslos in der Segelkoje zwischen den Passatsegeln. Als ein paar Gäste von Land das Schiff besichtigten, mußten wir den Schlafenden mit einem Segel verdecken, denn aufzuwecken war er nicht.

      Wir erwarteten für den 29. Juli Order aus Deutschland, wohin wir von Belize aus fahren sollten. Es hieß auch, wir würden vielleicht Liverpool anlaufen. Das hätte mich gefreut. Hermann wollte in diesem Fall mit mir nach Hamburg reisen, während die anderen größtenteils an Bord zu bleiben gedachten.

      Abends las ich mit großer Freude alte Briefe durch, wovon ich leider nur wenige besaß.

      Von Tieren hatten wir jetzt an Bord:

      1 Vier Papageien und Sonnenvögel, einen Ameisenbär und drei Katzen (dem Kapitän gehörend),

      2 ein Krokodil (dem Steuermann gehörend),

      3 Ratten, Skorpione, Kakerlaken, Maden, Ameisen und Moskitos (Allgemeingut).

      Der Tag unserer Abreise war nicht mehr fern. Schon wurden die wichtigsten Anstalten dazu getroffen. Der Schiffsbauch, der, wie ich hörte, 450 Registertonnen faßte, war ziemlich bis oben hin mit Blauholz angefüllt. Die großen Mahagoniblöcke, die wir noch einnahmen, mußten an Deck festgelascht werden.

      Beim Anschlagen der Segel war ich zum erstenmal am äußersten Ende der Rahe. Der Steuermann verbot mir das aber und rief mich herunter. Er sagte, das sei zu gefährlich; wenn ich herunterstürze, verliere er sein Patent als Steuermann. Das ärgerte mich, denn solche seemännischen Arbeiten verrichtete ich mit großer Lust. Als mich der Alte bald darauf einmal bei einem Segelmanöver fragte, warum ich nicht mit nach oben ginge, erzählte ich ihm, daß mir der Steuermann das untersagt habe. Ich durfte von da an immer mit hinauf. Dadurch war natürlich der Steuermann gekränkt, und er ließ mich das fühlen. Er verstand nicht viel von seemännischen Arbeiten, er war mehr Theoretiker, und die Matrosen machten sich deshalb häufig über ihn lustig, zumal er sich überall wichtig vordrängte. Fand der Alte an den vom Steuermann ausgeführten Arbeiten etwas Tadelnswertes, so bekam ich gewöhnlich die Schuld, der ich doch nur Handlangerdienste dabei verrichtete. Ja, ich erhielt immer die Prügel. Steuermann liebte es besonders, mich zu schlagen, wenn Gäste an Bord waren. Es schmeichelte ihm jedenfalls, soviel Gewalt über jemanden zu besitzen.

      Aus irgendwelchen Gründen, die mir nicht mehr erinnerlich sind, verlegten wir häufig unseren Liegeplatz. In den letzten Tagen hatten wir nicht weniger als fünfmal Anker gelichtet und wieder ausgeworfen. Am 29. Juli traf, mit Spannung erwartet, Order ein, daß wir von Belize nach Liverpool steuern sollten. Das war nicht übel. Ich nahm mir vor, von dort mit der Eisenbahn nach Hull zu fahren, von wo aus man leichter nach Hamburg kommen sollte. Hätte es Bier gegeben, ich würde mir jetzt auf die Order hin einen Freudenrausch angetrunken haben, so aber war ich schon glücklich, daß ich von einem Bumbootsmann für eine Kleinigkeit eine Menge Bananen erhielt.

