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Kellerkinder und Stacheltiere. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kellerkinder und Stacheltiere
Год выпуска 0
isbn 9783967075205
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия CineGraph
Издательство Bookwire
In der filmischen Adaptation taucht ein wichtiger Aspekt des Romans allerdings nicht auf, der im Buch immer wieder angesprochen wird: der Antisemitismus der wilhelminischen Gesellschaft. Im Film ist dieses Thema nur durch die Aussage des Fabrikbesitzers Lauer, die deutschen Fürstenhäuser seien »verjudet«, indirekt angesprochen, verbunden mit der Reaktion Heßlings, der dies als Majestätsbeleidigung wertet.
Der Untertan (1951, Wolfgang Staudte): Werner Peters, Paul Esser
Im Roman dagegen wird der Antisemitismus schon auf den ersten Seiten eingeführt: »Um von den großen Mächten, die er so sehr verehrte, nicht ganz erdrückt zu werden, mußte Diederich leise und listig zu Werk gehen. Einmal nur, in Untertertia, geschah es, daß Diederich jede Rücksicht vergaß, sich blindlings betätigte und zum siegestrunkenen Unterdrücker ward. Er hatte, wie es üblich und geboten war, den einzigen Juden seiner Klasse gehänselt, nun aber schritt er zu einer ungewöhnlichen Kundgebung. Aus Klötzen, die zum Zeichnen dienten, erbaute er auf dem Katheder ein Kreuz und drückte den Juden davor in die Knie. Er hielt ihn fest, trotz allem Widerstand; er war stark! Was Diederich stark machte, war der Beifall ringsum, die Menge, aus der heraus Arme ihm halfen, die überwältigende Mehrheit drinnen und draußen. Denn durch ihn handelte die Christenheit von Netzig. Wie wohl man sich fühlte bei geteilter Verantwortlichkeit und einem Schuldbewußtsein, das kollektiv war! Nach dem Verrauchen des Rausches stellte wohl leichtes Bangen sich ein, aber das erste Lehrergesicht, dem Diederich begegnete, gab ihm allen Mut zurück; es war voll verlegenen Wohlwollens. Andere bewiesen ihm offen ihre Zustimmung. Diederich lächelte mit demütigem Einverständnis zu ihnen auf. Er bekam es leichter seitdem. Die Klasse konnte die Ehrung dem nicht versagen, der die Gunst des neuen Ordinarius besaß.«16
Die Figur des Staatsanwalts-Assessors lernt Diederich im Roman bei seinem Antrittsbesuch bei Bürgermeister Doktor Scheffelweis unter dem Namen Jadassohn kennen: »Der andere Herr legte Diederich zunächst große Zurückhaltung auf, denn er sah stark jüdisch aus. Aber der Bürgermeister stellte vor: ›Herr Assessor Jadassohn, von der Staatsanwaltschaft‹ – was dann allerdings eine vollwertige Begrüßung notwendig machte. […] Der jüdische Herr von der Staatsanwaltschaft hatte vorläufig nur für das Stubenmädchen Augen. Während sie neben ihm am Tisch zu tun hatte, war seine Hand verschwunden.«17 Mann wiederholt die Formulierung »der jüdische Herr von der Staatsanwaltschaft« noch einmal, während er ihn als stramm national, also kaisertreu, charakterisiert. Ein laufender Gag im Buch sind die Ohren Jadassohns. »Jadassohns Ohren wurden dabei noch größer. Dann krähte er: ›Auch in Netzig gibt es kaisertreue Deutsche!‹«18 Im Film dagegen wird der Staatsanwalts-Assessor durch Pastor Zillich mit Diederich bekannt gemacht und trägt nicht den Namen Jadassohn, sondern heißt Mennicke.
