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zumeist auch die politische Heimat der wenigen, aber agilen Religiösen Sozialisten, die sich um eine Öffnung konservativer Kirchenkreise für soziale Gegenwartsfragen bemühten. Bereits 1919 forderte der Theologe Paul Tillich zu einem gemeinsamen Kampf von Kirche und Sozialdemokratie gegen den ökonomischen und nationalen Egoismus auf. Die evangelische Kirche äußerte sich zunächst kaum öffentlich zu wirtschafts- und sozialethischen Fragen. 1924 aber verabschiedete der Kirchentag in Bethel eine Soziale Kundgebung »An das deutsche Volk!«. In ihr wurde eine besorgniserregende Verschärfung der sozialen Spannungen und ein ›materialistischer Geist‹ beklagt sowie an die christlich-soziale ›Gesinnung‹ appelliert [Soziale Kundgebung, 217f.]. Die Arbeitgeber wurden auf ihre soziale Verantwortung hingewiesen und den Arbeitern das Recht zur gewerkschaftlichen Selbstorganisation bestätigt. Als Volkskirche bemühte man sich um ein ausgewogenes Verhältnis zu beiden gesellschaftlichen Gruppen. Konkrete Lösungsvorschläge für aktuelle soziale Konflikte unterblieben. Vertreter des Religiösen Sozialismus wie Emil Fuchs kritisierten daher die wirtschafts- und sozialpolitische Zurückhaltung der Kundgebung.

      Der Katholizismus besaß seit dem Kaiserreich mit der Deutschen Zentrumspartei eine effektive Interessensvertretung, wie sie dem Protestantismus fehlte. Von 1919 bis zum Sturz von Reichskanzler Heinrich Brüning war das Zentrum dann an allen Regierungen beteiligt. Zwar teilte der konservative Protestantismus mit dem Zentrum viele kirchenpolitische Standpunkte, dennoch war für ihn eine Unterstützung der de facto katholischen Partei undenkbar. Der tiefe Gegensatz der Konfessionen blieb in Weimar erhalten und prägte auch das politische Leben.

      Die kleine Minorität der liberalen Protestanten votierte zumeist auch politisch liberal. Ihre Vertreter wollten die Demokratie mitgestalten, die sozialen Gegensätze versöhnen und im Rahmen des Völkerbundes für den Frieden arbeiten. In den Anfangsjahren der Republik hielten sie sich zur linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei, in der einige Theologen eine wichtige Rolle spielten. Den nationalkonservativen Protestanten galt die Partei hingegen als zu prodemokratisch, ›jüdisch‹ und großkapitalistisch. Später wurden die politischen Präferenzen der liberalen Theologen uneinheitlicher. Mehrere entschieden sich für die nationalliberale Deutsche Volkspartei, wenige für die SPD und einige Jüngere wanderten zur NSDAP ab.

      Trotz Anti-Parteien-Affekt waren auch Protestanten in Parteien aktiv und gingen evangelische Christen zur Wahl. Während kirchenferne Protestanten zu großen Teilen linke Parteien wählten, war die politische Heimat jener kirchengebundenen Protestanten, die der Demokratie und der Republik skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, bis Mitte der zwanziger Jahre die rechtskonservative, monarchistische Deutschnationale Volkspartei, in der sich die unterschiedlichsten Republikgegner sammelten. In der Parteiprogrammatik der DNVP gingen Nationalismus und Christentum eine innige Bindung ein. Ihre Abgeordneten auf Reichs- oder Länderebene gehörten mehrheitlich der evangelischen Kirche an, darunter allein 24 evangelische Pfarrer. Die Partei hatte im gesamten Verbandsprotestantismus zahlreiche Anhänger. Auch die Kirchenleitungen unterstützten trotz vermeintlicher Überparteilichkeit faktisch die DNVP, was auch in dem zeitgenössischen Bonmot zum Ausdruck kam: ›Die Kirche ist politisch neutral, aber sie wählt deutschnational‹. Dennoch entwickelte sich die DNVP nie zum politischen Arm des deutschen Protestantismus. Vor allem unter dem Vorsitz des Medienunternehmers Alfred Hugenberg kam es zu einer Entfremdung konservativer Protestanten von der Partei, die nun offen republikfeindlich sowie einseitig zugunsten von Schwerindustrie und Großagrariern auftrat.

      Evangelische Parteigründungen waren wenig erfolgreich, zumal eine solche Parteibildung »als parteipolitische Verzerrung des aufs Gemeinwohl gerichteten evangelischen Ethos« [Nowak, Geschichte, 226] erschien. Auf Initiative von pietistisch geprägten Gemeinschaften und Freikirchen bildete sich 1924 der »Reichsverband der christlich-sozialen Gesinnungsgemeinschaften«, aus dem 1927 in Nürnberg der »Christliche Volksdienst« hervorging. 1928 spaltete sich die »Christlich-Soziale Reichsvereinigung« von der DNVP ab und schloss sich Ende des Jahres mit dem »Christlichen Volksdienst« zum »Christlich-Sozialen Volksdienst« zusammen. Diese Splitterpartei fand vor allem Zulauf von evangelischen Frauen. Bei der Reichstagswahl von 1930 gewann die Partei überproportional Stimmen in Regionen, welche durch eine starke pietistische oder freikirchliche Tradition geprägt waren, u. a. in Ostpreußen, Ostwestfalen, Württemberg, Baden, Hessen-Nassau, dem Siegerland und der Grafschaft Bentheim. Bei den Wahlen im Juli und November 1932 wechselten dann viele ihrer bisherigen Wähler und Wählerinnen zur NSDAP.

