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weiter und drückte auf einen der Knöpfe an der Wand. Die Platte trug sein Zimmer hinauf oder hinab. Die grüne Rolle der Telephonleitung wurde, mitwandernd, dicker oder dünner, bis er wieder zur Linken des Schreibtisches ein Fenster sah und ein Klicken hörte. Es meldete, dass jetzt das Öffnen der Tür zu dem gesuchten Stockwerk möglich sei. Der Buchhalter, der den Chef sprechen wollte, trat ein. Dem Auskunft heischenden Verkäufer konnte der Herr ohne Zeitverlust bis hinter den Ladentisch folgen.

      Heute hing die Platte im Erdgeschoss. Ein kurzes Kopfnicken Gutschmidts dankte für Hemmerns Gruss. Georg diktierte weiter mit der Stimme, die klar, bestimmt, aber leise war und darum die besonnenen Überlegens schien. Jedem Satz folgte eine kurze Pause. Dann stiessen die Lippen schnell einen neuen, gleich knappen heraus. Er war so durchdacht und erwogen, dass er selten Änderung oder Verbesserung heischte.

      Hemmern war gern der stille und bewundernde Zuschauer Gutschmidtschen Wirkens. Als Mehrer seines Einkommens schätzte er den Jugendgespielen mit fast zärtlicher Neigung und betrachtete ihn mit dem liebevollen Schmunzeln der Bäuerin, die vor der fleissig Eier legenden Henne steht. Oft spürte er gar Furcht, die Gesundheit des Unermüdlichen könne versagen und der kraftvolle Körper des Gleichaltrigen unter der stets gemehrten Arbeitslast zusammenbrechen. Doch kein Fältchen furchte Gutschmidts straffe und gesund gerötete Haut vom dunkelblonden Stirnhaar bis zu den viereckigen Backenknochen. Durch frische, breite Lippen leuchteten seine Zähne blank und weiss wie um die graue Iris sein klares Auge. Keinen weissen Faden trug des Fünfundvierzigjährigen Schnurrbart, der unter der stumpfen Nase in zwei dicken Quasten schräg über die Backenknochen fiel. Obwohl der altmodische Schnurrbart gepflegt war, gab er der Erscheinung Gutschmidts etwas Urwüchsiges und nahm der in einen dunklen Morgenanzug von neuestem Schnitt und fehlerfreiem Sitz gekleideten Gestalt zu ihrem Vorteil den Firnis moderner Eleganz. Obenein hing das Barthaar nicht glatt und ausgezwirnt wie an den Köpfen von Männern alter Rasse, sondern kräuselte sich in den dicken Quasten wie der Wuchs um das Kinn von Menschen, die auf dem Lande, in der Wildnis, im Urwald, fern von Barbier und Schermesser wohnen. Gutschmidt war Bauernsohn.

      Der Drehstuhl wirbelte um seine Achse. Georg sah Hemmern scharf in die Augen und dehnte die vierschrötigen Glieder — nicht müde, sondern in Lust und Freude an Bewegung oder Betätigung. Er hob die Arme, als wolle er auch ihnen das Vergnügen sich zu rühren gönnen:

      „Eilt es, Hemmern?“

      „Ich möchte dich bitten, eine verständige Person in ein Auto zu setzen und meinen Kusinen zum Massnehmen zu schicken.“

      „Machst du den Stadtreisenden?“

      Das lachte er schon in das Schallrohr des Telephons, fragte nach Namen wie Adresse der Damen und rief Befehlsworts in den Apparat.

      Dann griffen die derben, aber weissen Hände wieder an die Lehne. Der Stuhl wirbelte herum. Gutschmidt kehrte dem Freund den Rücken. Er wusste, wie gern Hemmern das Sprudeln der Quelle seines mühelosen Erwerbens hörte. Wieder bei der Arbeit griff er zu Briefen und diktierte. Der Sekretär stenographierte und Ernst schmunzelte, weil Worte oder Ziffern von neuem Gewinn erzählten.

      Eine brave Beamtennatur war Freund Gutschmidt gewesen und sein Erfolg wahrhaftig nicht vorauszusagen. Der Vater, ein Bauer im Pyritzer Weizacker, wollte den Sohn zum „Doktor“ erziehen und schickte ihn nach Berlin aufs Gymnasium. In der Sexta sass Georg neben ihm, den die Hosenmätze unverträglich und Schnorchel Hemmern nannten. Vielleicht war er wirklich streitsüchtig, denn Georg Gutschmidt musste dem Bankgenossen eines Tages die Kraft der schon damals grossen Fäuste zu spüren geben.

