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den Augenblick war seine Arbeit getan. Wieder liess er den Stuhl herumwirbeln:

      „Du willst noch was, Hemmern?“

      Ernst lachte:

      „Den Quartalsabschluss.“

      Nie konnte er früh genug hören, wieviel der Freund ihm verdient hatte. Den ärgerte oft Ernsts Drängen, aber heute schien er guter Laune und zog schmunzelnd die rechte Bartquaste durch die Finger:

      „Die Aufstellung wird heute nachmittag fertig und bringt eine angenehme Überraschung!“

      Der Schnorchel schnupperte. Ernst nickte:

      „Ein Glücksfall kommt nie allein!“

      Aus der Tasche zog er eine der schon gestern bestellten neuen Visitkarten, liebkoste sie mit den Augen, reichte sie dem Freund und lehnte in selbstgefälligem Behagen den Rücken gegen den Stuhl, als warte er auf Georgs Staunen. Ein Baron war des Beachtens wert.

      Gutschmidt las halblaut:

      Ernst Freiherr von Hemmern-Herkelsbrühl.

      Mit schnellem Blinken schlug er die hellen grauen Augen auf. Sie sahen den schwarzen Schlips unter des Freundes Kragen:

      „Also muss ich zunächst mein Beileid aussprechen!“

      „Ne, Georg, du darfst gratulieren. Den Vetter, der mir das Majorat hinterlassen musste, kannte ich kaum. War ein schlechter Wirtschafter, und das führt mich zu dir. Hast du jemand, der in Herkelsbrühl über die Bücher gehen und feststellen kann, welche Forderungen ich an den meinen Kusinen zufallenden Nachlass habe?“

      Gutschmidt sann:

      „Heute abend könnte ich jemand nennen und dir auch den Abschluss zeigen.“

      Hemmern stand auf:

      „Schön, mein fleissiger Georg, mach’ dich zu neun Uhr frei und triff mich im Restaurant, Ecke Linden und Wilhelmstrasse!“

      Gutschmidt zögerte, aber liess sich überreden. Auch Zerstreuung war dem Arbeitsamen nötig. Mit einem an Trotz erinnernden Gefühl zwang er sich oft, die Bürde der Geschäfte abzuschütteln, wenn sie am schwersten drückte:

      „Einverstanden!“ Er beugte sich wieder über die Briefe, ehe Hemmern das Zimmer verliess.

      Um zwei Uhr nachmittags nahm er seine Mahlzeit vom Schreibtisch. Er ass viel mit gutem Appetit von dem Gericht aus der Kantine, die Frau Zinger, Witwe eines Amtsrichters und einst Leiterin der Küchenabteilung im Warenhaus der Leipziger Strasse, auch hier am Zoologischen Garten eingerichtet hatte. Zur Hausfrau geboren, lieferte sie ein Essen, an dem Gutschmidt sich täglich freute. Den Kaffee trank er diktierend. Als die Zigarre geraucht war, kam die Viertelstunde, in der er sich stets beim Gang durch das Haus die Füsse vertrat. Die Platte hing im obersten Stockwerk. Die Tür öffnend, sah er sich in der ihm noch immer liebsten Stätte seines Wirkens. Seit hier vierhundert Handwerker Uniformen schneiderten, blieben freilich nur wenige Zimmer noch frei für Kundinnen, die Kleider nach Mass fertigen liessen. Auf den Tischen der drei grossen Säle lagen die während des Nachmittags anzuprobierenden Stücke. Wenn an den Wänden über kleinen, holzumwandeten Buden elektrische Lampen aufflammten, erhellten sie Spiegel, vor denen eine Dame den Sitz des neuen Kleides oder Korsetts prüfte. Hier begegnete er heutzutage jungen Mädchen, deren Steckkissen er den Müttern aus dem kleinen Laden an der Leipziger- und Charlottenstrasse geschickt hatte. Herangewachsen wählten sie ihre Ausstattung oder als Verheiratete schon Kinderzeug für eine dritte Generation von Käuferinnen des Hauses Gutschmidt. Es war sein Stolz, dass er wenige Kundinnen des ersten Ladens auf dem langen Weg zu Erfolgen verloren hatte. Er kannte sie von Namen und Gesicht. Sah er eine der alten oder jungen Damen aus Familien, die ihm die ersten Einnahmen gebracht hatten, dann machte es ihm noch heute Freude sie zu bedienen. Ja, der Grosse des Berliner Handels griff zum Massband, nahm die Stecknadel zwischen die Lippen, kniete nieder und sprach wie einst als Zuschneider so ehrerbietig, dass die Kundin wohl dachte, vom Geld für ihr Fähnlein hinge die Existenz des Multimillionärs ab. In alten Erinnerungen fühlte er sich wohl dabei. Er führte gern die Schere, mit der er sein Glück geschnitten hatte. Er hatte sich Liebe zum Handwerk gewahrt und nannte sich darum noch immer Frauenschneider.

