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Blutzoll: Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm
Читать онлайн.Название Blutzoll: Skandinavien-Krimi
Год выпуска 0
isbn 9788726569643
Автор произведения Elsebeth Egholm
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Dicte Svendsen
Издательство Bookwire
»Wo bleibst du?«
Die Gedanken rotierten wie beim Roulette, dann erinnerte sie sich wieder.
»Shit! Das habe ich ganz vergessen.«
»Kommst du noch?«, fragte Anne.
Dicte sah auf die Uhr und tröstete sich damit, dass sie noch nicht völlig an Alzheimer litt. Am Morgen hatte sie zumindest daran gedacht, die Sportsachen einzupacken.
»Ich habe schreckliche Kopfschmerzen.«
»Weswegen?«, fragte Anne, die einen siebten Sinn besaß.
»Es ist nichts«, log sie und fügte schnell hinzu: »Ich komme. Ich muss nur noch einen Anruf erledigen. In einer Viertelstunde bin ich da, okay?«
Anne war zufrieden. Dicte rief Wagner im Polizeipräsidium an, obwohl sie wusste, dass er ihr nichts sagen würde.
»Wie läuft es? Hast du etwas von Gormsen erfahren?«
Wagner seufzte am anderen Ende der Leitung.
»Beschissen, was Ersteres angeht, ja, was Letzteres betrifft.«
»Ersteres ist also durch Letzteres bedingt«, schlussfolgerte Dicte und ahnte, was das bedeutete, nämlich dass der Obduktionsbericht die Identität der Frau nicht enthüllt hatte und die Kriminalpolizei im Trüben fischte.
»So ungefähr«, antwortete Wagner.
»Woran ist sie gestorben?«
»Um drei gibt es eine Pressekonferenz«, sagte Wagner kurz angebunden und legte auf.
Ein paar Sekunden lang saß sie mit dem tutenden Hörer in der Hand da, dann stand sie auf und ging. Sie wusste ganz genau, dass Wagner warten und die sparsamen Informationen der gesamten Presse zukommen lassen musste. Er konnte es sich nicht leisten, eine Journalistin zu bevorzugen, nur weil sie mit seiner Lebensgefährtin befreundet war. Aber den Versuch war es wert gewesen.
4
Wagner starrte verstimmt auf das Telefon.
Dicte Svendsen und ihre Neugier waren nicht gerade das, was er jetzt brauchte.
Er blieb eine Weile sitzen und versuchte zur Ruhe zu kommen, während er darüber nachdachte, was er eigentlich wollte. Vielleicht in seinem Lieblingsstuhl zu Hause sitzen, Bachs Wohltemperiertes Klavier hören und ein kaltes Bier trinken. Oder den verdammten Chip, den Bo Skytte nicht herausrücken wollte und der vielleicht einen kleinen Hinweis geben konnte, in welche Richtung sie ermitteln sollten. Er wusste genau, dass er es nicht Dicte anlasten konnte, wenn ihr Lebensgefährte mit Informationen geizte und wie ein Paragrafenreiter auf dem Gesetz der Pressefreiheit und des Quellenschutzes herumritt. Aber er war auch nur ein Mensch, und er hatte einen scheußlichen Mord aufzuklären. Außerdem war es so verdammt heiß.
Er zog eine Papierserviette aus der Pappschachtel auf dem Schreibtisch und trocknete sich die Stirn. Dann griff er nach dem Wasserglas und trank von der warm gewordenen Brühe.
Vielleicht brauchte er vor allem eine Klimaanlage, damit er endlich wieder klar denken konnte. Er vertrug die Hitze einfach nicht. Schließlich fasste er einen Entschluss, schob den Stuhl zurück und verließ das Büro. Der Fahrstuhl war außer Betrieb, deshalb nahm er die Treppe hoch zur polizeitechnischen Abteilung und drückte außer Atem auf die Klingel. Seine Kondition war schlecht, das wusste er. Aber dass ihm schon bei der kleinsten Anstrengung der Schweiß ausbrach, überraschte ihn doch.
Ohne dass er es verhindern konnte, hörte er wieder seine innere Uhr ticken, und im Geiste sah er den Sekundenzeiger, der sich unbarmherzig bewegte. Er näherte sich der Vierundfünfzig und Wagner war aufmerksamer geworden, was sein Alter, seinen Körper und dessen Verfall anging. Und all der Dinge, die er nicht mehr konnte oder von denen er das Gefühl hatte, sie nicht mehr zu können. Wie zum Beispiel zu Hause mit Alexander auf dem Rasen Fußball zu spielen. Nach ihrem letzten Spiel hatte er sich wie nach einem Marathon gefühlt, so erschöpft war er – und das nicht nur physisch. Vielleicht war das eine Art Krise, überlegte er kurz, schob den Gedanken jedoch schnell wieder beiseite. Er hatte keine Zeit für Krisen.
