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eine ehemalige Krankenschwester.«

      »Die Namen und Adressen wären gut«, sagte Helwig. »Das erspart uns unnötige Mühe.«

      »Außerdem hätten wir gerne die Namen der Patienten, um die sich Jan Mattis zuletzt gekümmert hat«, fügte Moses hinzu.

      »Wollen Sie mir nicht erst einmal erklären, was geschehen ist?«, fragte Solbek. »Wer hat Jan denn …« Sie schluckte erneut.

      »Das wissen wir noch nicht«, erklärte Moses wahrheitsgemäß.

      Solbek schüttelte den Kopf. »Ich kann das einfach nicht glauben! Jan ist … Jan war so ein Engel.«

      »Wie meinen Sie das?«, hakte Moses nach. Er dachte sofort an seine spontane Assoziation, die er beim Anblick des Toten gehabt hatte.

      »Jan war absolut zuverlässig, immer freundlich und immer von ganzem Herzen bei der Sache«, erklärte Solbek. »Ein wahrer Engel. Er hat sich um die Menschen gekümmert, und die haben ihn geliebt.«

      »Wissen Sie, ob er Familie in Hamburg hat?«, fragte Moses. »Irgendwelche näheren Angehörigen?«

      »Nein«, gestand Sylvia Solbek. »Jan stand eines Tages vor der Tür, weil er in der Presse über unsere Arbeit gelesen hatte. Er wollte mithelfen, die Welt ein wenig erträglicher zu machen, so hat er es immer genannt. Über Privates haben wir eigentlich nie geredet.«

      Sie lächelte tapfer, dennoch füllten sich ihre blauen Augen mit Tränen.

      »Entschuldigen Sie bitte!« Sie stand auf, um sich ein Taschentuch aus ihrer Handtasche zu holen. Nachdem sie sich ausgiebig geschnäuzt hatte, kehrte sie mit geröteten Augen zurück. »Tut mir leid. Aber das kommt alles so unerwartet. Es ist einfach nur furchtbar! Jan war ein so freundlicher junger Mann.«

      Moses hatte das Gefühl, dass ihn das Gespräch im Moment nicht weiterbrachte. Gleichzeitig ärgerte er sich, dass er von Mattis’ Freundin noch kein Foto parat hatte.

      »Nun gut«, entschied er. »Vorerst wäre das von unserer Seite aus alles. Bitte vergessen Sie nicht, uns die Namen der Patienten zu übermitteln, die Mattis zuletzt betreut hat.«

      Moses legte seine Visitenkarte auf den niedrigen Glastisch und stand auf. Helwig folgte seinem Beispiel. Die Leiterin der Hilfsorganisation reagierte erleichtert. Sie nahm die Karte in die Hand und stutzte.

      »Was haben Sie?«, erkundigte sich Moses, dem die Reaktion nicht verborgen blieb.

      Sylvia Solbek sah ihn interessiert an. »Nun ja, es gibt eine sehr bekannte Hamburger Reederfamilie mit gleichem Namen. Moses – vielleicht kennen Sie die? Ich dachte für einen Moment, Sie wären vielleicht verwandt.« Dann lachte sie verlegen. »Aber das kann natürlich nicht sein. Bitte verzeihen Sie!«

      Sie schenkte dem schwarzen Kommissar ein bezauberndes Lächeln, woraufhin Moses Helwigs bohrenden Blick verspürte.

      9.

      Der Himmel hatte sich auf der Fahrt ins Präsidium bedrohlich zugezogen, und als Helwig auf dem Parkplatz hielt, trommelten die ersten Regentropfen bereits auf das Autodach. Sie stellte den Motor ab, machte aber keinerlei Anstalten auszusteigen. Moses, der bereits seine Hand am Türgriff hatte, hielt irritiert inne.

      »Haben Sie Angst, der Regen könnte Ihnen etwas anhaben?«, fragte er scherzhaft.

      Helwig umklammerte das Lenkrad und schwieg. Dann drehte sie den Kopf und sah Moses an: »Stimmt das? Dass Sie mit denen was zu tun haben?«

      »Mit wem?«, fragte Moses verwundert.

      »Na, mit diesen Bonzen. Dieser Reederfamilie.«

      Moses wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte.

      Helwig musterte ihn. »Diese schicke Tussi wusste Bescheid, ist es nicht so?«

      Moses wich ihrem Blick aus. Er fühlte sich irgendwie ertappt, und das ärgerte ihn. Schließlich seufzte er.

