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Neulohe ist der kleine Feldinspektor Meier, genannt Negermeier, zwischen der elften und zwölften Vormittagsstunde schon wieder so müde, daß er, wie er ist, in Joppe und Gamaschen, ins Bett fallen und bis zum andern Morgen schlafen könnte. Er sitzt aber nur am Rande eines Roggenschlages, durch ein paar Kiefernkuscheln gut gegen Sicht gedeckt, im langen und trockenen Waldgras und döst so vor sich hin.

      Um drei Uhr aufgestanden, in den warmen Dunst des Stalles (so müde, ach, so müde!), Futter ausgegeben, Füttern überwacht, Melken beaufsichtigt, nach dem Putzen gesehen. Ab vier Uhr Raps eingefahren, der im Morgentau eingefahren werden muß, damit er nicht ausfällt. Um dreiviertelsieben eine Tasse Kaffee im Stehen getrunken, hastig was runtergeschlungen (immer noch müde). Und ab sieben das gewohnte Tagewerk.

      Dann kam vom Roggenschlag die Nachricht, daß beide Bindemaschinen kaputt seien. Hingejagt mit dem Schmied, rumgeflickt an den Dingern. Nun klappern sie wieder, klappern sie noch – ach, was ist er müde, nun ist er nicht nur noch müde von gestern, nun ist er auch schon müde von heute! Ach, wie gerne würde er jetzt hier, in der Sonne bratend, einschlafen –! Aber er muß vor zwölf noch einmal auf den Zuckerrübenschlag, nachsehen, ob der Leutevogt, der Kowalewski, mit seiner Kolonne auch ordentlich hackt, nicht pfuscht …

      Meiers Rad liegt ein paar Schritte um die Kiefernschonung herum im Straßengraben. Aber er ist jetzt zu faul, weiterzufahren, er kann einfach nicht. Wie eine dicke, wollige, ein wenig schmerzende Masse sitzt die Müdigkeit in all seinen Gliedern, besonders aber in der Kehle. Wenn er ganz still liegt, schläft sie gewissermaßen ein. Aber bewegt er nur ein Bein, kratzt und reibt es gleich wie mit Borsten.

      Er brennt sich langsam eine Zigarette an, tut wohlig ein paar Züge und starrt dabei auf seine verstaubten, verbrauchten Schuhe. Neue täten auch nötig, jedoch der Rittmeister ist ein großer Mann, fünfhunderttausend Mark sind ein unerhörtes Gehalt für einen Feldinspektor. Warten wir aber nur ab, wie der Dollar zum ersten kommt, dann können wir uns vielleicht nicht einmal die Schuhe besohlen! Es täte vieles not auf Rittergut Neulohe – zwei Beamte müßten mindestens noch her. Aber der Rittmeister ist ein großer Mann und hat entdeckt, daß er alles alleine machen kann – einen Dreck kann er! Heute ist er nach Berlin, Schnitter holen. So kann er jedenfalls einen armen Inspektor nicht aus seiner Vormittagsdöserei hochjagen –›Aber gespannt bin ich doch, was er für Leute anbringt. Wenn er überhaupt welche bringt. Ach, Scheiße –!‹

      Meier legt sich zurück, die Zigarette rutscht ganz in den Mundwinkel, der Trillerbibi wird gegen den Sonnenbrand über die Augen geschoben … Die Weiber in den Zuckerrüben können sich mit ihrem Kowalewski für seinswegen sauer kochen lassen, eine freche Bande ist das! Aber eine schicke Tochter hat der Kowalewski, traut man ihm gar nicht zu. Die kann ruhig mal wieder auf Urlaub kommen aus Berlin, er würde das Kind schon schaukeln! Warm ist das, heiß ist das, ein Backofen ist das. Wenn bloß kein Gewitter kommt, dann wird das ganze Getreide naß, und er hat die Schweinerei –! Natürlich hätte man heute einfahren müssen, aber der Rittmeister ist ein großer Mann und nebenbei Wetterprophet: es regnet nicht, wir fahren nicht ein, Sela!

      Gottlob, die Bindemaschinen klappern noch, so kann man weiter hier liegen. Bloß nicht einschlafen, dann wird man vor Abend nicht wieder wach. Der Rittmeister erführe es gleich, und morgen säße man draußen. Es wäre auch noch so, wenigstens könnte man sich mal ausschlafen –!

      Jawohl, die kleine Kowalewski ist nicht schlecht, die wird in Berlin auch keine schlechten Zicken machen – aber die Amanda, Amanda Backs ist erst recht nicht ohne! Der kleine Meier, Negermeier, wirft sich auf die Seite, er verdrängt endgültig den bohrenden Gedanken, daß der Rittmeister eigentlich nicht gesagt hat, man solle nicht einfahren, sondern vielmehr, der Meier solle das halten, wie es das Wetter eben treibe.

      Nein, daran will Meier jetzt nicht denken, er denkt lieber an Amanda. Etwas Leben kommt in ihn, er zieht die Knie an und stößt vor Vergnügen einen grunzenden Laut aus. Dabei fällt die Zigarette aus seinem Mund, aber das ist egal – was braucht er ’ne Zigarette, er hat Amanda! Jawohl, sie nennen ihn den kleinen Meier, den Negermeier – und wenn er sich im Spiegel ansieht, muß er ihnen recht geben. Hinter den runden, großen, gewölbten Brillengläsern sitzen runde, große, gelbliche Eulenaugen, er hat eine eingedrückte Nase und Wulstlippen, eine Stirn, kaum zwei Finger hoch, die Ohren stehen ihm ab – und dazu ist der ganze Mann Meier einen Meter vierundfünfzig hoch!

