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Republik vital entfalten konnten und sich zwecks einer längerfristigen Bestandssicherung vereinsähnliche Ordnungsstrukturen gaben.

      Die Jugendbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte nach dem Ersten Weltkrieg etwas an öffentlicher Wahrnehmbarkeit eingebüßt, gleichwohl blieb ihr prägender Einfluss auch im Bereich des Protestantismus evident. Nicht zuletzt durch die kriegsernüchterte junge Generation bezog sich der Veränderungswille jetzt erst recht auf krisenbedingt verhärtete Institutionen und positiv gewendet engagierte man sich für ein freies, schöpferisches, ›gläubiges‹ Leben des Einzelnen und in der Gemeinschaft. In der Universität sollten ethische Maximen als Handlungsanweisungen das politische Leben bestimmen. Die Deutsche Christliche Studentenvereinigung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts u. a. aus dem Christlichen Verein Junger Männer hervorgegangen war, besann sich wieder auf ihre genuinen Ziele der Mission und Evangelisation. In dieser Ausrichtung wurde man durch die Mitgliedschaft im Christlichen Studentenweltbund bestärkt, dem man beitrat und damit gegen den allgemeinen nationalen Rückzug im Gesamtprotestantismus dieser Jahre ein stark gegenläufiges Zeichen setzte.

      Im Zentrum der religiös-sozialen Bewegung stand zunächst die aus der Schweiz kommende Gruppe der Religiösen Sozialisten. Bald nutzten die davon inspirierten Paul Tillich, Emil Fuchs, Günther Dehn und andere die gesellschaftlichen Möglichkeiten des demokratischen Systems für eine Theologie im politischen Gewand. Man projizierte eine biblisch fundierte Ethik in den Gestaltungsraum einer gleichzeitig nach sozialistischen Maßgaben zu entwerfenden Gesellschaft.

      Die Freidenkerbewegung er hielt durch die krisenbedingte Bereitschaft zum Kirchenaustritt nach 1918 einen starken Impuls, transportierte die aufklärerische Religions- und Kirchenkritik unter erheblichem Zulauf in die Weimarer Zeit.

      Die völkische Bewegung markierte seit der Herausbildung von Rasseideologien nach der Reichsgründung 1871 eine zunehmend heterogene Sammlung von Gruppen und Strömungen, die mehrheitlich einen auf dem Rassegedanken gegründeten Nationalismus anhingen, in ihren nationalistischen, politischen und kulturellen Akzentuierungen in des voneinander abwichen. Im Zuge der Weimarer Republik wurde sie zunehmend vom Nationalsozialismus instrumentalisiert.

      Im protestantischen Vereins- und Verbandswesen der Weimarer Jahre setzten sich die theologischen Differenzierungen und konfessionellen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger fort. Mit einer konservativen Ausrichtung sind besonders der Evangelische Bund und der Evangelische Verein der Gustav-Adolf-Stiftung zu nennen, aus der liberalen Tradition der Deutsche Protestantenverein, die Vereinigung der Freude der Christlichen Welt und der Evangelisch-Soziale Kongress.

      Dieses differenzierte Spektrum von Milieus, Gruppen und Strömungen bildet das heterogene Erscheinungsbild des Protestantismus in der Weimarer Republik ab. Dabei dominierte das modernitätskritische Profil, die liberalen und sonstigen demokratieaffinen Gruppierungen blieben ins gesamt überschaubar.

       4. Reaktion und Reflexion in Theologie und Kultur

      Für den Protestantismus lassen sich die Vorbehalte gegenüber dem demokratisch verfassten Weimarer Staat besonders deutlich auf dem Feld der Theologie ablesen. Die militärisch-politischen Ereignisse und die allgemeine Krisenstimmung hatten auch die protestantische Theologie mit Wucht erfasst. Die jetzt entwickelte Dialektische Theologie war der Auf stand einer jungen an Kierkegaard geschulten Theologengenerationgegen ihre liberal-theo logischen Väter. Angesichts des eklatant erfahrenen Widerspruchs zwischen dem kulturprotestantischbürgerlichen Ethos des 19. Jahrhunderts einerseits und den morbiden Trümmerfeldern des Weltkriegs andererseits konnte Friedrich Gogarten den Vertretern der liberalen Theologie mit unversöhnlicher Schärfe zurufen: »Heute sehen wir eure Welt zugrunde gehen« [Gogarten, Zeiten, 96]. Der Aufstand der Jungen stürzte den theologischen Liberalismus vom Sockel. Das war eine theologische Revolution. Was daraus folgte, war mehr als eine Reaktion auf Krieg und Krise, es war so etwas wie eine »Generalrevision des Gottesverständnisses« [Nowak, Geschichte, 213], die Wiederentdeckung der Gottheit Gottes durch die Theologen der Krisis.

