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Kirchliche Zeitgeschichte_evangelisch. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kirchliche Zeitgeschichte_evangelisch
Год выпуска 0
isbn 9783374062645
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Christentum und Zeitgeschichte (CuZ)
Издательство Bookwire
Die konservativen evangelischen Kirchenleitungen fanden hingegen aus institutionellen Eigeninteressen zu einem pragmatischen Verhältnis zur Republik und kooperierten mit dem demokratischen Staat in praktischen Fragen. Dies galt insbesondere für die Stabilisierungsphase der Republik zwischen 1924 und 1930. Der Jurist Hermann Kapler, der seit 1925 Präsident des preußischen Oberkirchenrates war und damit auch an der Spitze des 1922 gegründeten Deutschen Evangelischen Kirchenbundes stand, vertrat eine staatsloyale Linie. Otto Dibelius, Generalsuperintendent der Kurmark, schrieb 1927 in seinem programmatischen Bestseller »Das Jahrhundert der Kirche« in distanziert-neutraler Haltung, dass die evangelische Kirche grundsätzlich »jede Staatsform bejahen und in jeder Staatsform ihren Dienst ausrichten« [Dibelius, Jahrhundert, 237] könne. Einen distanziert-neutralen Kurs fuhr die evangelische Kirche auch im sogenannten Flaggenstreit von 1926. Dieser Konflikt schwelte seit dem Wechsel vom Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreiches zu Schwarz-Rot-Gold in der Weimarer Republik. Im Jahr 1926 führte er zum Sturz des bürgerlichen Kabinetts unter Hans Luther (DVP). Luther hatte die alten Farben Schwarz-Weiß-Rot für die außereuropäischen Auslandsvertretungen zugelassen. Die meisten evangelischen Amtsträger lehnten es seit 1919 ab, an nationalen Feiertagen die kirchlichen Gebäude mit der schwarz-rot-goldenen Reichsflagge zu beflaggen und sich auf diese Weise mit der Republik zu identifizieren. Stattdessen bürgerte sich eine evangelische Flagge ein: ein violettes Kreuz auf weißem Grund. Im Kontext des eskalierenden Flaggenstreits erklärte der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss am 9. Dezember 1926 das violette Kreuz auf weißem Grund zur offiziellen Kirchenfahne für den Deutschen Evangelischen Kirchenbund, mit der auch am Verfassungstag beflaggt wurde. Als symbolischer Akt der Loyalität lässt sich hingegen der Umstand deuten, dass sich die evangelische Kirche am 11. August 1929 auf Initiative von Kapler mit Gottesdiensten an den Feierlichkeiten zum zehnten Verfassungstag der Republik beteiligte.
Sowohl staatspolitische Pragmatik als auch antidemokratische und antiliberale Ressentiments waren in den Vorträgen auf dem zweiten offiziellen Deutschen Kirchentag zu finden, der im Juni 1927 im ostpreußischen Königsberg abgehalten wurde. Erstere Haltung zeichnete den Vortrag des 78-jährigen, konservativ-bürgerlichen ›Vernunftrepublikaners‹ Wilhelm Kahl aus. Der Staats- und Kirchenrechtswissenschaftler sprach sich in seiner Rede über »Kirche und Vaterland« für die Loyalität der Christen gegenüber der Weimarer Republik aus. Der Systemumsturz sei durch göttliche Geschichtsführung erfolgt und der Weimarer Staat folglich legitimiert. Der junge Erlanger Theologieprofessor Paul Althaus gab hingegen unter dem Titel »Kirche und Volkstum« allen im Protestantismus der Zeit vorhandenen Antipathien gegenüber dem demokratischen Staat Ausdruck. ›Volk‹ war für ihn wie für andere evangelische Theologen in der Weimarer Republik, »zum neuen ethischen Bezugspunkt der Theologie« [Scholder, 125] geworden. »Volk« wurde zu einer »politisch-theologischen Utopie« [Trauthig, 384] fern der bestehenden Gesellschaftsordnung. In der Rede des Neokonservativen war von »schmerzliche[r] Entartung«, »Zersetzung zur Masse« sowie »Entwurzelung und Entheimatung« [Althaus, Kirche, 8] die Rede. Dagegen setzte er das »Volkstum«, der »Mutterschoß arteigenen geistig-seelischen Wesens« [ebd., 7]. Die am Ende des Kirchentages mit großer Mehrheit verabschiedete »Vaterländische Kundgebung« versuchte mit staatsethischer Neutralität beiden gerecht zu werden: Sie verband den konservativen Vaterlandsgedanken einschließlich seiner Forderung nach biblisch-lutherisch gebotener Staatsloyalität mit einem jungkonservativen, antirepublikanischen Volkstumsgedanken. Im Unterschied zum Vorentwurf enthielt die Endfassung keinen Passus mehr, in dem das rechtmäßige Bestehen der Weimarer Staatsform unterstrichen wurde. Indem sie aber die Loyalität gegenüber dem bestehenden, d.h. dem demokratischen Staat für alle Kirchenglieder zur Gewissenspflicht erklärte, erregte die Kundgebung dennoch die Kritik nationalistischer Theologen. Sie wollten dem Satz: »Sie [die Kirche] will, dass jedermann um des Wortes Gottes willen der staatlichen Ordnung untertan« sei [Vaterländische Kundgebung, 7], nicht zustimmen.
