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Christentum und Europa. Группа авторов
Читать онлайн.Название Christentum und Europa
Год выпуска 0
isbn 9783374058549
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
Издательство Bookwire
Die wenigsten altorientalischen Texte kennen explizite Volksvorstellungen, die sich unreflektiert mit denen der modernen Welt abgleichen ließen. Familie und Stamm sind wichtige Begriffe, ebenso wie Sprache und sesshafte oder nomadische Lebensweise. Politisch kann z. B. ein Stamm durchaus auf mehrere Königreiche verteilt sein, und in den meisten Königreichen lebten verschiedene Stämme. Im späteren ersten Jahrtausend v. Chr. waren so Mitglieder verschiedener aramäischer Stämme in Babylonien von großer Bedeutung. Das neuassyrische Reich hatte Vorstellungen davon, wer Teil des eigenen Volkes war und wer nicht, und kommt damit einer unreflektierten modernen Lesung vielleicht am nächsten. Der Volksbegriff ist in der Altorientalistik durchaus umstritten und wird wenig benutzt, und wenn meist als Chiffre für »Bürger eines Staates«, sich dabei wohl bewusst seiend, dass Volk und Bürger nicht immer deckungsgleich sind. Ich möchte aber auch nicht den falschen Eindruck erwecken, dass es in altorientalischen Texten kein Bewusstsein für Andersartigkeit gebe. Dies wird eben nur meist nicht mit dem Volksbegriff, sondern entweder mit sprach- oder herkunftsbezogenen Adjektiven getan. Es wäre in der Tat ein spannendes Projekt, den genauen Bezug und moderne Äquivalente altorientalischer Gentilien systematisch zu erforschen, um eine bessere Vorstellung davon zu haben, was genau die Termini beschreiben.
1. Fremde Völker in der altbabylonischen Prophetie
Die meisten in Mari gefundenen prophetischen Texte stammen aus der Zeit König Zimri-Lims. Die überwältigende Mehrheit kümmert sich entweder um innenpolitische oder um kultische Angelegenheiten. Einige wenige der in Mari gefundenen Texte beinhalten prophetische Orakel, die nicht aus Mari, sondern aus einer anderen Stadt stammen. Hier fallen vor allem Texte auf, die von mariotischen Botschaftern aus Aleppo und Babylon nach Mari gesandt wurden. Es gibt außerdem noch eine Handvoll von Tafeln, die nicht in Mari gefunden wurden. Für unser Thema sind diese eher unerheblich.7
Die beiden aus Aleppo nach Mari gesandten Tafeln, FM 7 38 und 39 sind aus mehreren Gründen gut bekannt:8 zum einen wurde FM 7 39 recht früh publiziert (bereits 1950 in der Festschrift Robinson), zum anderen geben beide Texte Einblick in mehrere interessante Themenbereiche und werden daher recht häufig zitiert.9 Beide sind von Nur-Sin an seinen König, Zimri-Lim, geschickt worden. Sie erwähnen die sogenannte Ala
Zeilen 14-28 »Bin ich nicht Adad von Kallassu, der ihn auf meinem Schoß10 großgezogen habe? Ich habe ihm den Thron seiner Vorfahren zurückgegeben, ich habe ihm wieder ein Zuhause gegeben. Hört zu!11 So wie ich ihn auf den Thron seiner Vorfahren gesetzt habe, kann ich ihm auch das Landgut entreißen, falls er es mir nicht geben will. Ich bin der Herr von Thron, Ländern und Stadt! Was ich gegeben habe, kann ich auch wieder zurücknehmen. Wenn aber nicht, und er meinen Wunsch erfüllt, werde ich ihm Thron über Thron, Haus über Haus, Länder über Länder und Stadt über Stadt geben. Ich werde ihm das Land vom Sonnenaufgang zum Sonnenuntergang geben!«