      »Ja«, gestand er. »Es stimmt. Diese ›Bonzen‹ haben mich als Kind adoptiert.«

      Helwig richtete ihren Blick wieder nach vorne in den Regen. Das Lenkrad ließ sie immer noch nicht los.

      »Dann sind Sie also auch in so einer Villa aufgewachsen«, stellte sie nüchtern fest. »Lassen Sie mich raten: Blankenese oder Nienstedten?«

      »Haben Sie vielleicht etwas dagegen?«, erwiderte Moses zunehmend gereizt. Er hatte wenig Lust, sich für seine Herkunft zu rechtfertigen, nur weil seine junge Kollegin am anderen Ende der Gesellschaft aufgewachsen war. Es war weder sein Verdienst noch seine Wahl gewesen.

      Aber Helwig bohrte weiter. »Nun sagen Sie schon: Ist es Blankenese oder Nienstedten?«

      »Nienstedten«, sagte Moses widerstrebend.

      Helwig nickte, als hätte sich ihr Verdacht bestätigt.

      »Und warum weiß das keiner?«, wollte sie wissen.

      »Weil ich nicht will, dass alle das denken, was Sie jetzt denken!«, entgegnete Moses.

      »Und das wäre?«

      »Dass ich diesen Job nur zum Zeitvertreib mache, weil ich es nicht nötig habe, mir die Finger schmutzig zu machen.«

      Helwig drehte sich ihm wieder zu und sah ihn mit ihren blauen Augen an.

      »Und sind Sie reich?«, fragte sie. Als Moses sich abwandte, fügte sie hinzu: »In der Kantine erzählt man sich übrigens hinter vorgehaltener Hand, dass Sie eine Segeljacht in Wedel liegen haben. So ein richtig schickes Teil.«

      Moses spürte, wie allmählich die Wut in ihm aufstieg. Wie seine Kollegen dahintergekommen waren, dass er ein Segelboot besaß, war ihm ein Rätsel. Er hatte stets alles unternommen, um genau das zu verhindern.

      »Ich wüsste nicht, was Sie meine privaten Verhältnisse angehen!«, herrschte er seine Kollegin an. Ihre Neugier nervte ihn, denn sie berührte ein Thema, über das er nicht gerne redete. »Abgesehen davon wäre es schön, wenn Sie sich nicht am Kantinentratsch beteiligen würden.«

      »Verstehe«, sagte Helwig trocken.

      »Gut. Dann lassen Sie uns unsere Arbeit machen«, brummte Moses und stieg aus dem Wagen. Helwig folgte ihm, und nachdem sie sich durch den Regen ins Präsidium gerettet hatten, fuhren sie, ohne ein weiteres Wort zu wechseln, mit dem Fahrstuhl in ihre Abteilung.

      Vor der Glastür, die zu den Büros führte, wartete zu ihrer Überraschung eine Nonne. Sie war ganz in Weiß gekleidet, geradezu winzig und wirkte ein wenig orientierungslos.

      »Können wir Ihnen vielleicht helfen?«, erkundigte sich Moses.

      Die kleine Nonne drehte sich zu ihnen um. »O ja!«, sagte sie erleichtert. »Das können Sie sicher. Ich bin zum ersten Mal hier.«

      »Zu wem möchten Sie denn?«, fragte Helwig freundlich.

      »Ich bin Schwester Ingeborg. Leider konnte ich nicht früher kommen. Man hat mich gebeten zu dolmetschen.« Als sie die ratlosen Gesichter der Kommissare bemerkte, fügte die winzige Frau hinzu: »Mein Spezialgebiet sind afrikanische Sprachen.«

      Endlich fiel der Groschen. »Ach ja, natürlich!«, sagte Moses. »Wir haben schon auf Sie gewartet. Kommen Sie bitte mit!«

      Er öffnete die Glastür und führte die Ordensschwester in ihre Abteilung. »Wo ist sie?«, fragte er Elvers, die gerade aus der Teeküche kam.

      »Sie meinen die junge Frau?« Elvers blies auf ihr heißes Getränk. »Die ist in der UHA. Die Kollegen haben sie vor gut einer halben Stunde abgeholt. Der Staatsanwalt hat grünes Licht gegeben.«

      »Gut«, sagte Moses. Dann wandte er sich an die Ordensschwester. »So wie es aussieht, müssen Sie uns leider begleiten.«

      Hamburgs zentrale Untersuchungshaftanstalt, in einschlägigen Kreisen nur »Dammtor« genannt, lag mitten im Stadtzentrum am Holstenglacis. Dass der gewaltige Ziegelsteinbau noch aus der Kaiserzeit stammte, war ihm unschwer

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