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      „Ihr habt natürlich noch nicht an die nötigen Besorgungen gedacht. Darf ich eine Schneiderin schicken?“

      Frida erschrak. An Trauerkleider hatte sie in der Tat noch nicht gedacht. Fast bestürzt schlug sie die Augen zu ihm auf. Er hatte sich unbeobachtet gewähnt. Darum sah sie den ihr wohlbekannten Blick der schwarzen Augen an ihren Gliedern haften, dort wo zwischen Hüfte und Knie das knappe Kleid die Figur eng wie ein Handschuh die Faust umspannte. Der Schnorchel zuckte wieder. Wie ein Schlag fühlte sie den hässlichen Blick, auf den eine Ohrfeige gebührende Antwort gewesen wäre. Schnell aufstehend fühlte sie ein Frösteln. So, dass der Vetter es sehen sollte, schüttelte sie das Kleid um die Hüften lose, schritt um den Tisch herum und setzte sich in einen Sessel hinter dem Schutz der Decke.

      Ernst wusste, was gutzumachen war:

      „Habt ihr wegen der Beerdigung ...“

      Frida war der Antwort enthoben. Die Kunze trat ein. Ihre Augen suchten den Teppich, und ihre leise Stimme zitterte:

      „Die Männer mit dem Sarg sind da.“

      Als sie das hörte und vor sich den Vetter sah, ward Frida klar, was es heisse, ohne Schutz eines männlichen Verwandten zu leben. Mit einem Aufschluchzen, das fast Schreien war, warf sie sich herum und den Kopf auf die Schulter der Mutter.

      2.

      Vor dem Trauerhause in eine Droschke steigend, sagte Hemmern dem Kutscher: „Zu Gutschmidt.“ Der magere Schimmel, D. U. wie er, sah kaum aus, als werde er die Fahrt überdauern. Halb 10 schmunzelte das runde dicke Uhrgesicht am Anhalter Bahnhof ins blinkende Licht der Januarsonne, und Hemmern lachte mit.

      Der Tag war kalt, aber hell wie das Leben jetzt vor ihm lag. Auf harter Schneekruste rollte der Wagen durch die Bellevuestrasse und am Saum des Tiergartens entlang. Zur Rechten glitzerten schneebeladene Bäume, zur Linken blanke Fensterscheiben, hinter denen das Auge Behagen und Wärme ahnte. Nichts gab es dort, das sich der Herr auf Herkelsbrühl zu versagen hätte. Mehr als die hier Wohnenden wollte er sich gönnen — Frida!

      Umsonst war sie freilich nicht zu haben. Eine Frau ihrer Art würde jährlich ein kleines Vermögen kosten. Er wollte es drangeben. Also irrten wohl die Menschen, die ihn geizig nannten. Konnte er nicht verschwenden, um seine grosse Leidenschaft, den Hunger nach Frauen, zu sättigen? Natürlich hatte er stets den wahren Wert einer Begehrten erwogen, aber willig und flink gezahlt, wenn des Preises Höhe seiner Schätzung entsprach. So wie Frida hatte er sich noch keine gewünscht. Sie war ihres Preises wert, aber konnte den Handel auch nicht ausschlagen. Die Spröde schien jetzt schon sein. Er dachte ihrer nicht mehr mit dem entnervenden Verlangen unstillbaren Sehnens, das ihm nach früheren Begegnungen wohl die Nachtruhe störte. Als verarmtes Mädchen musste die Verwöhnte nach seiner Hand haschen. Sie war sein!

      Die Sonne schien wärmer durch die kahlen Räume zu strahlen. Er öffnete den Pelz, lehnte sich behaglich gegen das Rückenpolster und rief zum Kutscher:

      „Langsam! Schonen Sie den D. U.! Vielleicht müssen wir auch noch ’ran.“

      Die Stunde sollte ausgekostet werden. Wundervoll eng hatte das silbergraue Kleid Fridas ranke Glieder umspannt, als sie auf dem Sofa sass. Wie sie dann vom Sitz aufgeschnellt war! Nein, es gab keine Schönere als sie. Baron, du musst blechen! Es war hübsch, sich Baron ansprechen zu dürfen.

      Schon von der Gedächtniskirche sah er an der Nordwestecke der Kreuzung von Joachimsthaler und Hardenberg-Strasse den neuen hellen Riesenbau des Jugendfreundes. Unter dem flachen Dach eines Sandsteinquadrats, dessen Nordmauer den Kurfürstendamm streifte, stand in goldenen Buchstaben:

      Georg Gutschmidt

      Frauenschneider.

      Vor dem Portal aussteigend, wartete Hemmern zwischen den hohen Kandelabern — zwei riesigen Fackelträgern zur Rechten und Linken der breiten Drehtür des Haupteingangs.

