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seine Arme. Er blickte Lord Medway mit seinen durchdringenden dunklen Augen an.

      »Sie sind zu freundlich, Mylord. Ich habe vom Vermächtnis eines hart arbeitenden Vaters profitiert. Nichtsdestotrotz: Nichts könnte mir in so einem Moment wie diesem mehr Freude machen, als zu wissen, dass ich Ihr Vertrauen gewinnen konnte. Schon bei meiner ersten Begegnung mit Ihrer Tochter wusste ich, dass ich nie für eine andere Frau Augen haben würde. Dieses Gefühl ist in den Monaten seit jener Begegnung stetig gewachsen. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich Ihre Tochter kennenlernte, hielt ich mich für einen besonnenen Menschen. Aber für die Gefühle, die jetzt in meinem Herzen toben, fehlen mir, dem erfahrenen Berichterstatter, jegliche Worte!«

      Seine Sprache war leidenschaftlich. Er schüttelte den Kopf und suchte ratlos nach Begriffen, die seine Empfindungen gebührend beschreiben konnten.

      »Sie brauchen mich von Ihrer Liebe für meine Tochter nicht zu überzeugen, Mr Argyle. Aber Sie sollten wissen … es ist Ihnen gewiss schon aufgefallen …, dass Lady Jasmin nicht allzu weltgewandt ist. Sie ist liebenswürdig, aber nicht tiefschürfend in ihrer Denkweise. Gefühlvoll, manchmal fahrlässig. Die Sorgen, die uns, ihren Eltern, der Verlust unseres Säuglings und die darauffolgende lange Krankheit meiner Frau aufgebürdet haben, haben wenig Zeit gelassen für die gründliche Erziehung, die wir für unsere Tochter vorgesehen hatten. Sie besitzt keine der Fertigkeiten, derer sich die Damen Londons rühmen: Klavierspielen, Malen, Sticken, Grundkenntnisse in Geschichte, Politik, Kunst, Sprachen und Literatur. Das Einzige, was sie als Kind interessiert hat, war der Garten.«

      Er schmunzelte und schüttelte den Kopf.

      »Sie konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sie nicht Gärtnerin werden darf. Aber sie ist formbar und willig, und ich bin sicher, dass sie durch die Begleitung eines fürsorglichen Ehemannes zu einer belastbaren Persönlichkeit heranreifen wird. Außerdem ist sie außerordentlich feinfühlig. Sie ist mit ihren zwanzig Jahren noch ein Kind. Aber sie ist das Kostbarste, was ich habe.«

      »Ich werde dafür sorgen, Mylord, dass die Schönheit Ihrer Tochter binnen kurzer Zeit durch Charakterstärke bereichert wird. Fertigkeiten kann man lernen, Wissen kann man sich aneignen. Ich trat in ihr Leben als Beschützer und Tröster hinein, und ich werde ihr Beschützer und Tröster bleiben. Ihr Leben lang, Mylord.«

      »Ein Schuss Milch in Ihren Kaffee, meine Herren?«

      »Danke, Herr Wirt«, antwortete Lord Medway, der seine Tasse noch nicht angerührt hatte. Offensichtlich hatte er etwas auf dem Herzen, was er loswerden wollte. Er zog das Taschentuch hervor, dessen Zipfel aus seiner Westentasche herauslugte, und tupfte ein Auge ab, das feucht geworden war.

      »Ich habe meine Gründe, Sie zu diesem Zeitpunkt aufzusuchen, Mr Argyle«, sagte er schließlich und steckte das Tuch wieder in die Tasche.

      Der jüngere Mann schaute ihn mit einem fragenden Blick an.

      »Hat es wieder Unruhen in den Fabriken in Yorkshire gegeben, Mylord?«

      Lord Medway winkte ab.

      »Und wenn, das würde uns in Kebworth keineswegs in Sorge bringen«, antwortete er.

      Er hob seine Kaffeetasse an den Mund und nahm einen langen Schluck. Erst als er die Tasse wieder auf die Untertasse gestellt hatte, redete er weiter.

      »Vorgestern, als die Vorbereitungen auf das Verlobungsfest in vollem Gange waren, hatte ich eine Unterredung mit meinem Arzt.«

      Er zögerte. Mr Argyle zog die Augenbrauen zusammen.

      »Ein Verdacht, der mich seit Längerem plagt, wurde bestätigt«, fuhr der ältere Herr fort. Er holte tief Luft, hob seinen Kopf und blickte Mr Argyle in die Augen.

      »Kurz gesagt, es kann gut sein, dass ich bis zu Ihrer Hochzeit im Herbst nicht mehr am Leben bin.«

      Hubertus Argyle lehnte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte seine Schläfen in beide Hände. Das Stimmengewirr an den anderen Tischen klang plötzlich gedämpft, wie das ferne Geflüster aus einer anderen Welt. Er war es schließlich, der das Schweigen brach.