      Beim Rundgang legte er die Hand prüfend auf einen Tisch, der halbfertige Trauerkleider trug. Die Säume waren nur mit langen Stichen weissen Zwirns geheftet. Der Mann, den er vormittags zu Hemmerns Kusinen geschickt hatte, beugte sich über eins der Kostüme und verglich die Schnittlinien mit den Strichen einer Bleistiftskizze. Nach Brauch des Hauses sagte der Zuschneider, wen er zum Anprobieren erwarte. Gutschmidt nahm die Skizze in die Hand.

      Ohne Überraschung sah der Arbeiter das erfreute Lächeln auf den Lippen des Chefs. Der Meister fand Gefallen an hübscher Arbeit.

      „Wer hat das gezeichnet?“

      „Die jüngere Dame in der Königgrätzer Strasse.“

      „In der Tat?“ Es klang ungläubig.

      „Ja, Herr Gutschmidt. Während ich zunächst den Auftrag der Mutter nahm, holte die Tochter Modeblätter und stellte nach Bildern mit Bleistiftstrichen das Kostüm zusammen.“

      Gutschmidt nickte. Er verstand das Entstehen der Skizze. In den letzten Heften der Journale hatte auch er vier Toiletten gesehen, deren Vorzüge von geschickter Hand in dem Kostüm verschmolzen waren. Das Arbeiten für Damen von Geschmack war Vergnügen. Er wollte das junge Mädchen sehen, vielleicht sprechen.

      „Wann kommt die Baronesse?“

      „Sie versprach, Punkt drei Uhr, also in zwei Minuten, hier zu sein und sah aus, als sei sie an Pünktlichkeit gewöhnt. Da ... sie tritt aus dem Fahrstuhl.“

      Gutschmidt trat zum Nebentisch und stützte hinter dem Rücken die Hände auf die Platte. Den Mittelgang entlang kam gerade auf ihn zu eine junge Dame von zierlicher Schlankheit. Der Kopf lag leicht im Nacken und eine Hand im Skunksmuff. Die andere schwang leicht zum federnden Schritt der wohlgewachsenen Frau. Um ihren schwarzen Hut hing ein Kreppschleier. Ihr Trauergewand schien aus Vorräten in wohlgefüllten Schränken für den Notbehelf zusammengesucht. Sonst wäre sein Interesse an der Dame damit erschöpft gewesen. Er sah an Frauen nur das Gewand, an ihrer Figur nur, wie sie die Kleider trugen. Aber die hochhüftige, zierliche Gestalt hielt seinen Blick fest. Sie schritt in einer seltenen, biegsamen Grazie — flüssig und weich wie das Schlängeln der Boa um den Oberkörper. Ihre unauffällige Schönheit und Eleganz übten einen Reiz, der ihn höher atmen liess. Unwillkürlich griffen die Finger fester um die Tischkante hinter dem Rücken.

      Der Zuschneider wies der Dame den Weg zum Nebentisch. Sie dankte mit Kopfnicken:

      „Ich möchte auch die Kleider meiner Mutter sehen.“

      Kühl und sicher sprach sie, doch auch erwartungsvoll und ungemein interessiert. Wohl war der Rand ihrer grossen dunklen Augen vom Weinen gerötet, aber im Gebaren nichts von der Weichheit einer Trauernden. Für den Augenblick schien ihr Denken nur den neuen Kleidern zu gehören.

      Der Zuschneider winkte einem Mädchen. Es nahm der Dame die Überkleider ab und öffnete die Tür zu einer Bude. Die Baronesse trat noch nicht ein. In knapper, schwarzer Bluse, die schmalen Hüften eng von einem Tuchrock umspannt, beugte sie sich über Skizze und Kleider.

      Gutschmidt sah den langen, biegsamen Rücken unter dünnem Stoff geschmeidig den Bewegungen des Körpers folgen. Sie richtete sich auf. Schön war das Profil unter dunklem Haar, die klare Linie der feinen geraden Nase, die glatte Rundung des Kinns auf hoher Halssäule.

      „Also, kann ich anprobieren?“

      „Bitte.“

      Das Mädchen führte zur Bude. Die Frauen traten ein. Die Tür fiel ins Schloss. Gutschmidt sah oben das Licht der Lampe aufflammen. Dann klang durch die dünnen Holzwände das Rascheln von Seide auf Frauengliedern. Sonst hörte er das nicht. Merkwürdig warm schien es im Raum. Er stand noch wie vorher, als das Mädchen den Kopf aus der Budentür reckte.

      „Herr Lehmann! Wo ist der Zuschneider? Die Dame steht und wartet.“

      Frida

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