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Ver­kauf ih­res Hau­ses be­hilf­lich zu sein, und woll­ten et­was andres in ih­rer Nähe aus­fin­dig ma­chen.

      Als Fräu­lein Sour­ce in ihr Heim zu­rück­kehr­te, war ihr der Kopf so wirr, dass sie beim ge­rings­ten Geräusch zu­sam­men­fuhr und ihre Hän­de bei der kleins­ten Be­we­gung zu zit­tern be­gan­nen.

      Sie ging dann noch zwei­mal zu ih­ren Ver­wand­ten, um sich mit ih­nen zu be­spre­chen, und war jetzt ganz ent­schlos­sen, nicht mehr so al­lein in ih­rer Woh­nung zu blei­ben.

      End­lich fand sie in der Vor­stadt ein klei­nes Gar­ten­haus, das ihr zu­sag­te, und das sie ins­ge­heim kauf­te.

      Der Kon­trakt wur­de an ei­nem Diens­tag Mor­gen un­ter­zeich­net, und Fräu­lein Sour­ce ver­brach­te den Rest des Ta­ges mit Vor­be­rei­tun­gen für den Um­zug.

      Um acht Uhr abends stieg sie wie­der in den Post­wa­gen, der tau­send Schritt vor ih­rem Hau­se vor­bei­ging, und ließ an dem Punk­te hal­ten, wo der Kut­scher sie ge­wöhn­lich ab­zu­set­zen pfleg­te. Als sie aus­stieg, rief der Mann ihr zu, in­dem er auf sei­ne Pfer­de ein­hieb:

      – Gu­ten Abend, Fräu­lein Sour­ce, gute Nacht!

      – Gute Nacht, Schwa­ger Jo­seph, ant­wor­te­te sie im Ge­hen.

      Am an­de­ren Mor­gen um halb acht Uhr, als der Brief­trä­ger sei­ne Brie­fe nach dem Dor­fe trug, be­merk­te er auf dem Qu­er­weg nicht weit von der Stra­ße eine große, noch fri­sche Blut­la­che. »Halt!« sag­te er sich, »hier hat ei­nem die Nase ge­blu­tet.« Zehn Schritt wei­ter be­merk­te er in­des­sen ein – gleich­falls blu­ti­ges – Ta­schen­tuch und hob es auf. Es war von fei­nem Lei­nen. Als der Fuß­gän­ger sich dem Gra­ben nä­her­te, glaub­te er einen selt­sa­men Ge­gen­stand zu se­hen.

      Fräu­lein Sour­ce lag auf der Gra­ben­soh­le mit durch­ge­schnit­te­ner Keh­le im Gras.

      Eine Stun­de spä­ter stan­den die Gen­darmen, der Un­ter­su­chungs­rich­ter und vie­le Be­am­te um die Lei­che her­um und stell­ten Ver­mu­tun­gen an.

      Die bei­den Ver­wand­ten wur­den als Zeu­gen vor­ge­for­dert und er­zähl­ten die Be­fürch­tun­gen und letz­ten Plä­ne der al­ten Jung­fer.

      Der Pfle­ge­sohn wur­de fest­ge­nom­men. Seit dem Tode sei­ner Ad­op­tiv-Mut­ter wein­te er vom Mor­gen bis in die Nacht und war – we­nigs­tens schein­bar – auf das tiefs­te be­küm­mert.

      Er führ­te den Be­weis, dass er den Abend bis elf Uhr in ei­nem Café ge­we­sen war. Zehn Per­so­nen hat­ten ihn ge­se­hen und wa­ren bis zu sei­nem Auf­bruch ge­blie­ben.

      Nun aber er­klär­te der Post­kut­scher, er habe die Er­mor­de­te zwi­schen halb zehn und zehn Uhr auf der Stra­ße ab­ge­setzt. Das Ver­bre­chen konn­te nur auf dem Wege von der Stra­ße bis zum Hau­se und spä­tes­tens um zehn Uhr ver­übt wor­den sein.

      Da­rauf hin wur­de er frei­ge­las­sen.

      Ein Te­sta­ment von äl­te­rem Da­tum, das bei ei­nem No­tar in Ren­nes de­po­niert war, mach­te ihn zum Uni­ver­saler­ben, und er trat die Erb­schaft an.

      Die Leu­te der Ge­gend äch­te­ten ihn lan­ge Zeit, da sie ihn für ver­däch­tig hiel­ten. Sein Haus, das der To­ten, galt für ver­fehmt. Auf der Stra­ße wich man ihm aus.

      Aber er of­fen­bar­te sich als so gut­mü­tig, of­fen­her­zig und ver­trau­lich, dass man ganz all­mäh­lich den schreck­li­chen Zwei­fel fal­len ließ. Er war frei­ge­big und zu­vor­kom­mend, er un­ter­hielt sich selbst mit dem Nied­rigs­ten, er sprach von al­lem und so lan­ge man woll­te.