      Dieses neue theologische Denken entfaltete sich im Einflussbereich der in allen Kulturwissenschaften Raum greifenden vehementen Absetzbewegung vom Historismus, der »antihistoristischen Revolution« [Graf, Revolution]. Liberales Denken verstanden als eine lineare Aufwärtsentwicklunghatte die optimistische Weltbejahung der Aufklärung ins 19. Jahrhundert hinübergetragen. Jetzt sah sich der Historismus dem vehementen Vorwurf eines ethischen Relativismus ausgesetzt, er unterbinde die Geltung absoluter Werte und in theologischer Hinsicht damit die Transzendenz.

      Es waren insbesondere die Vertreter der Dialektischen Theologie, die in diesem Zusammenhang einen umfassenden Prozess der Enthistorisierung der Theologie einleiteten. Nicht mehr die Leitkategorie der Linearität und des langfristigen geschichtlichen Wandels war für die jungen Theologen bestimmend, sondern man dachte nunmehr in Kategorien einer Äonenwende. Hier kam ein neues Zeitverständnis zur Geltung [Doehring-Manteuffel, 187–190], nicht die kontinuierliche Entwicklung, sondern die Zeitenwende war bestimmend, in sie hinein ragte die Dimension der Ewigkeit. Verbanden sich das neue Ordnungsdenken und der Zeitfaktor »ewig« miteinander, dann erhielten Werte wie Volk, Rasse, Germanentum und mittelalterlichesHeldentum einen absoluten Wert und sogar Transzendenz (1000-jähriges Reich als ewiges Reich). Darin galt das selbstbestimmt handelnde, vernunft- und gemeinschaftsfähige Individuum als Irrtum der in der Aufklärungstradition stehenden liberalen Theologie und wurde liquidiert. Die Gotteslehre war der Schlüssel, sie fasste man neu. Schon in Rudolf Ottos Werk »Das Heilige« von 1917 war in Abkehr von der rationalisierenden und ethisierenden Religionsauffassung des Liberalismus ein neues Verständnis von Gott als dem »ganz anderen« erkennbar geworden. Nach dem Ende des Krieges war der Blick wieder frei geworden für den absoluten Gott. Der »unendlich qualitative Unterschied« (Kierkegaard) zwischen Mensch und Gott wurde mittels intellektueller Kreativität schließlich offenbarungstheologisch überbrückt. In dem die Dialektische Theologie kein Interesse für die Kategorie der Individualität aufbrachte, konnte sie auch zur demokratischen Staatsform und ihren neuzeitlichen Politikelementen, die auf ein politisch selbstbestimmtes Individuum setzten, keinen Zugang finden. Eine so konzipierte Theologie hatte es infolgedessen schwer, sich in die Moderne der Weimarer Gesellschaft ein zu fügen. Die Frage der Vermittlung zwischen beiden Bereichen jedenfalls blieb unzureichend reflektiert.

      Das galt auch für die Ordnungstheologie. Dieses theologische Konzept fügte sich exakt in den gesellschaftlichen und politischen Kontext des Protestantismus der Weimarer Zeit. Diese seit Beginn der 1930er Jahre aufkommende theologische Konzeption speiste sich aus dem Bedürfnis der Stabilisierung der in der Weimarer Republik vermeintlich in der Auflösung begriffenen Welt. Paul Althaus bestimmte die politische Funktion seiner Ordnungstheologie folgendermaßen: »In einer Zeit, die alle Ordnungen in Frage stellte, verkannte, zersetzte, hat die Theologie einen entschlossenen Kampf geführt gegen den individualistischen und kollektivistischen Angriff« [Althaus, Theologie, 42]. Dieses mit dem ersten Glaubensartikel begründete kongruente Verständnis von göttlicher und weltlich-politischer Ordnung ermöglichte die Einbindung nationaler Werte und Ordnungen in das theologische Denken (neben Althaus vor allem Hirsch). Das führte im konservativen Luthertum zu einem überhöhten und moralisierenden Staatsideal, das gewissermaßen den legitimatorischen Übergang vom Abgesang der zerfallenden Weimarer Republik hin zur lautstarken Begrüßung des NS-Staats moderierte.

      Die sich scheinbar unter den Zentrifugalkräften der Weimarer Republik auflösende Welt fand im Rekurs auf die verlässlichen Orientierungsmarken der christlichen Tradition einen neuen sinnstiftenden Zusammenhalt. Das galt auch für die sogenannte Lutherrenaissance, die Karl Holl schon seit 1917 mit einer nachdrücklichen Herausstellung der Rechtfertigungslehre Luthers als das systematische Zentrum seiner Theologie eingeleitet und geprägt hatte.

      Trotz eines üppigen Reichtums an neuen theologischen Programmen gilt: Der Sinn für das, was die parlamentarisch-demokratische Verfassungsrealität erforderlich machte, war nur schwach ausgeprägt, eine »veritable Theologie der Demokratie sucht man in den zwanziger Jahren vergebens« [Nowak, Protestantismus, 229].

      Der gesamte Sektor der Bildung stand nach dem politischen Umbruch von 1918 auf dem Prüfstand. Die strittige Frage nach der Bedeutung der Kirchen im Weimarer Staat betraf auch

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