      »Was soll ich nur sagen, Mylord? Ihre Tochter? Weiß sie …?«

      »Nein«, unterbrach ihn Lord Medway. »Und sie soll es zunächst auch nicht erfahren.«

      Die Stimme des alten Herrn war plötzlich scharf.

      »Auf gar keinen Fall darf sie es erfahren.«

      Er presste seine Fingerspitzen wieder aneinander, dieses Mal energischer als davor, und starrte konzentriert auf seine straffen Fingergelenke, während er mit dem Oberkörper leicht vor und zurück schaukelte.

      »Darf ich fragen, um welche Krankheit es sich handelt?« fragte Mr Argyle. »Vielleicht will Ihr Arzt sich nur gegen eine Fehldiagnose absichern. Oder vom schlimmsten Fall ausgehen, um Sie hoffnungsvoll zu stimmen. Das haben die Ärzte in der Harley Street so an sich. Holen Sie sich doch ein zweites Urteil.«

      »Der Arzt hat nur das bestätigt, was ich schon geahnt hatte. Der Körper erzählt seine Geschichte lautstark genug. Jeden Tag mehr. Ich konnte mir schon lange nicht mehr vormachen, dass es nur ein gewöhnlicher Husten ist und die ständige Atemnot nur eine Erkältung. Ich habe gefühlt, dass in der Lunge ein Tumor ist.«

      »Wenn ich irgendwas für Sie tun kann?«

      Lord Medway schluckte und trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf den Tisch.

      »Sie erweisen mir schon einen unbezahlbaren Dienst dadurch, dass Sie meine Tochter und ihr Vermögen unter Ihre Obhut nehmen, Sir. Wenn bald meine Stunde schlagen sollte, dann soll es wohl so sein. Gott weiß, dieses Leben hat mir schon genug Kummer beschert. Der Tod meiner Frau jährt sich diese Woche, und es ist, als ob es gestern gewesen wäre. Ich bin ein gebrochener Mann. Es gibt für mich kein Aufstehen mehr, und ich werde in diesem Leben nie darüber hinwegkommen. Man hat nur eine Seele, und irgendwann hat sie genug getragen. Meine ist verbraucht. Bei jedem von uns ist die Lebensuhr irgendwann abgelaufen, bei dem einen früher, beim anderen später. Versprechen Sie mir nur, meiner Tochter nichts davon zu verraten.«

      »Das verspreche ich Ihnen, Mylord«, antwortete Mr Argyle leise.

      Sie tranken eine Weile ihren Kaffee, ohne zu reden. Als beide Tassen leer waren, legte Lord Medway seine Hände auf den Tisch, nahm eine aufrechte Stellung ein, presste seine Lippen zusammen und erhob sich.

      »Und noch eine Sache, Lord Medway.« Mr Argyle räusperte sich und suchte nach Worten.

      »Als ich um die Hand Ihrer Tochter gebeten habe, haben Sie mir auf gewinnende Weise erzählt, welche Rolle der Glaube im Leben Ihrer Familie spielt. Im Licht der traurigen Nachricht, die ich von Ihnen gehört habe, bekräftige ich hiermit mein Vorhaben, mein Leben mit Ihrer Tochter auch diesbezüglich in Ihrem Sinne ehrbar zu gestalten, wie auch bei allen Aufgaben, die mir durch die Verwaltung von Kebworth Place zufallen werden.«

      »Das, was Sie gerade gesagt haben, bedeutet mir mehr als alles andere«, antwortete Lord Medway mit bewegter Stimme.

      Ein weiterer fester Handschlag versiegelte die stärker gewordene Vertrautheit zwischen den beiden Herren, und gemeinsam gingen sie zur Tür.

      »Es hat wieder einen Mord gegeben. Das Monster hat wieder zugeschlagen«, sagte Lord Medway beiläufig, als ob er mit aller Macht das Thema wechseln wollte, während Mr Argyle ihm in seinen Mantel half.

      »Seien Sie froh, dass Sie diese Woche zurück nach Yorkshire reisen, Mylord. Und meine liebe Jasmin ist Gott sei Dank schon losgefahren. Die Straßen Londons sind gerade nicht das, was sie früher waren. Dieser Mord ist leider hier in nächster Nähe geschehen. Bis Lady Jasmin zu mir nach London zieht, werden wir aber diesen Schurken gefasst haben.«

      »Dass die Wachtmeister ihm nicht auf die Spur kommen, wundert mich. Er verfügt wohl über Zauberkräfte, die ihn unsichtbar machen.«

      »Er ist erfinderisch, Mylord, schlüpft durch jedes Loch, kennt unzählige Methoden, ein Menschenleben zu zerstören. Wie kann ein Mann nur so werden?

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