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war gefallen. „Wir brauchen die Polizei“, sagte sie. „Schnell.“

      4. KAPITEL

      Die Pläne Gottes

      Der Tag hatte so verheißungsvoll begonnen.

      Gerade wollte Charlotte Gärtner es sich in ihrem Liegestuhl im Garten bequem machen, bereit, den Beginn ihres freien Tages zu genießen. Die Musik aus dem Radio dudelte leise, und die frühe Morgensonne schien bereits jetzt auf sie herab, so als hätte jemand einen himmlischen Scheinwerfer eingeschaltet, der nur für sie leuchtete.

      Charlotte fühlte sich aus Raum und Zeit geschoben und war absolut zufrieden. Ja, das war sie wirklich. Vielleicht mochte sie etwas überholt wirken für ihre fünfundvierzig Jahre, mit dem dünnen Blümchenschal, den sie irgendwann einmal auf einem Flohmarkt erstanden hatte und seitdem immer trug, den blonden kurzen Haaren, die in alle Richtungen abstanden, dem dicken Hintern und den stämmigen Beinen. Aber das war alles nichts gegen ihren Mann – vielmehr Exmann –, der inzwischen aussah wie ein alternder Playboy, mit den wenigen Haaren, die er noch hatte, und den viel zu bunten Hemden, die er über einem unmöglich zu übersehenden Bierbauch trug. Aber immerhin musste er ja das junge Ding mit dem übertriebenen Make-up und den viel zu engen, kurzen Röcken beeindrucken, das er seit ihrer Trennung mit sich herumschleppte.

      Charlotte seufzte leise auf. Das war vorbei. Sollte er machen, was er wollte. Sie verbrachte wegen ihm keine schlaflosen Nächte mehr, und sie hatte auch keine Tränen mehr in den Augen.

      Gerade dachte sie darüber nach, sich noch eine weitere Tasse Kaffee zu holen, um dann in aller Ruhe die Zeitung zu lesen und Gott einfach einen guten Mann sein zu lassen, als das Telefon im Haus klingelte.

      Das bedeutete nichts Gutes, und Charlottes gute Laune verflog sofort.

      Niemand wagte es, sie um diese Zeit an ihrem freien Tag anzurufen, nur um ein bisschen zu plaudern.

      Sie betrat das Haus, nahm den Hörer ab, hörte einen Moment zu und legte ihn dann mit einem resignierten Seufzer zurück auf die Gabel.

      Das war er gewesen, ihr erster freier Tag seit Wochen.

      Und, oh ja, sie hätte ihn genossen.

      Aber Gott schien an diesem Tag andere Pläne für sie zu haben.

      Die Straßen waren erstaunlich leer, deshalb dauerte die Fahrt in ihrem roten BMW Z4 nur knapp zwanzig Minuten. Der Kauf des Wagens war eine Übersprungshandlung gewesen, entstanden kurz nach der Scheidung von ihrem Mann, als sie etwas brauchte, um sich die Laune aufzubessern. Das hatte auch funktioniert, etwa zwei Wochen lang. Inzwischen kam sie sich nur noch albern vor, weil das auffällige Auto ständig angestarrt und kommentiert wurde, vor allem von ihrer Mutter, die süffisant bemerkte, wie lächerlich es doch war, wenn eine Person, der es kaum gelang, die einzelnen Kleidungsstücke ihrer Garderobe aufeinander abzustimmen, einen so auffälligen Sportwagen fuhr.

      Blödes Spielzeug, dachte Charlotte einmal mehr und nahm sich auf ein Neues vor, den Wagen schnell wieder zu verkaufen.

      Um 8:44 Uhr parkte sie nun auf dem großen Schotterparkplatz vor der psychiatrischen Klinik Mönchshof, die umgeben war von einer hohen Ziegelmauer. Einlass bot lediglich ein nicht weniger hohes schmiedeeisernes Tor, das jedoch verschlossen war.

      Charlotte nahm sich einen Moment Zeit, sich umzusehen. Das alte Kloster, das hinter Ziegelmauer und Tor emporragte, wirkte schlicht und nüchtern. Nichts wies heute mehr darauf hin, dass hier vor rund siebenhundert Jahren einmal Mönche gelebt hatten, außer der überlieferten Tatsache, dass es halt mal ein ehemaliges Kloster war. Es erinnerte auch nichts mehr daran, dass dieses Kloster irgendwann überfallen und geplündert und die Mönche an den Außenmauern aufgeknüpft worden waren. Und ebenso wenig daran, dass es danach für sehr lange Zeit unbewohnt geblieben war. Erst in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurde es wieder benutzt, seitdem befand sich die geschlossene Psychiatrie darin.