      Der No­tar, Herr Ra­meau, war ei­ner der ers­ten, der wie­der für ihn ein­trat; sei­ne lä­cheln­de Red­se­lig­keit be­stach ihn. Ei­nes Abends, auf ei­nem Abendes­sen beim Steuer­ein­neh­mer, er­klär­te er:

      – Ein Mensch, der so un­ge­zwun­gen spricht und stets gu­ter Lau­ne ist, kann ein sol­ches Ver­bre­chen nicht auf dem Ge­wis­sen ha­ben.

      Den An­we­sen­den hat­te die­ses Ar­gu­ment Ein­druck ge­macht, sie dach­ten nach und ent­san­nen sich in der Tat ih­rer lan­gen Un­ter­hal­tun­gen mit die­sem Men­schen, der sie fast wi­der Wil­len in der Plau­de­r­e­cke fest­hielt, um ih­nen sei­nen Ge­dan­ken mit­zu­tei­len, der sie zwang, bei ihm ein­zu­keh­ren, wenn sie an sei­nem Gar­ten vor­über­gin­gen, dem die schö­nen Re­dens­ar­ten leich­ter flos­sen, als selbst dem Gen­dar­me­rie-Leut­nant, und des­sen Lus­tig­keit so an­ste­ckend war, dass man trotz des Wi­der­wil­lens, den er ein­flö­ßte, in sei­ner Ge­sell­schaft im­mer herz­lich la­chen muss­te.

      Seit­dem öff­ne­ten sich ihm alle Tü­ren.

      Jetzt ist er der Bür­ger­meis­ter des Städt­chens.

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Bel Ami Teil 1

      I.

      Die Kas­sie­re­rin gab auf sein 5-Fran­cs-Stück das Geld her­aus und Ge­or­ges Du­roy ver­ließ das Lo­kal. Statt­lich ge­wach­sen, rich­te­te er sich auf mit der Hal­tung ei­nes ehe­ma­li­gen Un­ter­of­fi­ziers und dreh­te schnei­dig-mi­li­tä­risch sei­nen Schnurr­bart zwi­schen den Fin­gern. Er warf auf die üb­rig­ge­blie­be­nen Gäs­te einen schnel­len, flüch­ti­gen Blick; einen je­ner Bli­cke des schö­nen Bur­schen, die un­fehl­bar tref­fen, wie der Raub­vo­gel sei­ne Beu­te.

      Die Frau­en blick­ten ihm neu­gie­rig nach: es wa­ren drei klei­ne Nähmäd­chen, eine Mu­sik­leh­re­rin un­be­stimm­ten Al­ters, schlecht ge­kämmt, nach­läs­sig ge­klei­det mit ei­nem al­ten, ver­staub­ten Hut und ei­nem Kleid, das nie­mals sit­zen woll­te. Dazu zwei bür­ger­li­che Frau­en mit ih­ren Män­nern, Stamm­gäs­te des klei­nen Lo­kals mit »fes­ten Prei­sen«.

      Auf der Stra­ße blieb er einen Au­gen­blick ste­hen und über­leg­te, was er un­ter­neh­men soll­te. Es war der 28. Juni — in der Ta­sche blie­ben ihm 3 Fran­cs 40 Cen­ti­mes für den Rest des Mo­nats üb­rig. Da­für konn­te er sich zwei Mit­ta­ges­sen leis­ten, dann al­ler­dings kein Früh­stück, oder um­ge­kehrt. Er über­leg­te sich, dass ein Früh­stück nur 22 Sous, ein Mit­ta­ges­sen da­ge­gen 30 kos­te­te. Begnüg­te er sich bloß mit dem Früh­stück, so wür­den ihm 1 Fran­cs 20 Cen­ti­mes ver­blei­ben, das be­deu­te­te zwei­mal Würst­chen mit Brot und zwei Glas Bier auf dem Bou­le­vard. Dies war sein kost­spie­li­ges Ver­gnü­gen, das er sich abends gönn­te.

      Da­rauf­hin ging er die Rue Notre-Dame de Lo­ret­te hin­un­ter.

      So schritt er da­hin, wie zur­zeit, als er die Husa­ren­uni­form trug, in stram­mer Hal­tung mit et­was ge­spreiz­ten Bei­nen, wie ein Rei­ter, der eben vom Pfer­de ge­stie­gen ist. Ohne auf je­mand Rück­sicht zu neh­men, ging er sei­nen Weg durch die Stra­ßen­men­ge. Er stieß die Passan­ten und woll­te nie­man­dem aus­wei­chen. Sei­nen al­ten Zy­lin­der­hut rück­te er et­was auf das eine Ohr, und laut klan­gen sei­ne Schrit­te auf dem Pflas­ter. Verächt­lich und her­aus­for­dernd be­trach­te­te er die Men­schen, die Häu­ser, die gan­ze Stadt: er — der schi­cke, schnei­di­ge Sol­dat, der zu­fäl­lig Zi­vi­list war.

      Sein fer­tig­ge­kauf­ter An­zug kos­te­te nur 60 Fran­cs, trotz­dem trug er eine ge­wis­se be­tont knal­li­ge Ele­ganz zur Schau; et­was or­di­när, da­für echt und ein­drucks­voll. Groß und schön ge­wach­sen, hat­te er dun­kel­blon­des, röt­li­ches, von Na­tur krau­ses

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