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Kellerkinder und Stacheltiere. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kellerkinder und Stacheltiere
Год выпуска 0
isbn 9783967075205
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия CineGraph
Издательство Bookwire
Der Maulkorb (1937/38, Erich Engel): Ralph Arthur Roberts
Lange wurde über die Besetzung diskutiert, speziell der Rolle des Staatsanwalts Treskow. Gustaf Gründgens erschien Spoerl als Idealbesetzung, alle anderen nur als Notbehelfe. »Jannings ist zu sehr Biedermann, wahrscheinlich auch schwer abkömmlich; George ist äußerlich das Gegenteil dessen, was wir brauchen und wird von der gesamten Frauenwelt abgelehnt.«22 Von solchen Vorbehalten rückte Spoerl schnell wieder ab, als Heinrich George zusagte: »Wenn man sich einmal von dem Vorurteil löst, daß ein Staatsanwalt groß, schlank und schneidig aussehen müsse (die wenigstens tun es), wird man in George alle Eigenschaften finden, die von Treskow verlangt werden«, meinte er. »Ihm glaubt man die Dogge, den Suff, den Maulkorb, die Verbissenheit und die Anständigkeit der Gesinnung.«23
Emil Jannings meldete ebenfalls Interesse an, allerdings hatte er Drehbuchwünsche. »Erstens Umschreibung des Films auf Kaiser Wilhelm II. und zweitens stärkere Hervorhebung des Familienlebens des Staatsanwalts«.24 Spoerl forderte dafür ein Zusatzhonorar, was die Tobis ablehnte. Irritiert schrieb Spoerl an Jannings, der ihm versicherte: »Ich habe der Tobis ausdrücklich erklärt, dass ich den MAULKORB spielen will, vorausgesetzt, dass Sie ihn so umarbeiten, wie ich mit Ihnen besprochen habe.«25 Anfang August 1937 erfuhr Spoerl von der Produktionsfirma, dass »Herr Jannings durch seine anderen grossen Pläne in absehbarer Zeit doch nicht in der Lage ist, den Film zu spielen und den Stoff freigegeben hat«.26 Der Film werde jetzt im Rahmen der Produktion Karl Julius Fritzsche unter der Regie von Erich Engel 1937/38 hergestellt.
Die Produktion stand unter keinem guten Stern. Heinrich George sagte kurz vor Drehbeginn wegen Krankheit ab; Ralph Arthur Roberts sprang ein. Der Regisseur hatte keinerlei Vorbereitungszeit; er musste nehmen, was ihm die Produktion anbot. Erich Engel wandte sich an den Vorstand der Tobis: »Ich fühle mich verpflichtet, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Besetzung für den Film MAULKORB, so wie sie jetzt ohne mein Zutun zustande gekommen ist, nicht meinen Vorstellungen und Absichten entspricht. Ich habe die Regie nicht niedergelegt, weil ich eine begonnene Arbeit nicht im Stiche lassen will. Wenn aber der künstlerische Ausschuss später etwa den nicht unbegründeten Vorwurf erheben sollte, man hätte den reizenden Stoff nur in einer vollgültigen Besetzung drehen dürfen, so verwahre ich mich schon jetzt dagegen, dass dieser Protest an meine Adresse gerichtet ist.«27 (Anni Engel gab die Briefkopie Spoerl zur Kenntnis, verbunden mit der Bemerkung, ihr Mann habe es vermieden, »dem Brief sowohl einen persönlich aggressiven Ton zu geben, noch auch mit Argumenten zu kommen, die über das Fassungsvermögen der Herren gehen«.)28 Bei einer Nebenrolle konnte Engel, gedeckt durch den Vorstand, sich durchsetzen und während der laufenden Dreharbeiten eine Umbesetzung vornehmen: Jupp Hessels in der Rolle Rabanus wurde ausgetauscht und durch Will Quadflieg ersetzt.29
Hinter den Kulissen krachte es. Spoerl hatte daran seinen Anteil. Er habe nicht das Gefühl, dass seine Besuche im Atelier willkommen seien, schrieb er Engel.30 Sie hätten nur Sinn, wenn er die Muster sofort zu sehen bekommen würde; Carl Froelich habe bei den Aufnahmen zu WENN WIR ALLE ENGEL WÄREN ihn ununterbrochen hinzugezogen.