Nur-Sin schließt den Brief mit einem Orakel von Adad von Aleppo an:
Zeilen 49-59 »Bin ich nicht Adad von Aleppo, der ich dich in meinen Armen großgezogen ha[be]? Ich, der dir den Thron deiner Vorfahren zurückgegeben habe? Ich verlang[e n] ichts von dir, (außer dass), wenn ein Unterdrückter oder eine Unterdr[ückte] dich anrufen, du ihnen zur Seite stehst und ihren Fa[l]l gerecht richtest. Das ist es, was ich verlange. Höre, was ich Dir geschrieben habe. Respektiere meine Worte und ich werde dir das Land vom So[nnenaufga]ng bis zum Sonnenuntergang geben, sowie das Land von […]!«
Zum einen haben wir das wiederholte Motiv der elterlichen Fürsorge der beiden Formen des Gottes Adad als auch das Schenken des Landes vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Die Forderungen hingegen sind unterschiedlich. Für unsere Zwecke heute ist vor allem wichtig, dass beide Briefe eben nicht aus dem Gebiet des von Zimri-Lim beherrschten Maris stammen, sondern aus Aleppo, der Hauptstadt Yam
Dieses Bild wird noch schärfer, wenn wir den zweiten Text, FM 7 38, hinzufügen. Dieser Brief, auch von Nur-Sin an Zimri-Lim geschrieben, überliefert die Worte eines āpilum (wörtlich: »Sprecher«, sinngemäß: »Prophet«) von Adad von Aleppo. Die entsprechenden Zeilen in diesem Text lauten:
Zeilen 5-10 »Ich habe Ya
[…mehrere Zeilen verloren…]
Zeilen 1‘–10‘ Ich werde Dich wieder au[fric]hten! Ich habe Dich auf den T[hron deiner Vorfahren] zurückgebracht. [Meine W] affen, mit denen ich Tiamat geschlagen hatte, habe ich dir gegeben. Ich habe [dich] mit dem Öl meiner Herrlichkeit gesalbt. Niemand hat vor dir Be[stand]. Eines höre: wenn dich jemand um Gerechtigkeit anruft ›Mir ist U[nrecht] getan!‹ sei für ihn da, und richte den Fall gerecht! [… Di]es ist, was ich von dir ver[lange].«
A. 482, ein berühmter, noch unedierter Brief von Itur-Asdu an seinen König Zimri-Lim, zeigt die politische Lage Nordwestmesopotamiens in den fünfziger Jahren des 18. Jhdt v. Chr. aus Sicht der mariotischen Verwaltung und belegt, dass Yam
Zeilen 22-27 »Es gibt keinen König, der alleine stark ist. 10 oder 15 folgen Hammu-rapi, König von Babylon; das Gleiche gilt auch für Rim-Sin, König von Larsa; ebenso Ibal-pi-El, König von Ešnunna und Amud-pi-El, König von Qa
Zimri-Lim war politisch wie militärisch von Yarim-Lim abhängig. Meine Interpretation der theologischen und politischen Lage, die ich bereits an anderer Stelle dargestellt habe, baut auf dieser Konstellation auf: Adad von Kallassu und Adad von Aleppo konnten Zimri-Lim Forderungen stellen, da sie, und nicht die traditionelle Gottheit Maris, Itur-Mer, Zimri-Lim auf den Thron verholfen hatten.13 Die Bildsprache der beiden Formen Adads erinnert dabei an Worte, die ein Jahrtausend später von der Göttin Mullissu für den neuassyrischen König Asarhaddon gebraucht werden sollten, um ihre elterliche Fürsorge für das assyrische Königshaus auszudrücken. Elterliche Fürsorge schafft aber, zumindest im Alten Orient, eben auch ein Machtgefälle. Nicht umsonst ist die diplomatische Sprache in Familiensprache gehalten. Die theologische und die politische Lage stimmen also überein. Dies ist als solches keine besonders überraschende Erkenntnis. Dass die beiden wichtigen yam