      Aber das ist es eben: er sieht so toll und verboten aus, so grotesk in seiner Häßlichkeit, und er hat dazu eine so freche süße Schnauze, daß die Mädels alle auf ihn fliegen. Als sie mit ihrer Freundin damals an ihm vorüberging – er war noch ganz frisch auf Neulohe –, da sagte die Freundin: Amanda, da brauchst du ja ’nen Tritt, um anzulangen! Doch Amanda sagte: Das macht nischt, er hat so ’ne süße Kerbe! – Das war ihre Art von Liebeserklärung, so waren die Mädchen hier: frech und von himmlischer Unbekümmertheit. Sie hatten Appetit auf einen oder nicht, aber jedenfalls machten sie kein Geschmus darum. Gut waren sie!

      Wie die Amanda gestern abend zu ihm ins Fenster stieg – eigentlich hatte er keine Lust, er war zu müde – und die Gnädige fuhr aus den Büschen. (Nicht die junge Gnädige vom Rittmeister, die hätte bloß gelacht, die war selber nicht ohne. Nein, die alte Gnädige, die Schwiegermutter, vom Schloß.) Jede andere hätte gekreischt oder sich versteckt oder seine Hilfe angerufen, nicht so die Amanda. Er konnte ganz unbeteiligt bleiben und sich amüsieren. Ja, gnädige Frau, hatte die Amanda ganz unschuldig gesagt. Ich gehe mit dem Inspektor bloß noch die Geflügelrechnungen durch, am Tag hat er doch nie Zeit.

      Und da steigen Sie durchs Fenster?! hatte die alte Gnädige gekreischt, die sehr fromm war. Sie schamlose Person!

      Wenn’s Haus doch schon zu ist, antwortete die Amanda.

      Und als die Gnädige noch immer nicht die Nase voll hatte und nicht einsehen wollte, daß sie gegen die jungen Dinger von heute nicht mehr aufkam, nicht mit Frömmigkeit und nicht mit Strenge, da hatte sie gesagt: Und jetzt ist übrigens Feierabend, gnädige Frau. Und was ich nach Feierabend tue, das ist meine Sache. Und wenn Sie ’ne bessere Geflügelmamsell finden als mich (für solchen Schandlohn) – aber Sie finden keine –, dann kann ich ja auch gehen, aber erst morgen!

      Und partout hatte sie gewollt, daß er das Fenster nicht zumache. Wenn sie stehen will und lauschen, laß sie doch stehen, Hänsecken! Uns ist’s egal, und ihr macht’s vielleicht Spaß – vom Beten hat sie ihre Tochter ooch nicht!

      Der kleine Meier gniggerte höchst vergnügt vor sich hin und drückte die Backe fester gegen den Arm, als fühle er den weichen und doch festen Leib seiner Amanda. Solche war grade richtig für einen Habenichts und Junggesellen wie ihn! Kein Schmus von Liebe, Treue, Heirat, aber immer obenauf, fix bei der Arbeit und fix mit dem Maule. Und keß! Keß, daß einen manchmal das Schaudern ankam! Aber am Ende auch kein Wunder, wie sie aufgewachsen war, mit vier Jahren Krieg und fünf Jahren Nachkrieg und:

      Wenn ich mir nischt zu fressen nehme, kriege ich nischt. Und wenn ich dir keine latsche, latschst du mir eine. Immer die Zähne zeigen, junger Mann, auch gegen ’ne olle Frau, spielt gar keine Rolle. Sie hat ihr Gutes gehabt – und ich soll mein Gutes nicht haben, bloß weil sie ’nen dußligen Krieg und ’ne Inflation machen –?! Daß ich nicht lache! Ich bin ich, und wenn ich nicht mehr bin, ist keiner mehr da! Und für die Tränen, die sie mir als braves Mädchen ins Grab weint (es sind aber bloß Drücketränen) und für den Blechkranz, den sie mir auf meine Madenkiste packt, kann ich mir ooch nischt koofen, und darum wollen wir lieber heute vergnügt sein, was, Hänsecken? Mitleid mit der ollen Frau und ein bißchen sachte –? Na, weißte, wer hat denn mit mir Mitleid gehabt? Immer über’n Kopp, und wenn die Neese blutete, war’s grade schön. Und wenn ich bloß mal ein bißken heulen wollte, hieß es gleich: Halt den Rand, oder es gibt noch mehr aus derselben Tüte! Nee, Hänsecken, ich sagte nischt, wenn es einen Sinn hätte. Aber es hat keinen Sinn, und so doof wie meine Hühner, die die Eier zu unserm Vergnügen legen, und denn zum Schluß noch rin in den Kochpott – ich nicht, nee, danke! Wenn du magst, bitte, ich nich!

      Richtig, das Mädchen! lacht der kleine Meier noch einmal und ist schon im tiefen Schlaf und hätte nun wohl wirklich bis in den Abendtau – Wirtschaft hin, Rittmeister her – weitergeschlafen, wenn es ihm nicht plötzlich doch zu heiß

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