Spoerl kritisierte »das Abbrechen von Spitzen«, verwahrte sich gegen Änderungen des Drehbuchs und schloss damit, dass er sich nun erfreulicheren Dingen als dem MAULKORB-Film zuwenden werde. Engel, der bisher in Spoerl einen Bündnispartner bei seinen Kämpfen gegen die Produktion sah, reagierte verärgert. »Wenn Sie mich in hochweisem Ton über Dramaturgie belehren wollen, so mache ich Sie darauf aufmerksam, dass ich davon mindestens ebensoviel verstehe wie Sie.«31 Im Übrigen erlaube er sich kleine dramaturgische Änderungen sogar Shakespeare gegenüber.
Missmutig verfasste Spoerl für die Pressearbeit der Tobis eine Inhaltsangabe: »Der Staatsanwalt, der es selber war. Man könnte auch sagen: Der Staatsanwalt sein eigener Täter – oder: Der Täter sein eigener Staatsanwalt«, außerdem ein kleines Feuilleton »Ralph Arthur Roberts – diesmal anders«. In dem Text vermerkte er ausdrücklich, dass die Rolle eigentlich Heinrich George spielen wollte, »um damit zu dokumentieren, daß es sich von Hause aus keineswegs um einen leichten Unterhaltungsfilm handelt, sondern um einen Stoff, der zu Höherem geboren war«. Im Begleitbrief machte Spoerl keinen Hehl aus seiner »Trauer wegen der fast auf ganzer Linie notdürftigen Besetzung«: DER MAULKORB habe ein anderes Schicksal verdient.32
Aus heutiger Sicht war es ein Glücksfall. DER MAULKORB wurde kein Film mit Emil Jannings oder Heinrich George, den Superstars des NS-Kinos. Ralph Arthur Roberts brillierte in der Rolle des Staatsanwalts. So entstand keine große nationale Produktion mit Anspruch auf ein Staatsprädikat, sondern ein kleiner subversiver Film, der unter dem Radar segelte.
Volkskunst
»Heinrich Spoerl war einer der erfolgreichsten Autoren im Dritten Reich. Fast alle seine Texte verkauften sich zu Hunderttausenden«, doch es gibt keine Sekundärliteratur zu ihm.33 Noch höhere Auflagen als die populären Romane »Die Feuerzangenbowle« und »Der Maulkorb« erzielte ein Bändchen mit heiteren Betrachtungen: Von »Man kann ruhig darüber sprechen« wurden bis 1945 knapp 1 Million Exemplare verkauft.
Der Erfolg dürfte nicht zuletzt darauf beruhen, dass das Buch sich von der propagierten Nazi-Literatur wesentlich unterschied: Es war, in eigener Definition, ein »sanftes Buch«. Spoerl ging auf Distanz zu dem heroisch-martialischen Schrifttum, das nach der »Machtergreifung« auf den Buchmarkt schwemmte. »Das Buch ist ein Schwert des Geistes. Es soll kämpfen, meinethalben auch mit Kanonen schießen; in einer lauten Zeit werden zu leise Bücher überhört. Aber es soll nicht mit Platzpatronen knallen. Noch weniger mit Giftgas die Luft verpesten. Auch Tränengas halte ich für unwürdig.«34 Allerdings würden viele Bücher gar nicht kämpfen, sondern mit Trommeln und Trompeten gegen etwas ziehen, was längst besiegt und erledigt ist – »da kann nicht viel passieren«.
Bei Spoerl wird dagegen das Hohelied auf gegenseitige Rücksichtnahme angestimmt. Er hat zum Beispiel etwas gegen zu laute Musik aus dem Radio des Nachbarn, und plötzlich findet sich in dem harmlosen Feuilleton dieser Absatz: »Nur manchmal werden die Fenster und Türen luftdicht verschlossen, der Lautsprecher auf Leisesprecher eingestellt, und die Leute flüstern und hocken scheu um das Schalloch. Ich weiß nicht, warum das ist. Vielleicht kommt die Musik von sehr weit her, vielleicht ist es auch gar keine Musik«, orakelt der Autor.35