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      Du­roy war über­rascht und sah ihn er­staunt an. Fo­res­tier hat­te sich sehr ver­än­dert, er war rei­fer ge­wor­den. Sein Ge­ba­ren, sei­ne Hal­tung zeig­ten den ge­setz­ten, selbst­si­che­ren Mann und sein Bäuch­lein wuss­te von gu­ten Di­ners zu er­zäh­len. Frü­her war er ma­ger, klein und schlank, ein aus­ge­las­se­ner Le­be­mann und streit­süch­ti­ger Ra­dau­ma­cher, stets an­ge­hei­tert. Die drei Jah­re in Pa­ris hat­ten aus ihm einen ganz an­de­ren, einen be­lieb­ten und ernst­haf­ten Men­schen ge­macht, der schon ei­ni­ge wei­ße Haa­re an den Schlä­fen hat­te, ob­gleich er nicht mehr als sie­ben­und­zwan­zig Jah­re zähl­te.

      Fo­res­tier frag­te: »Wo gehst, du hin?«

      Du­roy ant­wor­te­te: »Nir­gends. Ich ma­che einen Spa­zier­gang, be­vor ich nach Hau­se gehe.«

      »Weißt du was, willst du mich viel­leicht nach der Vie Françai­se be­glei­ten? Ich habe noch ein paar Kor­rek­tu­ren zu er­le­di­gen. Dann wol­len wir zu­sam­men ein Glas Bier trin­ken?«

      »Sehr gern.«

      Und Arm in Arm gin­gen sie wei­ter mit der leich­ten Ver­trau­lich­keit, die zwi­schen Schul­ka­me­ra­den und Waf­fen­ge­fähr­ten herrscht.

      »Was machst du in Pa­ris?« frag­te Fo­res­tier.

      Du­roy zuck­te die Ach­seln: »Kurz ge­sagt, ich kre­pie­re vor Hun­ger. Als mei­ne Dienst­zeit vor­bei war, woll­te ich hier­her kom­men, um … um mein Glück zu ma­chen, oder viel­mehr, um in Pa­ris le­ben zu kön­nen. Seit sechs Mo­na­ten bin ich bei der Ver­wal­tung der Nord­bahn an­ge­stellt. Ich ver­die­ne fünf­zehn­hun­dert Fran­cs im Jahr, kei­nen Cen­ti­me mehr.«

      Fo­res­tier mur­mel­te: »Zum Teu­fel, das ist nicht viel!«

      »Das glau­be ich. Aber was soll ich sonst an­fan­gen? Ich bin al­lein, ich ken­ne nie­man­den und habe kei­ne Pro­tek­ti­on. An gu­tem Wil­len fehlt es mir schon nicht, aber die Mit­tel?«

      Sein Freund be­trach­te­te ihn vom Kopf bis zu den Fü­ßen, wie ein prak­ti­scher Mensch, der einen Ge­gen­stand ab­schätzt; dann ver­setz­te er in über­zeug­tem Ton:

      »Sieh mal, mein Jun­ge, hier hängt al­les von dei­nem Auf­tre­ten ab. Ein fin­di­ger Kopf bringt es hier leich­ter bis zum Mi­nis­ter als bis zum Bü­ro­chef. Man muss sich auf­drän­gen und nicht schüch­tern bit­ten. Aber wie, zum Hen­ker, kommt es, dass du nichts Bes­se­res ge­fun­den hast als eine Stel­le bei der Nord­bahn?«

      »Ich habe über­all ge­sucht«, er­wi­der­te Du­roy, »und nichts ge­fun­den. Au­gen­blick­lich habe ich zwar et­was in Aus­sicht, man bie­tet mir eine Stel­le als Stall­meis­ter in der Reit­bahn von Pel­le­rin an. Da be­kom­me ich min­des­tens drei­tau­send Fran­cs.«

      Fo­res­tier blieb plötz­lich ste­hen:

      »Tu das nicht. Das ist dumm, wo du doch zehn­tau­send Fran­cs ver­die­nen könn­test. Du ver­schließt dir mit ei­nem Schla­ge die Zu­kunft. In dei­ner Schreib­stu­be bist du we­nigs­tens ver­steckt, nie­mand kennt dich, und wenn du dich stark ge­nug fühlst, kannst du ei­nes schö­nen Ta­ges auch von dort aus Kar­rie­re ma­chen. Aber wenn du Stall­meis­ter bist, dann ist al­les aus. Du kannst ge­ra­de­so­gut Ober­kell­ner in ei­nem Re­stau­rant wer­den, wo ganz Pa­ris ver­kehrt. Wenn du erst ein­mal Leu­ten der Ge­sell­schaft oder ih­ren Söh­nen Reit­un­ter­richt ge­ge­ben hast, dann könn­ten sie sich nicht mehr dar­an ge­wöh­nen, dich als ih­res­glei­chen zu be­trach­ten.«

      Er schwieg, dach­te ei­ni­ge Se­kun­den nach und frag­te:

