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bei je­der Ge­le­gen­heit wie­der­hol­te er sei­ner Frau, die da­bei die Au­gen und zu­wei­len auch die Hän­de gen Him­mel hob, um kräf­ti­ger bei­zu­stim­men: »O Gott, un­ter was für ei­ner Re­gie­rung le­ben wir!«

      Frau von Méroul stand ih­rem Gat­ten geis­tig so nahe, als ob sie Bru­der und Schwes­ter ge­we­sen wä­ren. Sie wuss­te durch die Tra­di­ti­on, dass man zu­erst den Papst und den Kö­nig eh­ren muss!

      Und sie lieb­te und ehr­te sie bei­de von Her­zens­grund, ohne sie zu ken­nen; sie lieb­te sie mit poe­ti­scher Be­geis­te­rung und an­ge­bo­re­ner Hin­ge­bung, mit al­ler Zärt­lich­keit ei­ner Frau aus gu­ter Fa­mi­lie. Sie war gut bis in die Fal­ten ih­rer See­le. Sie hat­te nie Kin­der ge­habt und sehn­te sich stets da­nach.

      Als Herr von Méroul sei­nen al­ten Freund Jo­sef Mou­radour bei ei­nem Bal­le wie­der­fand, be­rei­te­te ihm die­se Be­geg­nung eine tie­fe, un­ge­schmink­te Freu­de, denn sie hat­ten sich in ih­rer Ju­gend sehr ge­liebt.

      Nach den ers­ten Aus­ru­fen des Er­stau­nens, wie sehr ihr Aus­se­hen und Ge­sicht vom Al­ter ver­än­dert wä­ren, hat­ten sie sich ge­gen­sei­tig nach ih­rem Le­ben er­kun­digt.

      Jo­sef Mou­radour, ein Süd­fran­zo­se, hat­te es in sei­ner Hei­mat zum Ge­ne­ral-Di­rek­tor ge­bracht. Er war von frei­em Be­neh­men, re­de­te leb­haft und ohne Rück­halt, und sprach al­les aus, was er dach­te, ohne zar­te Rück­sich­ten zu ken­nen. Er ge­hör­te zu je­nem ge­müt­li­chen Schla­ge von Re­pu­bli­ka­nern, die sich ein Ge­setz dar­aus ma­chen, mög­lichst form­los auf­zu­tre­ten und die Frei­heit des Wor­tes bis zur Rück­sichts­lo­sig­keit zu trei­ben.

      Er kam in das Haus sei­nes Freun­des und mach­te sich hier durch sei­ne un­ge­schmink­te Herz­lich­keit trotz sei­ner fort­schritt­li­chen An­sich­ten bald sehr be­liebt. Frau von Méroul rief im­mer aus: »Wie scha­de! Ein so rei­zen­der Mensch!« Und ihr Gat­te sag­te zu sei­nem Freun­de in über­zeug­tem und ver­trau­li­chem Tone: »Du ahnst gar nicht, wel­ches Un­heil Ihr über un­ser Land bringt.« Trotz­dem hät­schel­te er ihn, denn nichts ist fes­ter, als die Be­zie­hun­gen der Kind­heit, die im rei­fen Al­ter wie­der auf­ge­nom­men wer­den. Jo­sef Mou­radour sei­ner­seits zog Mann und Frau auf, nann­te sie »mei­ne lie­ben Rück­wärts­ler« und konn­te es sich bis­wei­len nicht ver­sa­gen, mit tö­nen­dem Phra­sen­schwall über die Kon­ser­va­ti­ven und ihre Vor­ur­tei­le und Tra­di­tio­nen her­zu­zie­hen.

      Wenn er so den Strom sei­ner de­mo­kra­ti­schen Be­red­sam­keit ent­fes­sel­te, schwie­gen sei­ne Gast­ge­ber wohl oder übel aus An­stand und Le­bens­art, und der Gat­te such­te dann das Ge­spräch auf einen an­de­ren Ge­gen­stand zu len­ken, um das Auf­ein­an­der­pral­len der Mei­nun­gen zu ver­mei­den. Auch sa­hen sie Jo­sef Mou­radour nur im engs­ten Krei­se.