Eine tiefe Abneigung empfanden viele Protestanten insbesondere gegenüber der Parteiendemokratie und dem Parlamentarismus. Lutherische Theologen wie Emanuel Hirsch und Paul Althaus bekämpften die parlamentarische Demokratie als kompromisslerisch und geißelten den Eigennutz partikularer Parteiinteressen. Viele Theologen und Kirchenführer nutzten auch das Stereotyp vom ewigen Parteienhader. Sich selbst verstanden die Kirchenleitungen hingegen als ›über den Parteien‹ stehend. In dieser Position sahen viele Protestanten auch ihren ›Ersatzkaiser‹, den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Für die Wahl des Monarchisten, Militaristen und evangelischen Christen Hindenburg ergriffen protestantische Verbände, die Mehrheit der Kirchenpresse und viele evangelische Pfarrer 1925 beherzt Partei. Die DNVP hatte den ›Kriegshelden‹ im zweiten Wahlgang gegen den von der SPD unterstützten Zentrumspolitiker Wilhelm Marx aufgestellt, woraufhin der Evangelische Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen die Wahl zu einem Kampf der Konfessionen erklärte. Demokratische Protestanten wie Otto Baumgarten oder Adolf von Harnack, die sich für Marx aussprachen, wurden entsprechend hart attackiert.
4. Der Protestantismus und die politischen Parteien
Circa zwei Drittel der evangelischen Pfarrer und die überwiegende Mehrheit der kirchennahen Protestanten in der Weimarer Republik lassen sich dem nationalkonservativen politischen Spektrum zurechnen. In diesem konservativen Protestantismus setzte sich bereits 1919 der Eindruck fest, die Republik werde von den Widersachern der evangelischen Kirche – dem Katholizismus, der ›gottlosen‹ Sozialdemokratie und den ›jüdischen‹ Linksliberalen – beherrscht und man selbst habe nach dem Ende des Bündnisses von Thron und Altar keinen direkten politischen Einfluss mehr.
Der Hauptwidersacher war und blieb die Sozialdemokratie, obgleich sich diese religionspolitisch zumeist durchaus pragmatisch verhielt. Zum ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) wurde kirchenoffiziell keinerlei Kontakt gesucht; bei seinem Tod im Februar 1925 schwieg die evangelische Kirche. Im Juni 1926 lehnte der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss öffentlich den von der KPD angeregten und von der SPD befürworteten Volksentscheid zur entschädigungslosen Fürstenenteignung ab und verwies auf das biblische Gebot »Du sollst nicht stehlen«. Das Privateigentum wurde damit christlich legitimiert und angesichts des ›bolschewistischen‹ Angriffs auf die politische Ordnung eine anhaltende Loyalität gegenüber den ehemaligen Monarchen demonstriert. Pfarrer, die öffentlich für den Volksentscheid votierten, erfuhren amtskirchliche Disziplinarmaßnahmen. Kirchenleitungen riefen die evangelischen Christen dazu auf, sich der Wahl zu enthalten, damit das erforderliche Quorum nicht erreicht werde, was dann auch der Fall war. In der Auseinandersetzung um die Aufwertungsgesetzgebung und ihre Folgen für Kleinsparer und Kleinrentner ließ der Protestantismus hingegen einen ähnlich starken Einsatz zugunsten des ökonomisch unter Druck geratenen Mittelstands vermissen.