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Der Terminus TextsorteTextsorte stammt aus der germanistischen Linguistik und wurde zunächst zur Erstellung von TexttypologienTexttypologie eingesetzt, die Texte top-downtop-down-Klassifikation nach einem zuvor festgelegten Merkmal klassifizieren. In der weiteren Entwicklung wurde der Terminus auch für Analysen verwendet, die Texte nach in ihnen enthaltenen Merkmalsbündeln klassifizieren und somit korpusbasiertkorpusbasierte Klassifikation vorgehen (cf. Adamzik 2001: 16f.). Bei weiter abstrahierenden Verfahren der Klassifikation wird häufig von Texttyp gesprochen. Während TextsorteTextsorte eher empirisch vorliegende TextmusterTextmuster beschreibt, ist Texttyp eine „theoriebezogene Kategorie zur wissenschaftlichen Klassifikation von Texten“ (Aschenberg 2003: 4). Für die vorliegende Arbeit erscheint das Konzept „Diskurstradition“ am geeignetsten. Im Gegensatz zu den Konzepten „Gattung“ oder „Genre“ werden auch nicht-literarische Gebrauchstexte berücksichtigt. Zudem erfassen die Konzepte „Textsorte“ und „Texttyp“ die einzelnen Texte und die daran ersichtlichen Konventionen eher unter dem Gesichtspunkt eines sprachlichen Produkts, während „Diskurstraditionen einen Wissensbestand unter dem Gesichtspunkt der dynamis fokussieren“ (Schrott 2015: 118), was bedeutet, dass die Dynamik von Konventionen im Vordergrund steht. Durch das Konzept „Diskurstradition“ werden zudem diskurstraditionelle Merkmale eines unterschiedlichen Komplexitätsgrads erfassbar (cf. Koch 1997: 45), die von FormelnFormel über TexttraditionenTexttradition bis hin zu DiskursuniversenDiskursuniversum reichen und somit auch für die korpusbasierte Textanalyse verwendet werden können. Bei der Analyse einzelner Textexemplare ist eine erhebliche Varianz zu erwarten, da Diskurstraditionen häufig komposit sind und mehrere Muster mischenDiskursmustermischung (cf. Oesterreicher 1997: 31). Die Varianz zwischen den einzelnen Textexemplaren ist wiederum Ausgangspunkt für den Wandeldiskurstraditioneller Wandel von Diskurstraditionen, der anhand von Serien historischer Textexemplare nachvollzogen werden kann (cf. Aschenberg 2003: 8; Große 2017: 45; Kabatek 2015: 62; Oesterreicher 1997: 32). Diskurstraditionelle Merkmale können somit aus einzelnen Textexemplaren abstrahiert werden, wobei sich die RegelnDiskursregel, nach denen die Muster gebildet werden, nach kommunikativen BedingungenKommunikationsbedingungen und gesellschaftlich-kulturellen Normenkulturelle Norm richten:

      Abbildung 1:

      Modell einer Diskurstradition (eigene Darstellung)

      Auf der Ebene der Einzeltexte werden Diskurstraditionen an rekurrenten MerkmalenRekurrenz sichtbar. Wie der Terminus nahelegt, geht es darum, Konventionen von Diskursen zu erfassen. Von Diskursen wird gesprochen, weil hier die diskursiv-kulturelle Geformtheit der Sprachprodukte im Vordergrund steht und keine einzelsprachliche Perspektive auf Texte eingenommen wird, welche häufig Texte als komplexeste Ebene einer Einzelsprache ansieht.1 Es werden sprachübergreifende Gemeinsamkeiten von Diskursen herausgearbeitet. Diese Konventionen müssen sich zudem nicht unbedingt auf die MusterDiskursmuster ganzer Texte beziehen. Diskurstraditionen können von verschiedener Komplexität sein. Sie reichen von FormelnFormel, über Text- oder DiskursgattungenGattung bis hin zu DiskursuniversenDiskursuniversum (cf. Koch 1997: 45). FormelnFormel werden häufig zu Beginn oder am Ende eines Textes verwendet und verweisen auf ganze Text- und DiskursgattungenGattung wie die Formel Es war einmal auf ein Märchen, Gehet hin in Frieden auf eine Predigt oder Im Namen des Volkes auf ein Gerichtsurteil. Text- und Diskursgattungen sind durch ein ganzes Bündel rekurrenter MerkmaleRekurrenz gekennzeichnet. Beispielsweise wird in einem Kochrezept der Name des Gerichts in der Überschrift genannt, woraufhin eine Zutatenliste mit Mengenangaben folgt. In einem Fließtext werden häufig mithilfe von Infinitiven Instruktionen zur Zubereitung eines Gerichts angegeben, die von Zeitangaben begleitet sind. Einen noch höheren Komplexitätsgrad als Text-/Diskurstraditionen weisen DiskursuniversenDiskursuniversum auf, in denen Text- und Diskursgattungen gruppiert werden können. CoseriuCoseriu, Eugenio unterscheidet die DiskursuniversenDiskursuniversum Alltag, Fiktion, Religion und Wissenschaft (cf. Schlieben-Lange 1983: 140; Kabatek 2015: 63), wobei das Verhältnis des sprechenden Subjekts zu den beschriebenen Objekten als Einteilungskriterium dient:

