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offensichtlich zum menschlichen Dasein. Gerne würde ich diesen Satz anders formulieren, abmildern, vielleicht so wie die 12. Fee bei Dornröschen, die in letzter Sekunde den Todesfluch der 13. Fee noch in einen hundertjährigen Schlaf umwandeln konnte. Gerne würde ich ihn eingrenzen, nach dem Motto: Das Leben ist nun aber auch nicht nur Trauma! Und überhaupt: Der Traumabegriff wird ohnehin inflationär verwendet! Oder: Traumatisierungen finden nur woanders statt, nicht bei uns! Gerne würde ich ihn schönreden, vermeiden, verdrängen, dissoziieren oder bagatellisieren. Natürlich gibt es auch die andere Seite des Lebens, die nicht traumatische Seite. Es gibt eine in ihrer Vielfalt unüberschaubare Ressourcenseite, es gibt Resilienz und es gibt posttraumatisches Wachstum. Es gibt die Menschen, die traumatische Ereignisse bewältigen, ohne eine Traumafolgestörung zu entwickeln. Diese Aspekte sind wichtig und unerlässlich für die Behandlung von Traumafolgestörungen. Wir werden sie einbeziehen, wir brauchen sie, wir lernen von ihnen.

      Es gibt jedoch auch die Seite des Schreckens. Sie lässt sich nicht wegwischen, sie lässt sich nicht kleinreden, sie lässt sich nicht verdünnen. Jede und jeder von uns kennt traumatische Ereignisse, entweder selbst erlebt oder im nahen Umfeld erfahren. Bewegen wir uns in diesen Bereich, wie in ein Land oder in eine Kultur, obwohl dieser Begriff hier fehl am Platz scheint, haben wir es genau damit zu tun, unabhängig davon, wie weit weg es sich anfühlt, zum Beispiel bei Kriegsflüchtlingen, oder wie nahe bei traumatischen Ereignissen in der eigenen Familie oder der Nachbarschaft. Wir haben es teilweise mit unbeschreiblicher Gewalt zu tun, mit überwältigenden Ohnmachts-, Schmerz- und Auslöschungserfahrungen, mit bodenloser Vernachlässigung und weiteren traumatischen Erfahrungen, die das gesamte Selbst- und Weltverständnis erschüttern können. Diese Erfahrungen können durch Menschen verursacht sein (»Man-made disasters« oder interpersonelle Traumata), sie können auch durch andere Faktoren, wie Naturgewalten oder Großschadensereignisse, ausgelöst werden (akzidentelle Traumata). Wie gerne würde ich sie isolieren, einsperren oder verbannen. Tatsächlich tue ich das ab und an. Doch geht es hier um ein Realisieren, darum, etwas wahr sein zu lassen, was nicht wahr sein darf, nicht wahr sein soll. Manchmal scheint sich in mir alles vor diesem Wahrseinlassen zu sträuben. Wegschauen wäre eine Lösung. Wegschauen zu können wird zu unserem Thema gehören und ist notwendig. Doch wegschauen ist auch ein schmales Brett, unter dem das Gebiet des Abwehrens, Nichtglaubens, Stigmatisierens, Abwertens und der Schuldzuweisung wie ein Abgrund droht. Es geht vielmehr darum, das Hinschauen zu gestalten.

      Die Untersuchungen hinsichtlich der Häufigkeit einer Traumafolgestörung, die sich vor allem auf die Entwicklung einer PTBS beziehen, zeigen, dass ein großer Teil der Menschheit mindestens einmal im Leben mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert wird. Die Lebenszeitprävalenz für die Konfrontation mit einem traumatischen Ereignis, die ursprünglich basierend auf den früheren Fassungen des DSM mit 40–60 % angegeben wurde, wird entsprechend der Stressdefinition des DSM-IV weitaus höher eingeschätzt (Wagner 2011, S. 166 ff.). Etwa 25–30 % der betroffenen Menschen bilden eine PTBS aus. Die Lebenszeitprävalenz für Männer beträgt 5 %, die für Frauen ist mit 10,4 % doppelt so hoch (Senger 2019, S. 13). Das vorliegende Buch handelt von diesen Menschen und den traumatherapeutischen Möglichkeiten der Bewältigung von Traumafolgestörungen.