      Es tat gut zu sehen, wie die lieben Dingerchen in Scharen herbeiliefen, um auch ihn, den bescheidenen Gesellschafter des grossen Freundes, zu bereichern. In jeder zweiten Minute spie einer der Untergrundbahntunnel einen Frauenschwarm aus. Ohne Unterlass schluckten beide Hohlwege einen dünneren Strom von Frauen, die schon gerupft aus dem neuen Paradies ihres Geschlechts kamen. Langsam und müde, oft fast erschöpft, aber doch noch erregt vom Schauen, Prüfen und Wählen, stiegen sie die Treppen hinab. Ihre Wangen waren gerötet und oft die Haare gelockert. In den Augen funkelte Verlangen nach Mehr von den begehrten oder gekauften Herrlichkeiten. Zögernd blickten sie zurück, nahmen trödelnd von Freundinnen Abschied und ballten sich zu Inseln im Lauf des Gegenstroms, den die Bäche aus den beiden Tunnelzugängen speisten. Da, wo sie zusammenflossen, stürzte von der Treppe des Stadtbahngleises der Wasserfall einer neuen Frauenwoge hinein. Geärgert durch jedes Hindernis im Pfad, bahnten Käuferinnen der nächsten Stunden mit noch unverbrauchter Ellbogenkraft ihren Weg durch die Schafe, die schon von der Schur kamen. Aus den Hüften vorliegend und den Kopf gehoben, die Geldtaschen zahlbereit und die Augen auf die lockenden Scheiben des Hauses Gutschmidt gerichtet, rückten sie an, Schulter an Schulter und Busen an Rücken in schwingendem Kolonnenschritt.

      Die Elite der Kundinnen war nicht zu sehen. Sie kam über den Kurfürstendamm zu Fuss, im Wagen oder hinter dem Motor aus Charlottenburg und Wilmersdorf, den Wohn- und Schlafkammern von Berlin.

      Freund Gutschmidt hatte an den Stationen des Zoologischen Gartens ohne Zweifel den günstigsten Fleck für seinen Überfall auf die Berlinerin gefunden. Mühe, Nachdenken und Arbeit hatte darum schon die Wahl der Örtlichkeit gekostet. Während Georg den Bau plante, sassen Späher für Monate hinter den Restaurantfenstern aller Schlagadern des hauptstädtischen Verkehrs und zählten die vorübergehenden Frauen. Wo sie die höchsten Ziffern meldeten, liess Gutschmidt die wandernde Menge zu allen Tageszeiten photographieren und die Bilder dann unter die Lupe nehmen, um festzustellen, auf welchem Fleck von Berlin während vierundzwanzig Stunden die grösste Zahl gutgekleideter, also kaufkräftiger Frauen, über den Asphalt schritt. Hier war der Ort. Hier standen darum seit dem 1. Oktober des neuen Hauses Türen zwischen Morgen und Abend nie still. Die Art, wie der Freund die Örtlichkeit gewählt hatte, zeugte von seiner Umsicht und Gründlichkeit, wie von seiner Kühnheit und Entschlossenheit die Tatsache, dass der Krieg ihn nicht hinderte, das Geschäft zu öffnen.

      Von Frauenwogen getragen und geschoben trat Hemmern ins Portal, um Gutschmidt um eine Schneiderin oder einen Schneider für die Kusinen zu bitten. Als Gesellschafter des Hausherrn verdiente er an den bestellten Kleidern

      Nur langsam kam er durch das Gedränge im Erdgeschoss. Das Sandsteinviereck des Hauses stand um einen Licht- und Packhof. Darum fiel Tageslicht von zwei Seiten auch ins unterste Stockwerk. Den zwischen kleinen Blumenbeeten, Pflanzenkübeln, Palmengruppen und Springbrunnen trödelnden Besucherinnen nahm kein Schatten etwas von dem Bild der bekleideten Wachsmodelle, die einzeln, zu zweien, dreien oder in Gruppen in dem weiten Garten standen. Oben zwitscherten Vögel. Unten schienen die Puppen zwischen den Beeten wandernde Kundinnen, und neben sie traten als lebende Modelle oft Probiermädchen. Längs der Hintermauer am Kurfürstendamm trat Hemmern in die Allee von zwei Reihen hochstämmiger Kübelpalmen. Unter den Bäumen trugen Stühle Schau- und Kauflustige. An den Sitzenden vorbei schritten die Palmenstrasse entlang von früh bis spät Mädchen im Gesellschafts- oder Strassenkostüm, im Tennis- oder Reisekleid, im Morgenrock, Strandanzug oder Frisiermantel, in jeder Art Gewand, das Frauen tragen konnten. Die Probiermädchen waren von grosser und guter Figur. Darum besuchte er gern die Palmenallee, deren Aufsehern er als Freund, obwohl nicht Gesellschafter ihres Brotherrn bekannt war. Doch in Erwartung edlerer Beute blickte er heute auf dem Weg zur Nordwestecke des Baues achtlos über die grossen Mädchen hinweg. In einem Schacht, der vom Keller zum Boden das Gebäude durchschnitt, hatte Gutschmidt dort am Kurfürstendamm seine eigenartige Geschäftsstube. Eigentlich war sie ein Fahrstuhl, denn das Zimmer stand auf einer Metallplatte, die der Druck auf einen Knopf an der Innenwand von einem Stockwerk zum anderen hob oder senkte. Auch das schien eine Idee, auf die nur Gutschmidt kommen konnte. Der unermüdliche grosse Arbeiter mit Stiernacken und Bulldoggenkinn geizte mit Sekunden, obwohl er das Tagewerk dreier Menschen versah. Wenn er diktierend, telephonierend, telegraphierend und stets dekretierend am Schreibtisch sass, kamen ohne Unterlass Fragen oder Bitten

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