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sagte wortwörtlich: »Papa, kannst du ein neues Buch schreiben, ich kann mein altes nicht mehr finden.« Sie hatte zwei Jahre zuvor die allererste druckfrische Ausgabe von Running wild bekommen. Es wäre glattweg gelogen, Maras Bitte als Startpunkt für Passion Laufen zu benennen. Allerdings gab es mir schon den letzten emotionalen Kick, Gas zu geben.

      Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Alternativen, über die ich mit Ralf Kerkeling nachgedacht habe – wie natürlich vieles andere, was zu dem Buch geführt hat, eine gemeinsame Sache von Ralf und mir ist. Eine Überlegung war, Running wild weiterzuschreiben. Eine andere Möglichkeit war, ein klassisches Hand- oder Trainingsbuch zum Laufen zu konzipieren.

      »Running wild« wird seine Fortsetzung erfahren. Zwei Themen haben mich damals zum Ende des Buches sehr beschäftigt. Zum einen unsere Tochter Mara. Das letzte Kapitel endete damals in einer entsetzlich süßen Szene mit der Kleinen: Ich hatte sie mehrfach dafür gelobt, dass sie beim Schlittenfahren immer wieder tapfer und ohne Murren den Berg hochgestapft war, und sie sagte an diesem Silvesterabend zu mir: »Ach, so einen Papa wie dich habe ich mir schon immer gewünscht.« Obwohl schon im sechsten Lebensjahr, hatte sie einen sehr eigenen Umgang mit Sprache. Den Grund dafür sollten wir aber erst später herausfinden. Das andere Thema: Es stand nach einer Operation am Knie und einer fast halbjährigen Laufpause in den Sternen, ob ich wieder zum Laufen kommen würde. Fünf Monate, nachdem ich die letzten Zeilen zu Running wild geschrieben hatte, bin ich in Australien bei The Track gestartet – mit 527 km das längste Etappenrennen der Welt in Eigenversorgung. Das Knie hat gehalten. Die Geschichte dazu folgt hier später im Buch.

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      Finishline: Kids im Iran.

       DAS THEMA LAUFEN HATTEN WIR DAMIT WIEDER IM GRIFF

      Die süße Mara … Das Thema ist trauriger. Seit Sommer 2015 hatten wir die Gewissheit, dass ihre Entwicklungsverzögerung massiv ist. Zwei Jahre hatten wir uns mithilfe der Pädagogen des Frühförderzentrums darum gekümmert, weil klar war, dass irgendwas schief lief. Im Februar 2016 haben wir nach einem Jahr mit diversen Krankenhausaufenthalten, intensiver Diagnostik und mehreren Anläufen den Grund gefunden. Mara hat einen Gendefekt (Mikrodeletionssyndrom 22q11), der bei Mara zu einer geistigen Behinderung geführt hat.

      Als wir die Diagnose bekamen, lagen Ute und ich uns anschließend heulend vorm Krankenhaus in den Armen. Und während ich das hier gerade schreibe, sieht’s nicht besser aus.

      Wir hätten alles gegeben, um für unsere Tochter irgendwas an diesem Schicksal ändern zu können. Eine Trauer und Not, die sich leichter verstehen lässt, wenn man selbst Kinder hat. Mara war immer noch das gleiche süße und auch glückliche Kind wie an dem Morgen, als wir zum Genetischen Institut gefahren sind.

      Aber die Hoffnung, die wir immer hatten, die über die Zeit angehäuften Defizite noch aufzuholen, war verloren.

      Irrsinnigerweise gehen wir Menschen ja lange Phasen unseres Lebens davon aus, dass wir viel Zeit haben. Mit Mitte Fünfzig hat man schon konkretere Vorstellungen zu diesem Thema. Ich wollte keine Zeit vertrödeln. Ich wollte schnell eine Haltung finden zu den neuen Umständen. Als Mara auf die Welt kam, hatte ich mal gesagt: »Wenn sie 14 Jahre alt ist, kann sie gleich nebenan in unsere Gästewohnung ziehen.« Ich war knapp Fünfzig bei ihrer Geburt und sie ein Wunschkind. Aber so lautete der Plan: sie früh selbstständig – und ich dafür meine Ruhe im Alter. Ob sie je selbstständig leben kann, ist ungewiss.

      Es war gar nicht die Frage, welche Haltung wir beziehen wollen, sondern es stellte sich die Frage: wann? Die lässt sich eigentlich schnell beantworten: Trauer? JA! Für Haltung aber auch ein JA!

      Der Familienrat tagte: Meine Frau Ute, Mara und ich. Als Thema stand an: Sollte Papa fünf Tage nach der Diagnose zu einem Rennen in den Dschungel Sri Lankas fliegen oder nicht? Ich konnte diese Frage für mich nicht beantworten. Aber die Mädels. Mara wusste zwar nicht, um was es ging, aber war wie immer stolz wie Bolle, dass Papa rennt, und sie will eines Tages unbedingt mit ihm in Afrika laufen. Klares »Go!« von ihrer Seite. Meine Frau sieht es genauso, will aber nicht nach Afrika – ist ihr zu heiß. Nur am Rande: Sie läuft lieber 100 km bei acht Grad im Nieselregen. Kein Scherz.