      Im Gegensatz zu feinmaschigeren Einteilungen, die etwa Bereiche wie die Jurisprudenz, die Mathematik oder die Philosophie als eigenständige Diskurs- oder Redeuniversen bezeichnen, bezieht sich diese Einteilung auf die grundlegenden semiotischen Verhältnisse, die jedem Sprechen zugrunde liegen, wobei sie das Verhältnis von Subjekt und Objekt als fundamentales Einteilungskriterium heranziehen: Im Universum des Alltags spricht das Subjekt aus subjektiver Perspektive über die Objekte; im Universum der Fiktion spricht das Subjekt über Objekte, die als nicht existent angenommen werden und einer ‚geschaffenen‘ Welt der Phantasie entsprechen; im Universum der Religion (oder des Glaubens) wird über eine ‚andere Welt‘ gesprochen, die nicht überprüfbar ist und dennoch als existent vorausgesetzt wird; und schließlich, im Universum der Wissenschaft, werden die Objekte als Objekte in ‚objektiver‘ Sicht beschrieben (Kabatek 2011: 95f.).

      Anhand konkreter Einzeltexte können abstrakte DiskurstraditionenDiskurstradition in allen drei Komplexitätsgraden analysiert werden. Was auf der Textoberfläche als Muster erscheint, wird durch DiskursregelnDiskursregel erzeugt (cf. Lebsanft/Schrott 2015: 40):

      Diskurstraditionen oder diskurstraditionelle Kennzeichen sollen hier vorläufig bestimmt werden als normative, die Diskursproduktion und Diskursrezeption steuernde, konventionalisierte Muster der sprachlichen Sinnvermittlung (Oesterreicher 1997: 20).

      Die DiskursregelnDiskursregel geben „Anleitungen zum Sprechen in konkreten Situationen“ (Schrott/Völker 2005: 12), sie sind „bereits auf Typen von Situationen bezogen“ (Koch 1987: 34). Sie treten zu den Regeln der historischen Einzelsprachenhistorische Einzelsprache hinzu (cf. Koch 1987: 34). Im Gegensatz zu den SprachregelnSprachregel ist ihr Bewertungsmaßstab nicht die Korrektheit der sprachlichen Formen, sondern die Angemessenheit in der jeweiligen Situation (cf. Coseriu 1994: 58). Diskursregeln bestimmen sowohl das sprachliche als auch das nichtsprachliche Material und determinieren beispielsweise die spezifische Anordnung des Stoffes (dispositio), die Rhythmisierung des Sprachmaterials oder die Bezüge zwischen sprachlichen und anderen semiotischen Codes (cf. Koch 1997: 47; Kabatek 2015: 63). Zudem bewirken die Diskursregeln eine „nicht-deterministische Realisierung der Diskursmuster“ (Oesterreicher 1997: 30), was bedeutet, dass einzelne Texte auch mit Diskursregeln brechen können, wodurch der kommunikative Erfolg nicht unbedingt beeinträchtigt wird und in einigen Fällen sogar besondere Stileffekte erzeugt werden können. Ebenso sind diese Freiheitsgrade bei der Weiterentwicklung von DiskurstraditionenDiskurstradition entscheidend:

      Jede konkrete Realisierung eines Einzeldiskurses ist theoretisch immer schon der Ort der Möglichkeit der Fortbildung von Diskursregeln (Oesterreicher 1997: 31).

      Das Potential eines einzelnen Textes, DiskursregelnDiskursregel weiterzuentwickeln, wird im Schema mit kleinen Pfeilen symbolisiert, die zeigen, dass die Tendenzen pro Einzeltext in unterschiedliche Richtungen gehen können. Erst die Analyse wiederkehrender Veränderungen in einem Textkorpus kann Aufschluss über die Entwicklung einer Diskurstradition geben.

      Dadurch, dass Diskurstraditionen bereits auf konkrete Kommunikationssituationen ausgerichtet sind, stehen sie in enger Verbindung zu den universellen Parametern der Kommunikation, die jeden erdenklichen Kommunikationsakt charakterisieren:

      Was Diskurstraditionen angeht, ist damit aber nun behauptet, daß diese in einem präzisen Sinne selbst schon kommunikativ-konzeptionell determiniert sind, daß sie also selber je schon konzeptionelle Zusammenhänge spiegeln, die sich aus unterschiedlichen Konstellationen der skizzierten Kommunikationsbedingungen und Verbalisierungsstrategien ergeben, daß sie sich mithin in einem ganz fundamentalen Sinne auf das Nähe-Distanz-Kontinuum beziehen lassen. Dies bedeutet, daß kommunikativ-konzeptionelle Kriterien immer schon in die Definition von Diskurstraditionen einfließen, den Diskurstraditionen gewissermaßen eine konzeptionelle Grundstruktur einzeichnen (Oesterreicher 1997: 24).

      In ihrem Modell setzen Koch/Oesterreicher insgesamt zehn Parameter2 an. Die Mischung der jeweiligen Parameterwerte ergibt das konzeptionelle Profil3 einer Diskurstradition. Die Parameter und ihre Werte charakterisieren „das kommunikative Handeln der Gesprächspartner im Verhältnis zueinander und im Blick auf die sozialen, situativen und kontextuellen Gegebenheiten“ (Koch/Oesterreicher

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