      Die alten nationalprotestantischen Kreise mit den jungen nationalistischen Kräften zu verbinden, war Ziel der 1930 gegründeten Christlich-deutschen Bewegung (CdB) unter Vorsitz des pommerschen Großgrundbesitzers Ewald von Kleist-Schmenzin. Sie unterstützte die monarchistische und nationalistische Opposition gegen die Republik und erhoffte sich eine antimodernistische Kulturpolitik und eine antidemokratische Staatsführung auf christlicher Grundlage. Ihre theologische und politische Ausrichtung war jedoch uneinheitlich. Vor allem die jüngeren Mitglieder wollten die CdB an die Nationalsozialisten heranführen.

      Die 1920 gegründete NSDAP hatte in Punkt 24 ihres Parteiprogramms religionspolitisch eine völkisch-antisemitische Position bezogen. Danach sollten im Staat alle religiösen Bekenntnisse frei sein, sofern sie nicht dessen Bestand gefährdeten oder ›gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse‹ verstießen. Im Hinblick auf das Christentum waren die Aussagen interpretationsoffen. Die NSDAP stellte sich auf ›den Standpunkt eines positiven Christentums‹, erklärte aber zugleich, ›den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns‹ zu bekämpfen, was auch auf die ›jüdischen‹ Anteile im Christentum zielte. Das fand Widerhall bei solchen Geistlichen, die verschiedenen Strömungen völkischer Religiosität anhingen. Führende Nationalsozialisten wiederum förderten deutsch-christliche Gruppierungen in der evangelischen Kirche, die diese im nationalsozialistischen Sinne umgestalten wollten.

      Einflussreiche Nationalsozialisten hingen einer völkischen Religiosität an, wie sie sich bereits 1921 im »Bund für Deutsche Kirche« und 1925 im »Tannenbergbund« organisatorisch verfestigt hatte. Auch Hitlers Denken schöpfte aus dieser diffusen völkischen Religiosität, in der die Vorsehung und der Erwählungsgedanke eine wichtige Rolle spielten. Um jedoch nicht in Konflikt mit den Kirchen zu kommen, wies er die Vertreter der neuheidnischen völkischen Religiosität innerhalb der NSDAP in ihre Schranken. Von 1930 an demonstrierte Hitler eine kirchenfreundliche Haltung, um Stimmen im nationalprotestantischen Lager zu gewinnen.

      Theologiestudenten, Vikare und jüngere Pfarrer neigten seit 1930 zunehmend zur NSDAP. Auch in den evangelischen Vereinen waren Nationalsozialisten aktiv. Vertreter des Evangelischen Bundes wie der Vorsitzende des Rheinischen Hauptvereins, Hermann Kremers, sympathisierten mit der ›Bewegung‹. Bei Wahlen erhielt die NSDAP vor allem im vormals konservativen, ländlichen Protestantismus viel Zuspruch. Evangelische Bauern waren eine frühe und treue Wählerbastion der NSDAP. Später kamen evangelische Wähler der Mittelschichten und des städtischen Kleinbürgertums dazu. Im September 1930, als die Partei unerwartet 18,3% der Stimmen erhielt, war ihr Wähleranteil in protestantischen Gebieten überproportional hoch. Auch im Juli 1932 erreichte die NSDAP in den vorwiegend protestantischen Gebieten wie Ostpreußen, Hannover, Schleswig, Sachsen, Thüringen und Teilen Württembergs überproportional gute Ergebnisse. Hierfür waren zuvörderst ein übersteigerter Nationalismus verbunden mit dem Glauben an einen in der Geschichte handelnden Gott ausschlaggebend. Die nationalprotestantische Mentalität war tief verankert und der Protestantismus hatte mit seinem Kampf gegen die ›Versklavung von Versailles‹ großen Anteil an der Radikalisierung des deutschen Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg. In der Endphase der Weimarer Republik nahmen Nationalismus und auch Militarismus dann noch einmal zu. Die Sehnsucht auf eine ›nationale Wiedergeburt‹ war groß. Die nationale Idee erschien vielen Protestanten in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheiten als Schutzdamm gegen Bolschewismus und Internationalismus – vertreten durch Jesuiten, Sozialisten und Juden. Die antisemitische NS-Propaganda mit den populären Stereotypen des ›jüdischen kapitalistischen Ausbeuters‹ und des ›jüdischen Materialismus‹ verfingen im protestantischen Milieu – vor allem auf dem Lande. Die ›Judenfrage‹ war in evangelischen Sonntagsblättern ein viel diskutiertes, zumeist mit antijüdischen Ressentiments behandeltes Thema. Hoffnungen in die Nationalsozialisten setzten viele evangelische Kirchenchristen auch im Hinblick auf eine Rückgewinnung der zunehmend kirchenfernen Teile der

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