Die Tür zu der Abteilung im vierten Stock war wie immer geschlossen. Es ging nicht an, dass alle möglichen Leute zwischen Schubladen und Schränken voller Beweismaterial und Ordnern mit zusammengetragenen Spuren herumliefen.
Hinter der Tür hörte er Schritte. Kjeld Haunstrup machte ihm auf.
»Genau dich habe ich gesucht«, sagte Wagner.
Haunstrup hatte rote Haare und glich einem Komiker aus einem alten dänischen Film. Karamellfarbene Sommersprossen zierten seine Stupsnase. Der Mund war breit und fast immer zu einem schelmischen Lächeln langgezogen, wie auch jetzt.
»Ja, dann komm rein.«
Haunstrup trat galant zur Seite und ließ den Gast ins Allerheiligste.
»Habt ihr etwas gefunden?«, fragte Wagner.
Als er die Frage gestellt hatte, wurde ihm klar, dass er genau deshalb gekommen war. Um den Frauenmord im Hafen aufzuklären und nicht, wie er ursprünglich geglaubt hatte, um den Kauf eines Gemäldes für den Kunstverein der Polizei zu diskutieren. Als Vorsitzender dieses Vereins ging Wagner auf Ausstellungen und besuchte Künstler, und hin und wieder musste er seine Entscheidungen mit dem zweiten Vorsitzenden diskutieren. Er hatte dies noch vor der Pressekonferenz erledigen wollen.
Jetzt war er ein wenig verlegen. Er trieb die Kriminaltechniker, die meist ausgezeichnete Arbeit leisteten, gewöhnlich nicht zur Eile an, doch Haunstrup schien nichts gegen seine Frage zu haben.
»Nicht viel, tut mir leid. Aber etwas finden wir immer.«
Letzteres sagte er aus reiner Höflichkeit, das wusste Wagner. Um ihn nicht total zu enttäuschen.
Sie gingen zusammen den Gang hinunter. In diesen wenigen Sekunden nahm Wagner die besondere Atmosphäre der technischen Abteilung in sich auf.
Einst hatte er selbst mit dem Gedanken gespielt, sich zum Techniker weiterbilden zu lassen. Der Job gefiel ihm, und er hatte Sinn für Ordnung, doch das Talent fürs Praktische, das auch dazu nötig war, fehlte ihm. Man musste ein wenig von einem Handwerker haben und man musste gut mit den Zahlen sein. Alles wurde von vorne bis hinten nummeriert, denn hier ging es um Beweismaterial, das vor Gericht Bestand haben musste, und es wäre fatal, zwei Spermaproben in einem Vergewaltigungsdelikt zu vertauschen oder einen falschen Fingerabdruck an die Abteilung in Kopenhagen zu schicken. Und wenn die Gerichte erst einmal Schlamperei witterten, wirkte sich das auf den eigenen Ruf aus. Es war nun einmal so, dass den Ergebnissen der Techniker vor Gericht ungeheures Gewicht beigemessen wurde.
»Ich habe mir gerade einen Beutel aus dem Drogenfund letzte Woche vorgenommen.«
»Du meinst die Sache in der Munkegade?«
Haunstrup nickte.
»Ich habe einen brauchbaren Abdruck gefunden.«
Er öffnete die Tür zu dem Raum, in dem der Bedampfungsschrank stand. Wagner war schon viele Male dort gewesen, und wie immer imponierte ihm das System. In dem Schrank hingen einige harmlos aussehende Beutel mit weißem Pulver. Alle waren nummeriert. Eine weiße Haut hatte sich wie Mehlstaub auf die Beutel gelegt. Er wusste, dass dies passierte, wenn die Feuchte im Schrank eingeschaltet wurde und demineralisiertes Wasser eine Verbindung mit den Dämpfen einging. Die Bedampfungsmethode wurde vor allem angewandt, um Fingerabdrücke auf Plastik und lackiertem Holz zu sichern, wie zum Beispiel dem Schaft einer Axt. Bei rohem Holz war es komplizierter. Hier wurde die Ninhydrin-Methode angewandt und das Holz in ein chemisches Bad gelegt.
Haunstrup öffnete den Schrank und holte einen Beutel heraus. Er hielt ihn sorgfältig am Bügel fest und fasste ihn nicht an.
»Schau es dir selbst an.«
Er zeigte auf etwas. Wagner suchte den Staub ab und hatte Schwierigkeiten, das Muster eines Fingerabdrucks zu erkennen. Vielleicht brauchte er doch eine Brille.
»Genau da.«
Plötzlich