      Merkwürdig, wie die Tracht Prügel die Freundschaft zweier Sextaner für Lebenszeit geregelt hatte. Er war erst widerwillig, aber, weil es der Mühe wert schien, endlich gern der gefügige Knappe des Stärkeren geworden. Georgs Faust hatte ihn vor dem Zorn der Kameraden und Georgs Fleiss vor dem Tadel der Lehrer geschützt. Gutschmidt arbeitete schon als Knabe für zwei. Er lebte in der Familie eines Oberlehrers, aber durchstreifte oft mit dem Gefährten die Strassen von Berlin. Stundenlang starrte der Bauernsohn in Schaufenster, hinter denen Damentoiletten standen, und der Knabe schon sparte Taschengeld, um „auch einmal so etwas anzufangen“. Der Tertianer schrieb dem Vater, das Doktorn sei eine brotlose Kunst. Der junge Mann mit dem Einjährigenzeugnis bat den Schulkameraden um einen Lehrlingsposten in der Hemmernschen Tuchhandlung. Ernst Hemmern Senior fand Gefallen an dem helläugigen, rührigen Bauernjungen und liess ihn die grosse stumpfe Nase in alle Winkel des Hauses stecken. Georg schaute nicht nur, sondern lernte auch, aber trat nach sechs Monaten in den Dienst eines Frauenschneiders. Als Einjähriger glaubte er das Handwerk genugsam zu kennen und stand in freien Stunden vor den Fenstern von Hut- und Wäscheläden. Durch die Scheibe eines solchen machte er die Bekanntschaft einer hübschen Putzmacherin, die sich auf ihre Arbeit verstand. Als er den bunten Rock auszog, war Hemmern Senior tot und der Schulgefährte grossjährig. Er verkaufte das Geschäft, und Georg Gutschmidt fragte:

      „Warum?“

      „Mein Kapital soll höhere Zinsen bringen!“

      „Gib es mir! Ich zahle mehr als andere!“

      Er wollte lachen, aber Georgs Miene und Sprache waren wieder die des Meisters, der einem gefügigen Knappen zu seinem Vorteil gebot. Zudem hatte der Vater dem Freund eine geschäftliche Zukunft prophezeit. Also gab er Georg zunächst ein Weniges und nach dem schnellen Erfolg die Gesamtsumme des Kapitals. Gutschmidt heiratete die Putzmacherin und öffnete an der Ecke der Leipziger Strasse einen Laden, über dem schon damals zu lesen stand: Georg Gutschmidt — Frauenschneider.

      Als der Freund zehn Jahre später, auch in der Leipziger Strasse, aber näher dem Potsdamer Bahnhof, das grosse Warenhaus baute, hätte er das Darlehn zurückzahlen können. Ein unverständlich Dankbarer, nahm er indessen des Schulkameraden Geld mit in das Riesenunternehmen und liess ihn auf die Höhen grösseren Wohlstandes folgen. Die Gipfel schienen noch nicht erstiegen. War doch Gutschmidts Glück so gross wie sein Wagemut, seine Arbeitskraft und die Sicherheit seines Urteils. Wo seine Hand hingriff, hob sie Gold auf. Als er durch tägliche Anzeigen in den Blättern der Provinzialhauptstädte einst auch im Reich um Kundschaft für das von den Berlinerinnen bestürmte Warenhaus warb, erwarteten Konkurrenten seinen Ruin. Nach Jahresfrist musste er zwei Nachbarhäuser kaufen, um die durch Briefe, Karten oder Telegramme geforderten Waren verpacken zu können. Vor einem halben Jahrzehnt erklärte den Bankrott ein Verleger und Herausgeber einer Modezeitschrift, die Gutschmidt durch Anzeigen, Bilder und Artikel viel Kundinnen gewonnen hatte. Er kaufte das Verlagshaus, schien für drei Monate auf den Schienen zwischen Leipzig und Berlin zu leben, begriff, dass auch Bücher Ware sind, und vertrieb sie mit gleicher Energie wie die Erzeugnisse seines Handwerks. Heute war auch der Gutschmidtsche Verlag, „der Seitensprung“, ein Millionenhaus. Eine Weberei und eine Spinnerei hatte er bei Adlersfelde gebaut, um seiner eigenen Tasche den Verdienst an der Herstellung von Rohmaterial zu sichern. Beide Fabriken waren im Betrieb, als der glühende Sommer des Vorjahres 1914 Schicksal zu brüten schien. Gutschmidt, dessen Auge Licht in den dunkelsten Kammern der deutschen Wirtschaft sah, ahnte, dass die Heeresverwaltung unmöglich die freiwillig unter die Fahne tretenden Hunderttausende bekleiden könne.

      Am 3. August liess er sich beim Chef der Bekleidungsabteilung des Kriegsministeriums melden und trat ins Zimmer mit den Worten:

      „Herr Oberstleutnant, ich kann täglich fünfundzwanzigtausend graue Röcke und Hosen liefern!“

      Noch abends schickte er Befehle zur Umschaltung der Fabriken für Heereslieferung nach Adlersfelde.

      Hier im obersten Stockwerk sassen wohl noch immer Schneider, die das dort gewobene graue Tuch zu Uniformen verarbeiteten. Dann hatte er mit einem der in ihm plötzlich reifenden Entschlüsse das aus den Kassen der Heeresverwaltung in seine Schränke sprudelnde Geld zum Bau einer Salpeterfabrik verwendet. Seines Erfolges schon gewiss, als andere den Gedanken, Salpeter und Reichtum aus der Luft zu holen, noch verlachten, sah er heute die ersten Tropfen eines neuen Millionenregens fallen. Mit ähnlich kühnem Griff legte er seit Jahren durch Kauf von Anteilscheinen Bresche in die Mauern um alle Betriebe, die ihm Fabrikate lieferten. Neben dem neuen Haus am Zoologischen Garten leitete er das alte in der Leipziger Strasse und spielte mit dem Gedanken, sich zum Herrn einer Grossbank zu machen. Trotzdem galt er nicht als Spekulant. Das Vertrauen der Geschäftswelt in seine Unternehmungen

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