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betroffenen Menschen fragen sich, warum sie dem inneren Schrecken nicht entkommen können, warum sie immer wieder daran erinnert werden, warum sie nicht zur Ruhe kommen. Sie erleben, wie sie die Kontrolle über sich selbst und ihr eigenes Leben verlieren, und sie erleben, wie sich ihre Identität verändert oder bei manchen zu verabschieden scheint. Sie schämen sich angesichts ihrer Traumata und ihrer Traumafolgestörung. Scham ist eine zusätzliche Bürde, die im Behandlungsprozess einen angemessenen Raum benötigt. Sie tritt sowohl aufgrund des Erlittenen auf als auch aufgrund von Taten, die Patienten begangen haben oder zu denen sie gezwungen wurden und die nicht mit ihrem eigenen Selbst- und Weltbild vereinbar sind.

      Patientinnen kennen die erneute Erniedrigung und die Ohnmacht, die beispielsweise in einem Begutachtungsverfahren oder einem juristischen Verfahren ausgelöst werden können. Diese Prozedere glichen ihren Einschätzungen nach eher einem Casting, bei dem man erneut keine Chancen hat und das nicht selten bizarre Einschätzungen zutage fördert. Die Tatsache, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, potenziell traumatisierende Ereignisse zu bewältigen, ohne eine Traumafolgestörung zu entwickeln, lastet zusätzlich auf vielen Patienten, da sie sich unter anderem fragen, warum gerade sie diese Störung entwickelt haben, während andere, die Vergleichbares erlebten, »besser« waren, ohne Schaden davonkamen.

      Ich erachte es als selbstverständlich, die von Patientinnen erlebten traumatischen Ereignisse in Bezug zu ihrer Biografie einschließlich psychischer, somatischer, persönlichkeitsbezogener, sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Faktoren zu bringen. Die mitunter fehlende Anerkennung der erfahrenen Gewalt, Vernachlässigung und des Unrechts sowie fehlende Würdigung des Leids können eine zusätzliche Belastung darstellen und den Heilungsprozess deutlich erschweren.

       2.2.1Trauma-Typen

      Leonore Terr schlug 1991 als Erste die Unterscheidung zwischen Trauma-Typ I und Trauma-Typ II vor (Streeck-Fischer 2011, S. 450).

      Der Trauma-Typ I bezieht sich auf akute und einmalige Traumatisierung, der Trauma-Typ II auf die Folgen chronischer bzw. multipler Traumatisierung (Streeck-Fischer 2011, S. 450).

      Die Traumatypen haben einen hohen therapiepraktischen Wert, da sich die Behandlungspläne je nach Typ voneinander unterscheiden. Die Differenzierung und Berücksichtigung der spezifischen Folgen von sogenannten Man-made disasters (interpersonell), d. h. menschlich verursachten Traumatisierungen, gegenüber Traumatisierungen, die nicht gezielt von Menschen ausgingen, wie beispielsweise Naturkatastrophen (akzidentell), dient ebenso der Orientierung in einer Traumalandschaft (Hecker u. Maercker 2015, S. 549).

      Schellong stellt eine Erweiterung der Trauma-Typen vor, die das breite Störungsspektrum abbildet und auf die Notwendigkeit angepasster Behandlungspläne verweist (Schellong 2013, S. 47). Sie unterteilt die Traumafolgestörungen nach einem intensiven Dialog mit Praktikerinnen in vier Typen:

•Typ I »einfache« posttraumatische Belastungsstörung
•Typ II Posttraumatische Belastungsstörung oder partielle posttraumatische Belastungsstörung »plus« traumakompensatorische Symptomatik
•Typ III Posttraumatische Belastungsstörung oder partielle posttraumatische Belastungsstörung »plus« persönlichkeitsprägende Symptomatik
•Typ IV Posttraumatische Belastungsstörung oder partielle posttraumatische Belastungsstörung »plus« komplexe dissoziative Symptomatik

      Die Übersicht in Tab. 4 zeigt die Empfehlungen zur Diagnostik der Traumafolgestörungen entsprechend den vier Typen. Bei Typ I handelt es sich meist um ein einzelnes potenziell traumatisches Ereignis, das eine Traumafolgestörung nach sich zieht. Hier stehen Symptome der klassischen Symptomtrias im Vordergrund: Intrusion, Vermeidung und/oder Numbing sowie Hyperarousal. Die weitere Typisierung folgt nach Schellong einem »Add-on«-System im Sinne einer »Plus«-Symptomatik.

Empfehlungen zur Diagnostik von Traumafolgestörungen
Typ I •CAPS (Clinician-Administered PTSD Scale)
•PDS (Posttraumatic Diagnostic Scale)
•IES-R (Impact of Event Scale, revised)
Typ II Speziell auf komorbide Störungen abgestimmt, z. B.:
•BDI (Back-Depressions-Inventar)
Hamilton-Depressionsskala
Typ III •IPDE (International Personality Disorder Examination)
•SKID-II (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV)
•SKID-D (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Dissoziative Störungen)
•SIDES (Structured Clinical Interview for Disorders of Extreme Stress)
Typ IV •SKID-D (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Dissoziative Störungen)
•FDS (Fragebogen zu Dissoziativen Symptomen)
•DDIS (Dissociative Disorders Interview Schedule)

      Kommt eine weitere psychische Erkrankung hinzu, liegt eine Typ-II-Traumafolgestörung vor. Das Störungsbild einer Traumafolgestörung vom Typ III ist durch eine zusätzliche persönlichkeitsprägende Symptomatik mit vorwiegend expansiven Reaktionsmustern gekennzeichnet, die dem impulsiven Verhalten bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ähnelt oder durch internalisierende Persönlichkeitsmerkmale mit negativer, sozialphobischer und dissoziativer Symptomatik imponiert, die häufig von somatoformen Körperbeschwerden begleitet wird. Der schwerste Ausprägungsgrad einer Traumafolgestörung liegt mit dem Typ IV vor. Hier überwiegt die dissoziative Symptomatik einschließlich der Störung der Identitätswahrnehmung mit Amnesien, Teilidentitätsstörungen und Identitätswechseln.

       2.3Orientierung entsprechend dem aktuellen Funktionsniveau und der Persönlichkeit

       2.3.1Stabilitätskontinuum

      Der aktuelle Zustand, die Verfassung, Stabilität, also das Funktionsniveau sowie die gesamte Persönlichkeit unserer Patientinnen und Patienten sind ebenfalls ausschlaggebend für die Orientierung im Bereich der Traumafolgestörungen und deren Behandlung. Wir finden in der Praxis eine große Bandbreite dieser Aspekte vor und müssen darauf entsprechend eingehen.

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