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steht mit abgezogenem Hut der ältere deutsche Herr, der sie so sehr an den Herrn Stiftsprediger erinnert.

      »Durchlaucht sollten nicht allein gehen!«

      Dann verneigt er sich und sagt: »Geheimrat Schwarzen aus Gießen,« – was Rosmarie sehr verwundert. Erst nach einigem Besinnen kommt ihr, daß das wohl der Name des freundlichen Herrn sein könnte; vorgestellt hat sich ihr noch nie jemand.

      »Kann ich vielleicht Eurer Durchlaucht einen Wagen besorgen?«

      »O nein, Sie sind sehr gut, Herr ... Herr Geheimrat ... Ich möchte auch nur bis an die Ecke gehen, wo der Briefkasten ist.«

      »Kann ich Euer Durchlaucht nicht den Brief besorgen?«

      »O nein, ich danke, ich muß das selbst tun.«

      Rosmarie trägt einen dicken Brief in der Hand.

      »So gestatten mir Durchlaucht, daß ich Sie bis dorthin begleite.«

      Dem armen erschöpften Wesen, das wohl seinen letzten Gang macht, muß man den Willen tun.

      »Ja, bitte, wenn Sie so gütig sein wollen, aber ein wenig ausruhen muß ich zuvor, bitte setzen Sie sich doch auch.«

      Der Herr Geheimrat setzt sich auf die Bank und fängt an, sehr freundlich und ruhig mit ihr zu reden. Er kennt Brauneck, auf einer seiner Wanderungen hat er es daliegen sehen, von dem gegenüberliegenden Berge aus, mit seinem Renaissancegiebel und den vier dicken Ecktürmen, dem schlanken, hohen Schloßturm und dem grünen Parkgürtel.

      »Oh, wie wohl tut das, von der Heimat zu hören unter den fremden Bäumen hier.«

      »Durchlaucht haben keinen guten Winter gehabt. Es taugt auch nicht jedem, das Sonnenland.«

      Rosmarie stürzen schnell ein paar Tränen herunter. Welch gute Stimme hat der fremde Herr, und nun sieht sie ihm in die hellblauen Augen unter dem dunkeln, weichen Hut, der die herrliche Stirn verbirgt.

      »Die Tage, das ist nicht das schlimmste, aber die Nächte und der fremde Mond und die Meeresstimmen, die einen keinen Augenblick vergessen lassen, daß man so ferne ist von Brauneck. Und die Angst, die furchtbare Angst, die entsetzlicher ist als alles.«

      Sie starrt mit dunkeln Augen vor sich hin in ein Entsetzen hinein.

      Dem priesterlichen Herzen neben ihr wird es weh zumute. Wer an diesem Leid vorüberginge, wäre schlimmer als jener Levit, dem ein göttliches Auge auf seinem eiligen Wege durch ein einsames Land nachsah.

      »Angst ist furchtbar. Aber warum die bittere Angst? So viele Ängste zerrinnen, wenn man ihnen nicht entweicht, sondern sie mit festen Augen ansieht.«

      »Ich habe es auch versucht. Ich habe die Augen aushalten müssen, ganz allein –«

      Sie sieht ihn nicht an, sie spricht wie im Traume, sie antwortet nur der guten, guten Stimme. – »Und nun weiß ich, ich fürchte Gott.«

      »Fürchten ist etwas anderes als Angst haben.«

      »Dann will ich sagen, ich habe Angst vor Gott.«

      »Um das dürfen Sie keine einsame schreckliche Nacht mehr haben. Prinzessin, geben Sie mir doch Ihren Brief, ich trage ihn dorthin und bringe Sie dann nach Hause.« Sie sieht ihn mit ihren großen sanften Augen an: »Alle meine Briefe, wohin ich sie auch sende, sie landen immer in meines Vaters Schreibtisch, da liegen sie dann in Stößen, und das darf mit diesem Brief nicht geschehen.«

      »Durchlaucht, wenn ich diesen Brief in den Kasten werfe, wird er auch ankommen. Aber wenn Ihr Vater es nicht wünscht ...«

      Rosmarie lächelt. »Bis der Brief ankommt, – ja dann wird er es wünschen.«

      Und der Herr Professor geht mit langen Schritten zu dem Briefkasten, vorher sieht er die Adresse an. Das arme Kind kommt ihm so weltunbekannt vor, daß sie vielleicht ihre Briefe gar nicht richtig adressieren kann? Nein, die Adresse wird wohl richtig sein. An einen Grafen Thorstein in Rom, sogar die Straße fehlt nicht. Und nun kommt er wieder zurück und schiebt der Prinzessin seinen festen Stock in die Hand und bietet ihr seinen Arm an. Und sie gehen langsam, sehr mühselig, zurück in den Palmengarten. Sie sprechen kein Wort, das Gehen ist Arbeit genug.

