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komorbide Störungen werden dissoziative Störungen, depressive Störungen, Somatisierungsstörungen, Essstörungen, Angststörungen, Zwangsstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, Substanzmissbrauch, Suchterkrankungen, Störungen der Affektmodulation und Impulskontrolle, psychotische Störungen, Persönlichkeitsveränderungen und Persönlichkeitsstörungen genannt (Hecker u. Maercker 2015, S. 552; Dammann u. Overkamp 2004, S. 14; Senger 2019, S. 12). Die Liste möglicher physischer bzw. somatischer Folgen, die bei traumatisierten Patientengruppen im Vergleich häufiger nachgewiesen werden konnten, ist lang: erhöhtes Waist-Hip-Ratio2, Adipositas, Hypertonus, Dyslipidämien (Fettstoffwechselstörung), kardio- und zerebrovaskuläre Erkrankung, Tachykardie, metabolisches Syndrom, nicht zirrhotische Lebererkrankungen, Diabetes mellitus, frühzeitiger Tod, Infektanfälligkeit, Magengeschwüre, HIV-seropositiver Status, rheumatoide Arthritis, Psoriasis, Schilddrüsenerkrankungen, chronische Schmerzen, Fibromyalgie-Syndrom, muskuloskelettale Fehlfunktionen, Knochendemineralisation, Osteoarthritis und Schlafstörungen (Langheim 2019, S. 56). Die Angaben basieren auf einer klaren Vorher-nachher-Einschätzung und beschreiben psychische und somatische Erkrankungen, die sich als Folge von Traumatisierungen bzw. im Zusammenhang mit Traumafolgestörungen entwickeln.

      Bei der Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen einschließlich komplexer dissoziativer Störungen, die einen hohen Grad an Komorbidität aufweisen, finden wir hinsichtlich der zusätzlichen Erkrankungen sowie der beeinflussenden und möglicherweise erschwerenden Faktoren eine Schwierigkeit, die man als Henne-oder-Ei-Problem beschreiben könnte. Was war zuerst? Lag beispielsweise eine Depression oder eine Persönlichkeitsstörung bereits vor dem traumatischen Geschehen vor und erhöhte die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung einer Traumafolgestörung bzw. erschwerte die Symptomatik dieser Störung oder führten die meist frühen komplexen Traumatisierungen zusätzlich zu einer depressiven Störung, Persönlichkeitsveränderungen oder Persönlichkeitsstörungen?

      Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht darin, dass frühere Traumatisierungen die Wahrscheinlichkeit der Ausprägung einer Traumafolgestörung nach erneuter Traumatisierung erhöhen, was auch als Bausteineffekt (»building block«) beschrieben wird (Hecker u. Maercker 2015, S. 550).

      Bei Typ-I-Traumatisierungen im Erwachsenenalter lassen sich diese Fragen am einfachsten beantworten, da sich das Leben und das Befinden vor dem Trauma gut explorieren lassen. Gab es psychische oder somatische Erkrankungen vor der Traumatisierung? Das Fehlen von psychischen, somatischen oder sozialen Störungen bzw. Belastungen vor einer Traumatisierung bedeutet jedoch nicht, dass die Traumafolgestörung automatisch milder verläuft. Es bedeutet nicht, dass die Symptome in diesem Fall weniger stark ausgeprägt wären.

      Eine Vorher-während-und-nachher-Betrachtung sollte in jedem Falle durchgeführt werden, da prä-, peri- und posttraumatische Faktoren die Entwicklung, die Schwere und den Verlauf einer Traumafolgestörung beeinflussen können (Hecker u. Maercker 2015, S. 550). Der Blick richtet sich gleichermaßen auf Störungen bzw. erschwerende Faktoren wie auch auf Ressourcen.

      Einerseits liefert die Orientierung auf die verschiedenen Zeiträume bzw. Zeitpunkte Hinweise zu möglichen Risikofaktoren, andererseits bieten sie die Möglichkeit der Ressourcensuche. Ressourcen aus der Zeit vor einer Traumatisierung sind wichtige unterstützende Faktoren und Bausteine der Behandlung. In der Praxis können uns verschiedene Besonderheiten des Erlebens von Patientinnen und Patienten begegnen, die einen großen Einfluss auf die Behandlungsplanung und den Behandlungsverlauf besitzen. Dazu gehören:

      •Fälle, in denen es kein ressourcenreiches Erleben vor Beginn der Traumatisierungen zu geben scheint bzw. dieses nicht erinnerbar ist

      •Fälle, in denen komplexes traumatisches Erleben erst in höherem Lebensalter bewusst/zugänglich wird, nachdem die Person eine gewisse Lebenszeit aus ihrer Sicht beschwerdefrei lebte.

      Die folgenden Fallsequenzen geben einen Einblick in diese Besonderheiten:

      Wenn eine Patientin erklärt, den Schrecken kenne sie schon, solange sie denken könne und zusätzlich über Informationen von Familienmitgliedern oder weiteren Personen verfügt, die bestätigen, dass die traumatisierenden Umstände schon zurzeit ihrer Geburt oder auch vor ihrer Geburt herrschten, dann wird die Einschätzung sowie ein Rückgriff auf prätraumatische Ressourcen schwierig.

