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wieder, ein Dorf, ein Kirchturm, dann ist's eine dunkle Waldkuppe, deren Rücken von blauen Flammen umspielt wird. Die Vorhänge kann man nicht schließen, die Schwüle wird immer bleierner. Hat Rosmarie geschlossen vor dem wilden Lichterspiel da draußen, so ruft die Fürstin: ich ersticke, – und sie muß wieder öffnen.

      »Darf ich zu Bett gehen, Mama, und dir Fräulein Bergmann schicken?«

      »O Gott, kannst du denn schlafen in einer solchen schauerlichen Nacht, Rosmarie! Andere Mädchen tanzen die ganze Nacht und sind um zwei Uhr morgens noch höchst vergnügt, und wie läßt du jetzt schon den Kopf hängen! Du bist ja gewiß unendlich salzlos und langweilig, und deine Zöpfe gehen auf, aber Fräulein Bergmann ist noch schrecklicher. Sie schnüffelt ja gleich, wenn man ihr einmal ein schnelles Wort sagt. Aber was hilft's, wenn man sie fortschickt, irgend eine ferne, fixe Person, die ein wenig Schick hat, bliebe doch nicht in diesem Waldwinkel. Wer bleibt denn hier, wen haben wir hier denn? Mit dem einzigen vernünftigen Menschen im Umkreis, bei dem man nicht vor Langeweile starb, wenn er den Mund auftat, hat man sich um deinetwillen überwerfen müssen ... das heißt, er kommt nicht mehr, aus guten Gründen.«

      »Mama, sprich lieber von etwas anderem, von mir, wenn du willst!«

      »Gott, ich weiß ja, du hast immer noch dein altes tendre ihn. Er lachte dich aus mit deinen kindischen Ideen ... die letzte Szene. Wie unangenehm du ihm warst! Gott, ich muß lachen, wenn ich daran denke, und es ist ein Glück, daß es noch etwas zum Lachen gibt in einem Hause, wo hinter Kleiderschränken Skelette und Särge stecken. – Wie er dich abschüttelte, wie einen Käfer, und sein Gesicht! – Starr vor Schrecken über das verrückte Gänschen.«

      Rosmarie steht da wie ein Bild aus Gold und Marmor. Sie ist ja wehrlos. Es ist ihr, als stünde sie an einem Schandpfahl, und man risse ihr die Kleider vom Leibe, daß die unbarmherzigen Augen all ihre geheimen Wunden sähen. Und ihre Augen werden langsam dunkel ... es sind keine grauen Augen mehr, sie sind samtdunkel, und das Blondhaar umgibt ihr Antlitz, als bewege es ein leichter Luftzug, und ist doch keiner zu fühlen. Die Fürstin sieht sie an, und ihr Lachen, mit dem sie die Szene vollends ausgedeutet hat, erlischt.

      »Du siehst so sonderbar aus, Rosmarie.«

      »Ich weiß nicht, Mama, vielleicht, weil ich leide, ich habe heute einen Druck an meinem Herzen.« »Den habe ich wahrhaftig auch und mache keine solchen Gespenstergesichter. Rosmarie, du paßt zu dem alten Schrank und dem Gang dahinter! Gott, wie siehst du aus, als hättest du schon im Grabe gelegen. Wie eine gräßliche, geisternde Ahnfrau siehst du aus! Oh, wie ich dieses Brauneck hasse! Das ist nun mein Leben, hier liegen und auf die Gnade warten. Hätt' ich euch doch nie gesehen. Ich werde sterben daran, und ihr werdet euch freuen. – Nein, das habe ich nicht gesagt. – Leben will ich, hört ihr, leben! Die gräßliche Last abschütteln und wieder ein Mensch sein! Ihr habt euch zu bald gefreut, wenn ihr glaubt, ihr habt mich zu eurer Sklavin gemacht!«

      »Mama, ich bitte dich, – fasse dich, ich muß gehen, glaube mir's, ich kann doch niemand deine Worte hören lassen.«

      Ein blendender, züngelnder Blitz, ein Donnerschlag, als ob die Erde erbebte, wie eine Riesenwolke fährt der Sturm wieder über das Land, die dunkeln Vorhänge schlagen an die Decke. An die festen Türme wirft sich der Wind mit Riesenarmen, als wollt er sie umfassen und in die Tiefe stürzen, sie, die ihm so lange getrotzt. Um die Galerien jauchzt und tobt und klatscht und rast der Troß der Winde; in die Kamine stürzen sich die Windbuben und heulen, wenn sie nicht gleich wieder heraus finden. Blaue Flächen reißt Blitz auf Blitz aus dunkeln Wolkenbergen. Jedes von den hundert Fenstern klirrt und hat seine eigene Stimme in dem Chaos. Die Fürstin hat sich schreiend in die Kissen geworfen: »Rosmarie, die Fenster ...« Rosmarie tastet nach der elektrischen Klingel, da schlagen aus ihr blaue Flammen heraus und einen Ton gibt es nicht. Das Fenster kann sie nicht schließen, dagegen liegt ein breiter Windbub, lacht und bläst seinen feuchten Atem herein, – was können Rosmaries zarte Arme dagegen. Der Windbub faßt ihr langes Haar, daß es in die Lüfte fährt wie ein goldenes Sturmsegel, und wirft es ihr lachend wieder um den Kopf und wickelt sie darin ein und reißt es wieder auseinander. Gellend ruft die Fürstin: »Was machst du, Rosmarie, schließe zu, rufe die Leute, ich will dich nicht sehen. Du bist gräßlicher als alles, ein Gespenst bist du mit deinen lebendigen Haaren ... O wie ich dich hasse, wie ich euch alle hasse, wie ich das Schloß hasse, das mich noch töten wird. Geh doch, geh ... Ich fürchte mich vor nichts mehr, wenn ich nur dich nicht sehen muß. Du bist's! Du steckst hinter allem, du bist der Geist dieses verfluchten Schlosses hier, das mich quält und nach meinem Leben verlangt.«