      Verlassen liegt das Marmorhäuschen in grüner Sonneneinsamkeit. Niemand rührt sich darin, die Türe steht weit offen. Der Professor hilft Rosmarie aus dem Mantel heraus und trägt behutsam den Federhut an einen sicheren Ort, und nun kann sich Rosmarie in ihrem Korbstuhl ausstrecken. Er deckt sie sorgfältig mit ihrer seidenen Decke zu und meint: »Es wäre doch gut, wenn jemand sofort zum Arzt ginge.«

      »Ich habe gar keinen Arzt.«

      »Keinen Arzt!« Was gibt es für sonderbare Menschen! Dem Herrn Professor schießen alle möglichen Heilmethoden, bis zum Gesundbeten, durch den Kopf, denen die fürstlich Braunecksche Familie wohl huldigen könnte ...

      »Mein Vater weiß gar nicht, wie krank ich bin.«

      »Ja, Durchlaucht, ist es nicht das allerbeste, hier ist eine Glocke, ich läute jemand herbei, und Durchlaucht setzen ein Telegramm auf, daß es Ihnen so wenig gut geht. Durchaus nicht, daß der Fürst erschreckt würde ... Das muß ein Vater von seinem Kinde wissen, mag er sonst mit ihm stehen, wie er will.«

      Eine Glocke ertönt, aber es erscheint niemand.

      Die Köchin ist wohl zu ihrer Familie gegangen, und Angelina? Ja, wenn alles seinem Vergnügen nachläuft, sollte da die arme Angelina allein tugendhaft bleiben, und für den geringsten Lohn? Angelina ist auch fort.

      Da ist vorderhand nichts zu machen. Die Prinzessin kann man nicht allein lassen. Ein barmherziger Samariter muß es eben auf sich nehmen, daß er in allerhand konfuse Lagen gerät. Der Levit ist der weitaus taktvollere Mann, das fremde Elend geht ihn nichts an, und es ist besser, sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen. Man weiß ja gar nicht, ob die einem dafür dankbar sind und sich nicht mit einem: »Was unterstehen Sie sich, mein Herr?« erheben. Nein, um die Ecke, und die Sache ist abgetan.

      Die Prinzessin lebt ein wenig auf, nun sie liegt, und bittet: »Ach, sprechen Sie doch mit mir. Ich habe niemand – niemand.«

      »Warum müssen Sie sich vor Gott ängstigen?«

      »Ich wußte nicht, was ich tue; aber nun weiß ich es. Ich habe eine große Sünde auf mir, und darum muß ich mich ängsten. Was ich tue, wußte ich nicht –«

      »Gottes Willen erkennt man ja manchmal erst, wenn man ihn übertreten hat.«

      »Ach, daß Sie das sagen. Ja. In den letzten Nächten da wußte ich es, als die Augen mich ansahen. So vorwurfsvoll. Ich mußte mich krümmen vor den Augen –«

      »Wessen Augen?«

      »Ich weiß es nicht. Oder vielleicht weiß ich's. Es wandte sich einmal jemand um ... Und darüber weiß ich's nun, und ich zittere, und nun ist's zu spät, gut machen kann ich es nicht mehr.«

      »Was kann man auf Erden gut machen? –« sagt leise der weise Mann dort am offenen Fenster, durch das schon der Abendschein hereinflammt.

      »Und ich kann nicht mehr zurück. Mein Vater glaubt von mir, daß ich eine Tat begangen habe, die feig und tückisch und grausam war.«

      Der Herr Professor ruft mit heller Stimme: »Nein, das nicht, Prinzessin ... das nicht. Aber Ihr Vater hatte wohl Gründe, um das je von Ihnen glauben zu können.«

      »Er hat sie. Es ist alles so verwoben und verwachsen, ein Dorngeschlinge, und die Dornen zerstechen mein Herz. Und als sie ihr Urteil über mich sprachen, da haben sie – nicht von mir – gesagt: Im Angesicht des Todes lügt man nicht!«

      »Prinzessin. Sie haben doch nicht ...«

      »Es ging ganz leicht zu Anfang. Und es war die letzte Liebe, die ich meinem Vater tun wollte, er sollte es nie, nie wissen. Ich habe ein schwaches Herz, an dem kann man auch sterben. Ich hätte es sehr viel leichter haben können, da ist mein kleines Scherchen. Aber es wäre so entsetzlich gewesen – rachsüchtig! Und hätte ihnen allen recht gegeben. So würden

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