      »Hast du das Abi­tu­ri­um ge­macht?«

      »Nein, ich bin zwei­mal durch­ge­fal­len.«

      »Das tut nichts, wenn du dei­ne Stu­di­en nur ei­ni­ger­ma­ßen zu Ende ge­führt hast. Wenn von Ci­ce­ro oder Ti­be­ri­us die Rede ist, dann weißt du un­ge­fähr, wer das ist?«

      »Ja, un­ge­fähr.«

      »Gut, mehr weiß über­haupt nie­mand, mit Aus­nah­me von ei­nem Dut­zend Dumm­köp­fen, die nicht im­stan­de sind, sich selbst zu hel­fen. Je­den­falls ist es nicht schwer, als in­tel­li­gent und ge­bil­det zu gel­ten. Man darf sich nur nicht bei ei­ner of­fen­ba­ren Un­wis­sen­heit er­wi­schen las­sen. Man dreht und wen­det sich, man weicht dem Hin­der­nis aus, um­geht es und be­wäl­tigt das an­de­re mit Hil­fe ei­nes Kon­ver­sa­ti­ons­le­xi­kons. Alle Men­schen sind dumm wie die Gän­se und un­wis­send wie Kar­pfen.«

      Er sprach in ru­hig spöt­ti­schem Tone, wie ei­ner, der die Welt kennt und blick­te da­bei lä­chelnd auf die vor­über­ge­hen­de Men­ge. Plötz­lich aber be­gann er zu hus­ten und blieb ste­hen, bis der An­fall vor­über war. Dann fuhr er in mut­lo­sem Ton fort:

      »Ist es nicht ent­setz­lich, dass ich die­se Bron­chi­tis nicht los wer­de? Und jetzt sind wir mit­ten im Hoch­som­mer. Oh! Im Win­ter geh ich nach Men­ton, um mich aus­zu­ku­rie­ren. Mag kom­men, was will, mei­ne Ge­sund­heit geht mir über al­les.«

      Sie wa­ren jetzt am Bou­le­vard Pois­so­niè­re und stan­den vor ei­ner großen Glas­tür, die von in­nen mit ei­ner Zei­tung be­klebt war. Drei Leu­te wa­ren ste­hen­ge­blie­ben, um das Blatt zu le­sen.

      Über dem Tor stand in großen Buch­sta­ben aus Gas­flam­men der Name der Zei­tung: »La Vie Françai­se« ge­schrie­ben. Und die Passan­ten, die plötz­lich in das grel­le Licht die­ser drei Wor­te tra­ten, wur­den nun auf ein­mal deut­lich sicht­bar wie am hel­lich­ten Tage, um dann so­fort wie­der im Dun­kel zu ver­schwin­den.

      Fo­res­tier öff­ne­te die Tür:

      »Geh rein«, sag­te er.

      Du­roy ging hin­ein, stieg eine pomp­haf­te, schmut­zi­ge Trep­pe hin­auf, die man von der Stra­ße aus ganz über­bli­cken konn­te, ging durch das Vor­zim­mer, in dem zwei Bü­ro­die­ner sei­nen Ge­fähr­ten grüß­ten, bis er in einen War­te­raum ge­lang­te. Die Räu­me wa­ren ver­staubt und ab­ge­nutzt, mit Ta­pe­ten aus schmut­zi­gem, un­ech­tem, grü­nem Samt, die vol­ler Fle­cken und hier und da durch­lö­chert wa­ren, als hät­ten die Mäu­se sie an­ge­knab­bert.

      »Setz dich,« sag­te Fo­res­tier, »ich bin in fünf Mi­nu­ten wie­der da.«

      Und er ver­schwand hin­ter ei­ner der drei Tü­ren, die aus die­sem Zim­mer führ­ten.

      Der selt­sa­me, ei­gen­tüm­li­che, un­be­schreib­li­che Ge­ruch ei­nes Re­dak­ti­ons­bü­ros er­füll­te den Raum. Du­roy blieb un­be­weg­lich, et­was ein­ge­schüch­tert und über­rascht sit­zen.

      Von Zeit zu Zeit lie­fen Leu­te an ihm vor­bei; sie ka­men aus ei­ner Tür und ver­schwan­den durch die an­de­re, noch ehe er Zeit hat­te, sie an­zu­se­hen. Bald wa­ren es jun­ge, sehr jun­ge Leu­te mit ge­schäf­ti­gem Ge­sichts­aus­druck, die in der Hand ein Blatt Pa­pier tru­gen, das bei ih­rem Lau­fen im Win­de flat­ter­te. Manch­mal wa­ren es auch Set­zer, un­ter de­ren von Tin­te be­schmutz­ten Lei­nen­kit­teln man rein­wei­ße Hemd­kra­gen und eine ele­gan­te Tuch­ho­se von mo­der­nem Schnitt sah. Vor­sich­tig tru­gen sie be­druck­te Pa­pier­strei­fen, fri­sche, noch feuch­te Kor­rek­tur­fah­nen. Bis­wei­len trat ein klei­ner Herr mit ei­ner et­was auf­fal­len­den Ele­ganz, mit ei­ner et­was zu en­gen Tail­le, mit Bein­klei­dern, die zu eng an­la­gen, und mit über­mä­ßig spit­zen Schna­bel­schu­hen, ein, ir­gend­ein Re­por­ter, der

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