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die eigenen Reaktionen, Impulse und Gefühle wahrzunehmen, die diese Störungen bzw. Menschen, die unter ihnen leiden, auslösen. In der Behandlung von Traumafolgestörungen werden wir mit einer Vielzahl an schrecklichen Geschichten konfrontiert. Es bleibt eine berufslebenslange Aufgabe, eigene konstruktive Wege zu finden, damit gut umzugehen. Zum Glück gibt es hinter den schrecklichen Geschichten immer den Menschen, zu dem auch andere Geschichten und andere Seiten gehören. Ich möchte an dieser Stelle vom ersten Kontakt mit einer der komplexen und drastischen Biografien berichten, die ich als junger Therapeut erlebte und die mit zu den Behandlungen gehörte, die meine traumatherapeutische Ausrichtung prägte. Die Fallsequenz stellt auch für Sie, liebe Leserin und lieber Leser, in diesem Buch einen ersten Kontakt mit betroffenen Menschen dar, von denen viel berichtet werden wird und die uns mit all ihren Facetten begleiten werden. Das Fallbeispiel 1 führt uns mitten hinein in die Fragen der Beschreibung, Einordnung, Behandlung und des Erlebens von komplexen Traumafolgestörungen. Es kann auch die unterschiedlichen Gefühle verdeutlichen, die Biografien bei uns auslösen, in denen traumatisches Geschehen enthalten ist.

       Fallbeispiel 1

      Der erste Kontakt mit der kasachischen Patientin fand im Beisein ihrer Betreuerin statt, die sich händeringend mit der Bitte um eine traumatherapeutische Behandlung für die junge Frau an mich gewandt hatte. Der sowjetische Hintergrund stand während meiner Kindheit und Jugend in der DDR nicht besonders hoch im Kurs. Umso verblüffender war der Effekt, irgendwie ziemlich schnell einen Draht zu ihr gefunden zu haben, die derart auffällig und instabil zu sein schien, dass ihr viele ambulante Therapeuten und stationäre Einrichtungen eine Behandlung verwehrten, zum Teil, da diese schon mehrmals ohne Erfolg versucht worden waren. Sie brachte mir im Therapieverlauf u. a. Zeichnungen und Grafiken mit, die sie selbst angefertigt hatte. Eine davon zeigte ein Diddl-Maus-Paar in einer Blüte. Die beiden Diddl-Mäuse umarmten sich glücklich und strahlten sich liebevoll an. Die Blüte stand farbenfroh in voller Pracht und ich versuchte, das Leben der Patientin mit diesem Bild in Verbindung zu bringen. Sie hatte es mit den Worten kommentiert, dass dies der Zustand sei, den sie erreichen möchte, ein Zustand, in dem sie glücklich sei. Ein solches Glücklichsein stand in krassem Gegensatz zu ihrer derzeitigen Situation. Sie befand sich in einem Strudel aus heftigen Symptomen, von denen das beängstigendste war, dass sie einen kaum zu kontrollierenden Drang verspürte, einen Menschen umzubringen.

      Von gewalttätigen und extrem vernachlässigenden Eltern kommend, gelangte sie im Alter von 13 Jahren in Kasachstan an eine paramilitärische Einheit, in der sie zum Kämpfen ausgebildet wurde. Sie lernte dort die verschiedenen Fertigkeiten des Guerillakampfes. In den folgenden zwei Jahren führte sie Aufträge der Einheit aus, zu denen auch Auftragsmorde gehörten. Es gelang ihr später, sich nach Deutschland abzusetzen, wo sich eine komplexe Traumafolgestörung entwickelte, die die Patientin immer noch in gleichem Maße belastete. Dazwischen lagen gescheiterte Versuche der Integration, Ausbildung, Klinikbehandlungen, geschützte Wohnprojekte, Drogenprojekte, Obdachlosigkeit, Kriminalität und ein Gefängnisaufenthalt. Während dieser gesamten Zeit erlebte sie permanent Überflutungen von traumatischen Erinnerungen, Bedrohungserleben (bedroht werden und bedrohen gleichermaßen), extreme Anspannung, Angst- und Panikzustände, quälende Zwangsgedanken, Derealisationen, Suizidalität, autoaggressives Verhalten, Depressivität, Identitätsunsicherheit. Es war anspruchsvoll, ihr und ihrem Körper zu helfen, sich in Sicherheit fühlen zu können, überhaupt so etwas wie Sicherheit spüren zu können und Möglichkeiten zu finden, sich ihrem Leben und ihren Beschwerden zuzuwenden. Mir war klar, dass es dafür einen integrativen Behandlungsansatz brauchte, dass der Körper, die Gefühle und die Überzeugungen einbezogen werden müssten, dass wir sowohl top-down als auch bottom-up arbeiten müssten und dass die Behandlung nur gelingen konnte, wenn sie gut vernetzt und supervidiert stattfand.

