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und eines Tages starrt Rosmarie der blaue Samt des Bodens entgegen.

      Nun ißt Rosmarie auch das Diner allein, denn Miß Granger ißt ihre Puddings und Hors d'oeuvre oben.

      Rosmarie sitzt allein in ihrem feierlichen Abendkleide an dem etwas nachlässig gedeckten Tisch, die Fenster, die mit Heliotrop, Rosen und Glycinien umwachsen sind, stehen offen. Der schokoladefarbene Adolf hat eben die Schüsseln aufgedeckt und ist entlassen worden, denn nur in seiner Gesellschaft zu essen ist zu trübselig. Die Schüsseln haben meist recht fremdartigen Inhalt, – Rosmarie betrachtet sie mit einem Seufzer.

      Daß man sich so hinschleppen muß, essen und trinken, damit die Tage vergehen – die Tage eines nutzlosen und entehrten Lebens. Da macht sie ein Laut aufsehen. Durch das Blättergewirre am Fenster, das nicht sehr hoch vom Erdboden entfernt ist, schiebt sich eine kleine, magere, braunschwarze Hand und klammert sich an die Fensterbrüstung: dann ein schwarzzotteliger Kopf, ein elendes Körperchen in einem groben zerschlissenen Hemd folgt nach. Mit großen, runden, schwarzen Augen sieht das kleine Menschenwesen nach den guten Dingen da auf dem Tisch und flüstert mit gutturalen, Rosmarie ganz unverständlichen Tönen immer wieder das gleiche. – Rosmarie erhebt sich, das Kind erschrickt, so daß es beinah herunterfällt. So etwas Großes und Weißes hat es wohl noch nie gesehen.

      Rosmarie lächelt ihm zu und häuft Gemüse und ein Kotelette zierlich auf einen Teller, Messer und Gabel daneben und stellt alles mit einer einladenden Handbewegung auf die innere Fensterbrüstung. Die schwarzen Augen des Kerlchens leuchten, Messer und Gabel braucht er nicht, die schmutzigen Finger und die Mauszähnchen verrichten das Geschäft allein. Rosmarie versucht ihn zu bewegen, den schwebenden Sitz zu verlassen, aber wenn sie ihm zu nahe kommt, hebt er seinen Arm in Augenhöhe, wie es überall in allen Landen verprügelte Geschöpfe machen. Was hat das Kind Hunger! Wenn er sich doch hereinnehmen und ein wenig waschen ließe! Aber an sich herankommen läßt er sie nicht, und sein Kauderwelsch versteht sie nicht. Endlich ist er gesättigt und klopft sich, jedenfalls als Dankeszeichen, auf sein wohlgefülltes Bäuchlein, dann ist er ebenso blitzschnell verschwunden, wie er gekommen ist. –

      Rosmarie läutet und läßt abtragen, und Adolf mag sich billig über ihren Appetit verwundern. Am nächsten Abend schickt Rosmarie gleich wieder den Diener fort, und sie braucht nicht lange zu warten. Mandarinenbäume umgeben diese Seite des Hauses, unter den tief herabhängenden Zweigen konnten wohl kleine Gestalten hindurchkriechen. Da kommt schon die Hand. –

      »Spätzchen, bist du da?«

      Aber es sind zwei Spätzchen diesmal. Zu dem Spatzen ist eine magere, noch elendere und womöglich noch scheuere Spätzin gekommen. Heute werden alle Schüsseln leer. Wenn nur die Kinder nicht gar so scheu wären. Halb tierisch kommen sie ihr vor, vielleicht werden sie sich gewöhnen. Sagt Rosmarie es der Köchin, so wird die sie wegjagen, wie sie es schon einmal mit einer armen Frau gemacht. Rosmarie kann auch am Tage nicht entdecken, wie die Kinder heraufkommen, vielleicht ist eine Leiste in dem Schlinggewächse verborgen, worauf sie ihre Füße stellen. –

      Rosmaries Hauptmahlzeit ist abends, und für die ist nun gesorgt, doch empfindet sie nicht, daß ihr etwas entgangen ist. Nein, es ist ihr leichter und freier zumute, nun sie die sonderbaren Dinge nicht mehr essen muß. Es ist zu schön zu sehen, wie es den Kindern schmeckt, und vielleicht gelingt es doch, sie ein wenig zu zähmen. Und eines Abends sagt das Bübchen »Spatz.«

      Er hat begriffen, daß die weiße Frau ihm den Namen gegeben hat. Das Wort ist ihm nun Ausdruck für alle Gefühle, wie er es bald flehend, bald ängstlich, bald fröhlich sagt, je mehr seine Sättigung fortschreitet. Sonderbar ist's, wie das Menschenwesen das Wort sagt, fast als ob ein Tier zu reden anfinge.