      Somit wurde der Beschluss verkündet. Ich habe mir noch auserbeten, bei der Ankunft in Colombo den nächsten Flieger zurück nach Hause nehmen zu dürfen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das emotional durchstehen würde. Ich flog und lief ein gutes Rennen. Ein saugutes. Das erste Mal in diesem Jahrzehnt, dass ein Läufer der Altersklasse 55 oder älter bei der weltweit erfolgreichsten Wüstenlaufserie 4deserts am Ende auf dem Podest stand. Das Ganze – wie so oft im Leben – für und im Geiste mit meiner Kleinen.

      Ich kann über unsere Erlebnisse und meine Gedanken zu Mara sprechen, aber wir sind im Moment an dem Punkt, dass mit ihrer Behinderung eine ganz neue Perspektive in unser Leben kommt. Diese »Geschichte« ist aber noch nicht erzählbar. Sie hat gerade erst angefangen und ist die ersten paar Schritte gegangen. Ich hab’ schon einiges durch im Leben, und trotzdem glaube ich immer an ein gutes Ende. In diesen ersten, traurigen Tagen fiel mir ein Zitat von Mark Twain in die Hände, das die Umstände besser beschreibt, als ich es könnte: »Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt, aber zum Glück ist das meiste davon nie eingetroffen.« Und genau so werden wir das machen.

      So! Es brauchte ein paar Sätze mehr, um zu erklären, warum Running wild hier und heute nicht einfach seine Fortsetzung finden kann.

      Warum ich kein Handbuch machen wollte, ist schnell erklärt: Ich bin ein Snob. Ich mache heute nur noch Sachen, die mir Spaß machen. Basta! Ausnahmen: ab und an bei der Arbeit. Über das Laufen schreiben fällt aber nicht unter den Begriff »Arbeit«.

      Ein Trainings- oder Handbuch ist eine feine Sache. Die Informationen dazu stehen aber bereits mannigfaltig in den Bibliotheken dieser Welt und sind zu jeder Tages- und Nachtzeit im Internet abrufbar. Das war Ralf und mir als Konzept zu wenig.

      Bock zu schreiben hatten wir beide allemal, und es gab viele Themen. Aber wir wollten etwas anderes. Einerseits will ich Geschichten erzählen. Noch lieber höre ich sie mir jedoch an. Da kann ich viel mehr Aufregendes, Neues entdecken. Meine kenn’ ich ja schon. Unsere Fragen waren: Was interessiert die Läufer, was treibt sie an? Geschichten hören und erzählen, Gespräche, Tipps und Informationen bis hin zum greifbaren Nutzwert, gute Zeit, gutes Gefühl, gute Leute. Oft erlebe ich das bei meinen Etappenrennen und der wunderbaren Zeit vor, zwischen und nach dem Laufen. Jeder kennt es vom Zusammensitzen am Abend vor dem Start, am frühen Morgen oder nach dem Zieleinlauf. Es entstehen Gespräche, die weit über das Laufen hinausgehen. Das ist es, was ich in Buchform haben wollte.

      Ich wollte ein Treffen von interessanten Menschen, die ich irgendwo in der Welt kennengelernt habe und von denen ich aus unseren Gesprächen wusste, dass es herrlich werden würde, ihr Wissen, ihr Denken und ihre Gedanken im Buch zu haben.

      Passion Laufen entwickelte sich für mich mit der Zeit zu einer Art Treffen nach einem schönen Lauf, zu einem Fest, zu einer virtuellen Gartenparty.

      Die Vorstellung war: Der Sommer geht zu Ende. Es ist ein schöner Sonntag nach einem langen Lauf. Wen hätten wir gern als Gäste auf unserer Party? Die Gästeliste ist attraktiv. Verzeichnet sind Junge, Alte und Mutige. Und dann passiert etwas, was mich vollkommen aus den Socken haut. Wichtiger als jede TV-Show oder 100.000 Downloads von einem Podcast.

       WIR FRAGEN AN – UND ALLE SAGEN ZU!

      Das war in dem Moment für mich nicht zu fassen. Schaut mal, wo ich herkomme. Im Jahr 2006 hatte ich ein Laufmagazin in der Hand in dem Fotos vom Marathon des Sables abgebildet waren. Es war um mich geschehen. Ich hatte mich verliebt. Ohne Worte, ohne Erklärung – wie das halt so passiert, wenn man sich verliebt. Ein Jahr später stand ich an der Startlinie dieses Wettkampfs in der Sahara. Ich hatte keine Ahnung von nichts. Und jetzt kommt es: Heute, genau zehn Jahre später, sagen Jungs, die damals am Ende des Rennens auf dem Treppchen standen, ihre Mitwirkung an diesem Buch zu. Vor etwas mehr als 14 Jahren konnte ich keine 3 km am Stück laufen. Bei allem,

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