      Eines Tages war der Alte sehr in »Fahrt«. Er hatte eine Rafft Mahagoniholz für seine eigene Rechnung erstanden. Willy und Gustav bekamen den Auftrag, die Balken wie immer vom Fluß aus bis an Bord zu rudern, brachten sie aber nicht gegen die starke Strömung vorwärts. Wir beobachteten von Bord aus die vergeblichen Anstrengungen der Leute im Boot, und der Kapitän stampfte wütend mit dem Fuß auf. Da wir nur ein Boot im Wasser hatten, konnten wir den Matrosen nicht zu Hilfe kommen. Schließlich banden wir aber doch ein kleines Hilfsboot los, das an Deck festgelascht war und bei uns den Spitznamen »Moses« führte. Nun wurden die noch an Bord befindlichen Matrosen mit zwei Bootsankern ausgesandt, um die Rafft herbeischaffen zu helfen oder sie wenigstens einstweilen zu verankern. Wenn der Wind nachließ, gelang uns der Transport dann sicher leichter. Mittlerweile schienen Gustav und Willy die Balken jedoch schon auf irgendeine Art verankert zu haben, denn wir sahen sie von dem Floß abstoßen und auf uns zuhalten.

      Während die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Dinge gerichtet war, benutzte ich die Gelegenheit, um mir eine vergnügte Stunde zu bereiten, ich kroch unter das zweite Boot, zündete mir eine Pfeife an und beschäftigte mich mit der verfrühten Frage, wie ich meine Heuer in Liverpool anlegen und was für Geschenke ich vor allem meinen Angehörigen dafür mitbringen könne. Es mußte doch möglichst etwas Seemännisches oder Exotisches sein. Für Wolf gang hatte ich ja schon reiche Schätze, Muscheln, Skorpione, einen Gürteltierpanzer, Haifischgebisse und anderes. Für Mutter gedachte ich eine Fußmatte aus Tauwerk zu flechten, wie ich das vom Bootsmann gesehen hatte. Da hinein wollte ich ein Zwanzigmarkstück verstecken. Selbstverdientes Geld! Auch Ottilie sollte ein Geldgeschenk in einer Kokosnuß erhalten, und Papa, der sich ja wenig aus materiellen Gütern machte, wollte ich das Tagebuch verehren, möglichst schön und orthographisch geschrieben.

      Unsere Matrosen hatten in der Tat die Rafft des Sturmes und der Stömung wegen nur verankern können und kehrten sehr erschöpft zurück. Spät abends, nach unserer Tageseinteilung spät, denn es war etwa halb acht Uhr, rief der Steuermann ins Logis hinunter, die Rafft sei weggetrieben und nicht mehr zu sehen. Wer freiwillig mit ins Boot wolle, sie zu suchen? Einem derartigen Appell an den guten Willen hätte ich nie widerstehen können. Ich meldete mich also und durfte mit Jahn, Koch und Steuermann das Boot besteigen. Es war anzunehmen, daß die Rafft sich von dem Anker losgerissen habe. Es galt nun, auch diesen wiederzuerlangen, wozu freilich wenig Aussicht bestand. Ungefähr kannten wir die Richtung, wo der Anker ausgeworfen war. Es war nicht weit von einem norwegischen Dampfer gewesen. Wir markierten die Stelle durch eine Boje, das heißt, wir warfen einen eisernen Haken ins Wasser, an den wir ein Ruder banden, das bis zur Hälfte wie ein Mast aus dem Wasser ragte. Ein Taschentuch von mir – ich war der einzige, der eines besaß – wurde als Erkennungszeichen an dem Riemen befestigt. Nachdem das nicht ohne Schwierigkeiten von dem auf und nieder tanzenden Boot aus geschehen war, hieß es nun die Rafft zu suchen.

      Die Dämmerung war hereingebrochen, der Himmel trübe. Der Wind peitschte die See zu hohen Wellen, die wild über unser Fahrzeug hinwegschossen. Wir waren schon längst durch und durch naß. Stundenlang kreuzten wir nach allen Richtungen. Unser Boot jagte wie ein Fisch durchs Wasser. Steuermann saß am Ruder. Jahn führte das Segel, das wir nur wenig gerafft hatten, und wir anderen spähten durch den Nebel nach Kapitän Pommers weggetriebener Rafft. Nur wenige Worte wurden gesprochen. Alle waren müde und hungrig, denn wir hatten an Bord noch kein Abendbrot bekommen. Das überspritzende,

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