      Charlottes Blick fiel auf den großen Park jenseits des schmiedeeisernen Tors, eine wirklich beeindruckende Anlage. Auf endloser Rasenfläche erhoben sich alte Ulmen, elegante Ahornbäume und ausladende Rhododendren. Zwischen Blumenrabatten schlängelten sich kleine Wege dahin. Ganz hinten entdeckte sie einen Ententeich. Und noch weiter hinten einen kleinen Friedhof.

      Am Tor war ein Schild befestigt mit der Aufschrift: Psychiatrischer Bereich. Bitte klingeln. Unbefugte haben keinen Zutritt.

      Charlotte tat wie geheißen und drückte auf die Klingel, was ein kratzendes, metallisches Schrillen provozierte, das ihr durch Mark und Bein ging.

      Als nichts geschah, klingelte sie noch einmal, und dieses Mal tönte es aus der Gegensprechanlage: „Ja?“

      „Gärtner. Kriminalpolizei. Machen Sie bitte auf.“

      Es summte, Charlotte packte den rauen Eisengriff, betrat die Anlage und folgte dem schmalen Weg, der sie zum Hauptgebäude führte.

      Auch hier hing wieder ein Schild, das sie dazu aufforderte, zu klingeln. Sie tat wie geheißen, und kurz darauf ertönte eine weitere Stimme durch die Sprechanlage.

      Noch einmal erklärte Charlotte, wer sie war, und die Tür wurde geöffnet.

      Im Inneren der Klinik war die nächste Tür, auf die Charlotte zutrat, eine schwere Eichentür, die jedoch nur angelehnt war. Dahinter war die Stimme einer Frau zu hören, die mit einer Art wütender Präzision fluchte: „Verdammt! Verdammt! Und noch einmal verdammt!“

      Dann die Erwiderung eines Mannes mit noch recht junger Stimme: „Warum nimmst du dir nicht gleich ein Messer und stichst es mir zwischen die Rippen, Heide?“

      Dann wieder die Frau: „Jan, du weißt, wir brauchen hier jeden Mann. Aber ich muss mich auf dich verlassen können. Und die Frage ist: Kann ich das?“

      „Du konntest dich noch immer auf mich verlassen.“

      „Du musst etwas tun.“

      Charlotte hob die rechte Hand und klopfte gegen die Tür, ehe sie mit schnellem Schritt hindurchtrat.

      Das Erste, was ihr entgegenschlug, war der Geruch von Schweiß und … Kohl. Kohl?

      Charlotte schnüffelte.

      Tatsächlich. Kohl.

      Eine kräftig gebaute Frau stand mit dem Rücken zu ihr. Der junge Mann, mit dem sie gerade gesprochen hatte, lehnte an der Wand, die Hände in den Hosentaschen einer weißen Hose. Beide wandten sich um und blickten Charlotte aufmerksam entgegen.

      „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Frau, und Charlotte stellte fest, dass sie sehr blass war. Aufgrund ihrer durchdringenden dunklen Augen wirkte sie noch weißer, beinah milchig hell, und ihre große, römische Nase verstärkte ihre hochmütige Ausstrahlung.

      „Mein Name ist Charlotte Gärtner“, sagte Charlotte. „Mordkommission.“

      „Ja. Natürlich.“ Die Stimme der Frau klang nun wieder ruhig und sachlich und verriet nichts mehr von der Wut, die sich gerade eben noch darin manifestiert hatte.

      „Und wie ist Ihr Name?“, wollte Charlotte von ihr wissen.

      „Heide Sacher. Ich bin eine der Pflegerinnen. Das dort ist mein Kollege Jan.“

      Der junge Mann, Ende zwanzig, höchstens ein Meter siebzig groß und sehr schmal, mit hellbraunem Haar und modischem Schnitt, zog die rechte Hand aus der Hosentasche und machte einen Schritt auf Charlotte zu. „Jan Jäger.“ Kurz reichten sie sich die Hand.

      „Bitte folgen Sie mir“, sagte Heide Sacher dann in Charlottes Richtung und drehte sich dabei so schnell um, als habe sie Rollen unter den Füßen. Beinahe lautlos glitt sie den Flur entlang, wohingegen Charlotte regelrecht hinter ihr herpolterte und Mühe hatte, Schritt zu halten.

      Sie arbeiteten sich durch eine Traube von Menschen, die sich im Flur versammelt hatten und überall im Weg herumstanden. Patienten, natürlich. Und immer wieder dieser fürchterlich muffige Geruch aus Schweiß, Kohl und … Angst.

      „Wann

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