      Anhand dieses Fallbeispiels lässt sich ebenfalls zeigen, inwieweit uns eine Topografie von Traumafolgestörungen dabei unterstützt, uns in der Behandlung zu orientieren. Die verschiedenen Bereiche dieser Topografie bilden sozusagen Puzzleteile auf dem Weg der traumatherapeutischen Behandlung. Die Symptome der Traumafolgestörungen der Patientin zeigten sich sehr deutlich und ließen sich schnell mit dem zugrunde liegenden traumatischen Stress in Verbindung bringen (siehe Abschnitt 2.1). Neben den Intrusionen verschiedener traumatischer Ereignisse, den drogengestützten Vermeidungsversuchen und der anhaltenden Übererregung stand das Verlangen der Patientin, einen Menschen zu töten, absolut im Vordergrund und erforderte intensive therapeutische Arbeit. Ebenso wie die Symptome ließen sich die traumatischen Ereignisse bzw. die traumatischen Belastungen topografisch nutzen. Allerdings fand sich eine große Zahl der Ereignisse sowie der verschiedenen Arten von Traumatisierungen (siehe Abschnitt 2.2). Der aktuelle Zustand der Patientin und Aspekte ihrer Persönlichkeit ließen sich zusätzlich nutzen, um einen therapeutischen Weg zu finden (siehe Abschnitt 2.3). Einerseits wirkte die Patientin in ihrem Alltag im Rahmen des geschützten Wohnens stabil, andererseits gab das beschriebene vorrangige Symptom Anlass zu großer Sorge. Die Klassifikation der Störung der Patientin als komplexe Traumafolgestörung fiel nicht schwer. Sie diente als Grundlage für die Erstellung eines individuellen Behandlungsplanes (siehe Abschnitte 2.4 und 2.5). Aufgrund der Komplexität und Ausprägung des Störungsbildes wurde schnell klar, dass in Form einer integrativen Behandlung verschiedene therapeutische Prozesse, Strategien und Wirkfaktoren einbezogen werden müssten (siehe Abschnitt 2.6).

      Der erste Kontakt mit dem Konzept der Ego-State-Therapie war für mich ein wichtiger Moment, der meinen weiteren Berufsweg prägen sollte. Ich war bereits nach dem ersten Seminar, zu dem ich ziemlich skeptisch angereist war, von diesem Modell begeistert. Die Ego-State-Therapie half mir, eine neue Vorstellung der Persönlichkeit zu entwickeln und verschiedene Konzepte und Ansätze, die ich bisher nebeneinander verfolgt hatte, in ein Behandlungsmodell integrieren zu können.

      Die Ego-State-Therapie bietet sich nach meinem Verständnis gleichermaßen als spezifische Intervention und ebenso als ein Rahmen-Modell für die Behandlung von Traumafolgestörungen an. Beides möchte ich in diesem Buch vorstellen. Das Spektrum von Traumafolgestörungen ist derart breit, dass es sicher unmöglich ist, alle Facetten in einem Buch unterzubringen. Ich werde jedoch auf die Vielfalt der Störungen und die unterschiedlichen Implikationen für die Behandlung eingehen. Für mich und meine traumatherapeutische Arbeit war und ist die Ego-State-Therapie ein Geschenk. Dies möchte ich gerne weitergeben.

       2Topografie der Traumafolgestörungen

      Wie ließe sich eine Topografie der Traumafolgestörungen erstellen, die traumatische Ereignisse, deren Folgen sowie deren Behandlungsmöglichkeiten einschließt und die zusätzlich die individuelle Persönlichkeit der Patientinnen und Patienten sowie deren gegenwärtiges Funktionsniveau berücksichtigt? Im Klettersport werden sogenannte Topo-Führer genutzt, die in Buch- oder digitaler Form vorliegen und das Zurechtfinden am Berg deutlich erleichtern, zum Teil überhaupt erst ermöglichen. Ein solches Topo ist eine detaillierte Beschreibung einer Kletterroute mit bestenfalls allen wichtigen Informationen für die Kletterer. Folglich lassen sich Topo-Führer hinsichtlich ihrer Qualität und Praktikabilität voneinander unterscheiden. Gerne gesehen sind beispielsweise gestochen scharfe Fotos der angezielten Kletterwand, in die die Route deutlich eingezeichnet und mit sämtlichen relevanten Informationen ergänzt wurde. Da freut sich das Kletterherz.

      In welcher Form gelingt nun eine solche Topografie der Traumafolgestörungen? Sicher nicht mit hochaufgelösten Farbfotos von traumatischen Ereignissen, wie sie in manchen Medien beliebt sind. Und welche relevanten Informationen bräuchten wir zusätzlich, damit wir uns sicher fühlen auf unserem Weg in diese Landschaft? Ganz ohne Vorbereitung sollten wir das nicht tun. Wir brauchen also eine Art Orientierung, einen Überblick und eine erste

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