      Rosmarie wankt nach der Schwelle; nein, nicht Fräulein Bergmann, ihren Vater will sie rufen ... In ihren Ohren siedet's und braust's. Der tolle Sturm im Kampf am Fenster hat ihr fast den Atem genommen und den Druck am Herzen entsetzlich verschlimmert. Sie verfehlt die Richtung in dem so plötzlich veränderten Vorzimmer, das nur zuweilen die grellen Blitze erleuchten, sie hat die Hand an jenes Rosengeranke gelegt, ob ihre zitternden Finger einen Riegel berührt haben oder nicht, sie weiß es nicht. Endlich hat sie den Ausgang gefunden. Kaum ist sie im Gange, so kracht ein brüllender Donnerschlag hernieder, der selbst in dem steinernen Riesenleib des Schlosses ein Zittern und Beben verursacht. Das Klirren und Poltern und den gellenden Schrei hinter ihr verschlingt das furchtbare Getöse. In der Sommerstube ist noch Licht, vielleicht ist ihr Vater schon dort. Aus seinem Schlafzimmer muß er durch die Sommerstube kommen. Mit ihrer letzten Kraft kann sie eben noch die Türe öffnen, und als sie keinen Menschen, auch nicht den Leibjäger ihres Vaters dort findet, auf die Alarmglocke drücken, dann sinkt sie ohnmächtig neben dem Lederdiwan zu Boden. Schon stundenlang hat sie mit eisernem Willen dagegen angekämpft, nun entschwindet ihr alles. – – –

      Sie erwachte erst, als ein graues Morgenlicht ins Zimmer fiel. Sie erhob sich mühsam mit großen Schmerzen in ihren Gliedern und wankte in ihrer Mutter Zimmer. Im Vorzimmer saß eine Diakonisse, die stand auf und schob sie sanft hinaus.

      »Gehen Sie hinüber, Prinzessin, ich bringe Nachricht –«

      Sie ging in ihr eigenes Zimmer. Halb betäubt setzte sie sich auf ihr Bett. Da hörte sie draußen Stimmen.

      »Ja, es war ein Knabe, und jetzt ist wohl keine Aussicht mehr. Die Fürstin ... sie kommt über den Berg, ja, eine kräftige Natur ... in einer Beziehung gewiß.«

      Rosmarie ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf ihr Bett gleiten und streckte sich aus.

      »O Vater, du solltest nicht trauern. Wird dich ein Kind glücklich machen, das dir der Haß gebracht hat!« –

      Als die Sonne schon hoch an einem verweinten Himmel stand, ging Rosmarie in die Sommerstube zu ihrem Vater, mit ihren leisen schwebenden Schritten. Der hatte sie hereinkommen hören, wandte ihr aber den Rücken zu und drehte sich auch nicht um. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Sei nicht mehr traurig, lieber Vater.«

      Der Fürst fuhr herum. – O Gott, wie sah er aus. Als ob er geweint hätte, übernächtig, verstört, ein finsterer Zorn lag auf seiner Stirn. Wie nur sein finsterster Ahn je geblickt haben mochte, wenn er seinen Todfeind vor sich sah.

      »Ich begreife nicht, wie du es wagen kannst, mir unter die Augen zu kommen! Laß deine Kammerjungfer packen, ich habe an Tante Helen depeschiert, daß du kommst. Hier in Brauneck kannst du nicht sein um deiner armen ... der Fürstin willen, und ich will dich auch nicht sehen.«

      »O Vater, was soll ich – warum – ich war ohnmächtig lange, ich – ich habe hier gelegen.«

      »Was redest du? Hast du dich hier versteckt, nachdem dir dein Streich gelungen?«

      Rosmarie richtete sich auf: »Nun will ich hören, was ich getan haben soll!«

      »Das weißt du selbst, und es ist so schändlich, daß ich es nicht wiederholen werde... Gehe jetzt und mache dich fertig. Mama wird erst ruhig sein, wenn du aus dem Hause bist. An Tante Helen habe ich geschrieben, ihr magst du sagen, was du zu deiner Entschuldigung vorbringen kannst. Ich weiß, daß Mama dich gereizt hat, sie hat es selbst zugegeben, aber diese Tat, diese schändliche Tat! Und du kommst herein, und ich sehe die Freude darüber in deinem Gesicht. Du kannst es nicht ableugnen, was ich selbst gesehen habe. Geh jetzt, oder du zwingst mich, mein eigenes Zimmer zu verlassen.«

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