       Fallbeispiel 4

      Die Patientin berichtet von ihren Erinnerungen aus dem Luftschutzkeller am Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Angriffe konnten jederzeit erfolgen. Es herrschte tiefste Verunsicherung und Panik und es war nicht klar, wie viele dieser Bombardierungen sie noch überleben würden. Es war kein guter Zeitpunkt, ein Kind zu bekommen, und nicht die Art, auf der Welt willkommen geheißen zu werden, die sich Eltern für ihr Kind gewünscht hätten. Abgesehen von den Belastungen durch die Abwesenheit des Vaters und der Angst um ihn stellte eine bedingungslose mütterliche Zuwendung für das Kind in dieser anhaltend lebensbedrohlichen Situation einen Luxus dar, der für die Mutter unerreichbar war. Die Kriegserlebnisse sollten das Kind ein Leben lang begleiten, man könnte sagen: verfolgen.

      Würden sich nun psychische, somatische und soziale Probleme unabhängig davon betrachten lassen? Die Spätfolgen von Kindheitstraumatisierungen und transgenerativen Traumatisierungen sind gut untersucht und zeigen uns, welche Auswirkungen derartige Erlebnisse haben. Lassen sich andererseits sämtliche Probleme im Leben auf diese Erlebnisse zurückführen? Besteht das Risiko einer Art »Generalerklärung«? In dieser Hinsicht ist ein behutsames Vorgehen wichtig, durch das voreilige Schlüsse und Beurteilungen vermieden werden. In den Fällen, in denen es kein bedrohungsfreies Vorher gibt, in denen das Leben mit Traumatisierungen begann, ist ein trauma- und generationssensitiver Umgang mit den verschiedenen Beschwerdebereichen und Problemen notwendig.

      Viele traumatisierte Menschen verlieren ihren Bezug zur Welt. Sie verlieren ein Sicherheitsgefühl, ein Gefühl, sich selbstbestimmt in der Welt bewegen zu können, das eigene Leben und die Welt gestalten und anderen Menschen vertrauen zu können. Sie verlieren ebenso den Bezug zu sich selbst, zu ihrem Körper, zu ihrer Identität. Sie verlieren den Bezug zu ihrer Würde, zu ihren Überzeugungen und zu ihren Gefühlen. Das Erleben, plötzlich im fortgeschrittenen Lebensalter mit einer ganz anderen Biografie konfrontiert zu sein, völlig anders, als die eigene Geschichte bis dahin erinnert wurde, stellt eine Extrembelastung für Betroffene dar, wie im zweiten Beispiel deutlich wird.

       Fallbeispiel 5

      Die Patientin sollte zwecks einer Burn-out-Prophylaxe eine Rehabilitationsbehandlung absolvieren. Dies war fast ein Standardvorgehen nach vielen Jahren engagierter und verantwortungsvoller Tätigkeit. Dann sei es gut, einmal auszusteigen, auch etwas für den Körper zu tun und die Anzeichen von Überarbeitung ernst zu nehmen. Früher hätte man gesagt: »Sie müssen mal zur Kur.« Was sich anschließend ereignete, hatte mit Kur nicht viel zu tun. Im Laufe der stationären Rehabilitationsbehandlung brachen bei der Patientin unkontrolliert Traumaerinnerungen hervor, so heftig und so schrecklich, dass die Patientin sicher war, nun verrückt geworden zu sein. Das Erinnerungsmaterial wurde jedoch derart deutlich und bezüglich ihrer Biografie eindeutig, dass die Patientin plötzlich mit einem völlig anderen Lebenslauf konfrontiert war, anders als der, den sie bis dahin verinnerlicht hatte. Sie schien nun jemand anderes zu sein: Ein Mensch, dem diese schrecklichen, nicht aussprechbaren Dinge passiert sind. Sie war nicht mehr die Person, die mit solchen Sachen nichts zu tun hatte. Sie hatte den Eindruck, somit auch nicht mehr liebenswert zu sein und die Eigenschaften verloren zu haben, die sie sich bis dahin zugeschrieben hatte, wie mitfühlend, hilfsbereit, verantwortungsvoll, engagiert, interessiert und kreativ. Sie hatte vielmehr den Eindruck, verachtenswert und unwürdig zu sein, nicht mehr dazuzugehören, das Recht auf Gleichbehandlung und Würde verloren zu haben. Die Patientin erlebte den Ausbruch der traumatischen Erinnerungen wie eine Art doppelte Buchführung. Es gab nun zwei Lebensverläufe, zwei Entwicklungen, zwei Identitäten. Es ging hier nicht um eine dissoziative Aufteilung der Persönlichkeit, sondern um das Realisieren und die Akzeptanz einer traumatisierten Biografie sowie um den Verlust einer unversehrten

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