      In der Auseinandersetzung mit Fragen zu Traumafolgestörungen und ihren Behandlungen treffen wir häufig auf die Metapher der Traumalandschaft (Fritzsche 2018b, S. 119; Peichl 2008, S. 1). Landschaften lassen sich betreten, wieder verlassen und umgehen, also meiden. Einerseits beschreibt die Metapher die Fokussierung auf einen spezifischen Bereich, eben den der Traumafolgestörungen. Diesem Bereich werden wir uns zuwenden. Wir werden Traumalandschaften betreten, sie besuchen. Andererseits verweist sie auf den Umstand der Abgrenzbarkeit. Es geht um eine ganz bestimmte Landschaft, ein definiertes Gebiet. Traumatisierungen und Traumafolgestörungen können in gewisser Weise in ein Land, Gebiet oder Territorium wie in eine Schublade verbannt werden. Aus der Perspektive der Dissoziation würden wir sagen: vom Bewusstsein abgetrennt werden. Wenn sie dort untergebracht und sicher verwahrt sind, können wir einfach einen großen Bogen darum machen und hätten folglich nichts mehr damit zu tun. Wir würden die Traumalandschaft einfach nicht mehr betreten. Jochen Peichl spricht konkret von inneren Traumalandschaften, was diesem Umstand Rechnung trägt (Peichl 2008). Die Formulierung: innere Traumalandschaften weist darauf hin, dass sich traumatisches Geschehen und traumaassoziierte Prozesse nicht einfach outsourcen lassen. Sie existieren im Inneren weiter. Sie melden sich sozusagen aus der Verbannung. Trotzdem werden häufig auch innere Traumalandschaften ignoriert, vermieden oder dissoziiert, um traumatischem Geschehen nicht begegnen zu müssen. Dies entspricht dem psychischen Grundbedürfnis nach Kontrolle und Orientierung. Es ist als Bewältigungsversuch anzusehen und geschieht teils bewusst, denkt man beispielsweise an das selbst verordnete Schweigen der kriegsteilnehmenden Generation des Zweiten Weltkrieges. Es geschieht auch unbewusst. Der Gewinn besteht darin, nicht mit traumatischem Geschehen konfrontiert zu werden und einen großen Bogen um dieses Gebiet zu machen. Die innere Traumalandschaft ist tabu. Priebe, Stiglmayr u. Schmahl (2018, S. 487) verweisen auf Pierre Janet, der

      »… postulierte, dass traumatische Lebenssituationen in Abhängigkeit von einer individuellen Disposition eine autoregulative Abspaltung dieser Erlebnisanteile aus dem Bewusstsein auslösen. Diese desintegrierten Inhalte würden sich willentlicher Kontrolle entziehen, jedoch aktiv bleiben und das Denken, Handeln und Fühlen beeinflussen und seien somit für die dissoziativen Phänomene verantwortlich.«

      Die Idee mit dem großen Bogen kann sich auch in psychotherapeutischen Praxen abspielen. Viele Therapeutinnen und Therapeuten hatten nicht vor, traumazentrierte Psychotherapie anzubieten. Doch dann tauchen bei ihren bis dahin nicht als traumatisiert betrachteten Patientinnen die entsprechenden Symptome auf. Von den Symptomen spannt sich nach und nach eine Brücke zu den Erinnerungen an die traumatischen Ereignisse und plötzlich füllen ausgewachsene Traumafolgestörungen den Praxisraum aus, ohne dass dies verabredet war. Nicht alle Patienten, die unter Traumafolgestörungen leiden, kommen konkret mit diesem Anliegen in die Praxis. Vielen Hilfesuchenden ist ihre Störung gar nicht als Traumafolgestörung bewusst (Dammann u. Overkamp 2004, S. 6). Wir können demnach Traumafolgestörungen und deren Behandlung letztlich fast nicht aus dem Praxisalltag heraushalten. Sie finden auch dann zu uns, wenn wir nicht vorhatten, zu ihnen zu reisen. Selbst wenn Patientinnen und Patienten ein traumatischer Hintergrund ihrer Beschwerden bewusst ist, kann die Angst davor, sich ihm zuzuwenden, derart groß sein, dass die Traumalandschaft unberührt bleibt. Ebenso bahnen sich unsere eigenen Erlebnisse in Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen und traumatischen Erfahrungen einen Weg zu uns, auch dann, wenn wir sie nicht dazu eingeladen haben. Wir begegnen in unserer Arbeit Traumalandschaften und werden immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie wir sie sicher betreten können, wie wir einen Weg durch sie hindurch finden und wie wir lernen, sie umzugestalten. Wir sollten nicht überlegen, wie wir daran vorbeikommen, sondern wie wir uns mit ihnen konstruktiv und heilsam auseinandersetzen können.

      Klingt das düster? Die Tatsache, dass Traumatisierungen zum menschlichen Dasein gehören, bedeutet für mich, nicht zu verzweifeln, mir eine zynische Haltung zuzulegen, jegliche Bemühungen um die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten und einen Umgang mit ihnen einzustellen. Sie bedeutet für mich eher, mich ihnen zu stellen, mit ihnen leben zu lernen, an ihnen zu wachsen, kreativ zu sein und nach neuen Wegen zu suchen, betroffene Menschen unterstützen zu können. Sie spornen mich an. Das Realisieren der Allgegenwärtigkeit von Traumatisierungen bildet für mich keinen Widerspruch zu Hoffnung und Engagement.

      Das vorliegende Buch soll Ihnen in Ihrer Arbeit mit traumatisierten Menschen helfen, es soll Ihnen Orientierung in einem Land oder einer Landschaft bieten, in denen viele von Ihnen nicht leben, die viele von Ihnen jedoch kennen, die manche schon häufig bereisten, andere versuchten, einen Bogen darum zu machen. Die Reise in dieses Land schließt drei Perspektiven ein:

      a)die Perspektive der Menschen, die unter Traumafolgestörungen leiden, die sich aus diesem Grund um psychotherapeutische Hilfe bemühen und die sich meistens nicht verstanden fühlen

      b)die Perspektive der Menschen, die diese Hilfe in Form von traumaspezifischer Behandlung anbieten und versuchen, zu verstehen und mitzufühlen

      c)die Perspektive der Selbsterfahrung der Therapeutinnen

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