Die Begebenheiten bei Diederichs Musterung boten Mann ebenfalls Gelegenheit, den Antisemitismus zu benennen: »Ein anderer, der noch dazu Levysohn hieß, bekam die Lehre: ›Wenn Sie mich wieder mal hier belästigen, dann waschen Sie sich wenigstens!‹«19 Oder bei einem Besuch des jungen Herrn Buck, einem ehemaligen Schulkameraden Diederichs, unter Bezug auf dessen jüdische Mutter: »So ein Judenbengel, der sich aufspielt! Einfach ekelhaft!«20
Ein anderes Beispiel plazierte Heinrich Mann in der von Tucholsky sehr geschätzten Sequenz der Lohengrin-Aufführung: »Leider war die deutsche Treue, selbst wo sie ein so glänzendes Bild darbot, bedroht von den jüdischen Machenschaften der dunkelhaarigen Rasse.« Und weiter: »Elsas ausgesprochen germanischer Typ, ihr wallendes blondes Haar, ihr gutrassiges Benehmen boten von vornherein gewisse Garantien.« Und im Gespräch mit Guste über die Schauspielerin bekommt Diederich entgegengehalten: »›Einen feinen Geschmack hast du, ich kann mich geschmeichelt fühlen. Die ausgemergelte Jüdin!‹ – ›Jüdin?‹ – ›Die Merée, selbstredend, sie heißt doch Meseritz, und vierzig Jahre ist sie alt.‹« Und die Kontroverse in Wagners Stück zwischen Ortrud und Elsa, wer zuerst das Münster betreten dürfe, qualifiziert Diederich als »Jüdische Frechheit«.21
Der Beantwortung der Frage, warum der Antisemitismus 1951 in Staudtes Film nicht thematisiert wird, kann man sich an dieser Stelle nur versuchsweise und spekulativ nähern. Vermutlich erschien den Autoren dieses Thema zu gewaltig und auch zu unüberschaubar, angesichts der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen und der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Deutsche in der Zeit des Nationalsozialismus.22
Bei Mann waren die Ausprägungen des Antisemitismus, die er anprangerte, lediglich dumm, überheblich und beleidigend, außerdem bei einem großen Teil der wilhelminischen Gesellschaft mit der Ablehnung demokratischer Entwicklungen verbunden. Es wäre denkbar, dass man sich 1951 fürchtete, das Thema Antisemitismus zu berühren. Die Filme zu diesem Thema, von NUIT ET BROUILLARD (1955/56, Alain Resnais, NACHT UND NEBEL) bis zu SHOAH (1978–85, Claude Lanzmann), waren noch nicht produziert. Das Schicksal von MORITURI (1947/48, Eugen York) war keinesfalls ermutigend. Der Film war wirtschaftlich ein Flop und wurde von großen Teilen des Publikums und der Kritik, vermutlich aufgrund von fortbestehendem Antisemitismus, deutlich abgelehnt. In den späten 1940er und in den 1950er Jahren kam Antisemitismus in Form von Anfeindungen gegenüber Displaced Persons und Schändungen jüdischer Friedhöfe in beiden Teilen Deutschlands regelmäßig vor. Darüber hinaus zeigen beispielsweise die tragischen Schicksale von Julius Meyer und Paul Merker, dass es Anfang der 1950er Jahre in der DDR gefährlich sein konnte, sich projüdisch zu positionieren.23 Zwar wurden ihre Schicksale erst nach der Produktion von DER UNTERTAN offenkundig, sie belegen aber den deutlichen Antisemitismus im stalinistischen Machtbereich.24
Der Untertan (1951, Wolfgang Staudte): Renate Fischer, Werner Peters
Auch andere Themen, die Mann in seinem Roman verarbeitete, führte Staudte, trotz historisch belegtem Bezug, nicht in die Geschichte des Films ein. Die Arbeitslosen-Unruhen des Februars 1892 waren Heinrich Mann eine lange Episode wert, vermutlich auch, weil der Kaiser, vier Jahre nach seiner Thronbesteigung, während solcher Unruhen spektakulär auf die Straße geritten kam. Diederich: »Das ist doch großartig!« Darauf ein junger Mensch mit Künstlerhut: »Theater, und nicht mal gut.«25
Ein weiteres Beispiel war die Bewilligung eines besonders großen Wehretats, dies war einige Jahre später ein Point d’Honneur des Kaisers. Am 29.6.1913 wurde dieser Etat schließlich in dritter Lesung vom Reichstag verabschiedet, die Erhöhung der Friedensstärke des Militärs um mehr als 20 Prozent war sehr umstritten gewesen. Manns Diederich hatte stark dafür gestritten – verbal.
Im Film ergänzte Sequenzen
Staudte fügte einige Sequenzen ein, um die Hinweise auf die Defizite, ja die manifesten Fehler der wilhelminischen Gesellschaft zu verstärken: Im ersten Teil des Films geht der Student Mahlmann mit Diederich – bezahlt von Letzterem – in das Kabaretttheater »Elysium«. Dort tritt ein Sänger in preußischer Offiziersuniform auf. Es gibt einen Chor von Tänzerinnen, die in Corsagen mit angedeutetem Uniformcharakter und Pickelhauben singen:
Es jauchzen die hellen