      Leider genügt dies eine Wort schon, um die ganze Skala seiner Gefühle auszudrücken. Die Spätzin kommt überhaupt nicht so weit. Und schon nach wenigen Tagen sieht man ihnen an, daß sie rundlicher werden. Doch bleiben ihre Tischmanieren noch dieselben urwüchsigen, und berühren lassen sie sich immer noch nicht. Und doch freut sich die einsame Rosmarie jeden Tag auf die Zaungäste. Und es ist so seltsam, etwas hergeben zu können. Rosmarie hat noch nie etwas hergegeben, was ihr nicht sofort ersetzt worden wäre. Und der Tag hat so wenig Freuden. Jeder Tag bringt einen neuen Druck auf ihr Herz mit. Mag sie noch so schön auf weißem Marmorbalkon zwischen Palmen und am blauen Meere wohnen, es ist doch eine Verbannung. Ihr Vater wird sich daran gewöhnen, daß er eine Tochter hat, die heimtückisch, verlogen und trotzig ist, und er wird sie aus seinem Leben streichen. Er wird froh sein, wenn sie ihm keine neuen schlimmen Dinge bereitet.

      Wie ein täglich niedergehender giftiger Meltau senkt sich das auf sie. Wenn sie ausgeht, – es geschieht nur noch selten –, kann der Professor seinem jungen Freunde nichts Gutes von der Hohenstaufin berichten. Ans Capo geht sie gar nicht mehr, es sind zu viele elegante Menschen da, die auftauchen und verschwinden, Schemen. Am besten ist's noch, auf der grün umsponnenen Marmorveranda zu liegen, durch die drolligen kleinen Marmorlöwen, die sie bewachen, durchzusehen nach dem Stück Meeresblau. Dann wird es Rosmarie so seltsam leicht zumute, namentlich seit das Diner wegfällt. Dann tauchen allerhand Bilder vor ihr auf, glänzend liebliche, heimatlich vertraute.

      Jeder Festtag aus der wundervollen Zeit der Kindheit, der Lilientag – sie sieht Harro durch den Wald gehen am kalten Brunnen, wie er durch das Riedgras streicht, die Hand über die Augen hält, um nach ihr auszusehen im Sonnenglast, wie er neben ihr am Rain unter den Federnelken und nickenden Gräsern liegt. Wie der Thymian duftet, mit dem sie ihm die Rocktasche füllt. Und all die Leute mit leichten Füßen, wie sie durch die Gänge und Wendeltreppen der alten Heimat schritten, sie kommen wieder.

      Wie schön, daß Miß Granger hinter ihrer Riesenzeitung eingenickt ist und nicht mehr von da aus ihr eine Information zukommen lassen kann.

      Und noch eine Entdeckung macht sie, – je weniger sie den Tag über fremde Eindrücke in sich aufgenommen hat, desto glänzender, deutlicher und klarer werden die Bilder. Sieht sie denn wirklich in die Ruine? Warum steht Harro neben einer gelben Marmorsäule, und warum gibt es ihr einen solchen Stoß ans Herz, wie das Bild plötzlich verschwindet?

      Rosmarie sinnt darüber nach, wie sie an ihrer Rosendecke stickt. Und unter ihren Händen entsteht Stich für Stich ein seltsames Kunstwerk. Rosmarie hat aufgehört, etwas anderes zu frühstücken als ein wenig Tee, Honig und Brötchen. Das zweite Frühstück braucht um ihretwillen gar nicht aufgetragen zu werden, sie schickt es unberührt wieder fort. Die getreue Lisa würde sich ängsten, wenn nicht Adolf ihr von dem wundervollen Appetit der Prinzessin bei ihrem einsamen Diner berichtete.

      Und Rosmarie stickt ihre schlimmen Gedanken in die Decke, und manchmal lächelt sie ganz seltsam vor sich hin. – »Ich mache es fein, sehr fein, Vater, und es ist besser für dich, du hast keine Kinder, als die dir der Haß geboren und die mit einem Schrägbalken herumlaufen müssen. Und du wirst es nie wissen, nie.«

      Wenn sie einmal, sehr selten ist es noch, ausgeht, und dem Herrn Professor begegnet, – er hat etwas, das sie an den Stiftsprediger erinnert – so schrickt sie zusammen. Und Weihnachten kommt näher. Ihr Vater schreibt ihr.

      »Es ist mir ein unbehaglicher Gedanke, daß Du Weihnachten so allein verbringst. Wenn Du es dringend wünschen würdest, könnte ich vielleicht doch auf einige Tage nach dem Feste abkommen. Dein Wunschzettel war recht bescheiden, und ich weiß nicht, ob ich es diesmal treffe –« Rosmarie erschrickt. Nein. Vater soll noch nicht kommen. Er würde neben ihr sitzen, sie würde seine Hand halten, seine Stimme hören und doch so sterneneinsam, so fern von ihm sein. In ihren Briefen, da tun sie ja, als ob die schreckliche Wand nicht zwischen ihnen sei. Und sie schreibt sehr freundlich und fast munter von den italienischen Bettlerkindern, die sie ernährt – daß es mit dem eigenen jungen Leben geschieht, kann er ja nicht ahnen –, und erwähnt sein Anerbieten, zu kommen, mit keinem Worte.

      Mit einem tiefen Seufzer legt der Fürst den Brief beiseite. So weit ist er ihr entgegen gekommen, viel zu weit. Er ist ein schwacher Vater. Könnte er überhaupt einen Sohn erziehen, wenn er seinen Kindern gegenüber so schwach ist! Und sich so sehr nach seinem trotzigen, schuldbeladenen Kinde sehnen muß, und zu allem bereit wäre, wenn sie nur ein einziges Wort, eine einzige Bitte ihm gewähren wollte!

      Aber an ihrem Weihnachtsgeschenk soll trotz

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