      Als der Som­mer kam, zo­gen die Mérouls auf ihre Be­sit­zung bei Trou­be­ville. Hier kann­ten sie kei­ne grö­ße­re Freu­de, als ihre Freun­de zu Be­such zu ha­ben. Es war dies eine in­ni­ge und ge­sun­de Freu­de, die Freu­de red­li­cher Leu­te und Land­be­woh­ner. Sie ka­men den Gäs­ten bis zur nächs­ten Ei­sen­bahn-Sta­ti­on ent­ge­gen und fuh­ren sie in ih­rem Wa­gen heim; da­bei horch­ten sie be­gie­rig auf je­des Kom­pli­ment über ihre Ge­gend, den Pflan­zen­wuchs, den Zu­stand der Stra­ßen im Krei­se, die sau­be­ren Bau­ern­häu­ser und das wohl­ge­mä­s­te­te Vieh, das auf den Fel­dern zu se­hen war, kurz, über al­les, was in ih­rem Ge­sichts­krei­se lag.

      Sie mach­ten ihre Gäs­te dar­auf auf­merk­sam, wie er­staun­lich gut ihr Pferd trab­te, das doch einen Teil des Jah­res mit aufs Feld muss­te, war­te­ten ängst­lich auf die Mei­nung des An­ge­kom­me­nen über ih­ren Fa­mi­li­en­sitz, und wa­ren für je­des Wort emp­fäng­lich, für die ge­rings­te Schmei­che­lei er­kennt­lich.

      Jo­sef Mou­radour wur­de ein­ge­la­den und sag­te sein Kom­men zu.

      Mann und Frau wa­ren zur An­kunft des Zu­ges auf der Bahn und freu­ten sich kind­lich, ihm die Hon­neurs er­wei­sen zu kön­nen.

      So­bald er sie er­kann­te, sprang er aus dem Wa­gen und eil­te mit Leb­haf­tig­keit auf sie zu, was ihre Be­frie­di­gung noch stei­ger­te. Er drück­te ih­nen die Hän­de, be­glück­wünsch­te sie und um­spann sie förm­lich mit Kom­pli­men­ten.

      Wäh­rend des gan­zen We­ges war er rei­zend und in ste­ter Be­wun­de­rung über die Höhe der Bäu­me, den Stand des Ge­trei­des und die Schnel­lig­keit des Pfer­des.

      Als er den Fuß auf die Trep­pe des Schlos­ses setz­te, sag­te Herr von Méroul mit ei­ner ge­wis­sen freund­schaft­li­chen Fei­er­lich­keit: »Du bist jetzt bei Dir, Jo­sef!« wor­auf die­ser ant­wor­te­te: »Dan­ke, mein Freund, ich rech­ne­te dar­auf. Üb­ri­gens tue ich mir bei mei­nen Freun­den nie Zwang an. Ich ver­ste­he die Gast­freund­schaft nur so.«

      Da­mit ging er her­auf in sein Zim­mer, um sich als Bau­er an­zu­zie­hen, wie er sag­te. Bald er­schi­en er in blau­er Lei­ne­wand wie­der. Auf dem Kop­fe hat­te er einen Far­mer­hut, an den Fü­ßen gel­be Le­der­schu­he, kurz, er sah aus wie ein Pa­ri­ser im Schwank-Ko­stüm. Auch schi­en er noch ge­wöhn­li­cher, ver­trau­li­cher und jo­via­ler ge­wor­den zu sein und mit sei­ner Bau­ern­klei­dung eine Zwang­lo­sig­keit und Un­ge­bun­den­heit an­ge­tan zu ha­ben, wie er sie hier wohl für an­ge­bracht hielt. Sein neu­es Auf­tre­ten be­rühr­te Herrn und Frau von Méroul et­was pein­lich, denn sie blie­ben auch auf ih­rem Land­sitz ernst und wür­dig, als ob die drei Buch­sta­ben vor ih­rem Na­men sie zu ei­ner ge­wis­sen Fei­er­lich­keit selbst im engs­ten Krei­se ver­pflich­te­ten.

      Nach dem Früh­stück wur­den die Höfe be­sich­tigt, und der Pa­ri­ser mach­te die ehr­er­bie­ti­gen Bau­ern durch sei­nen plump ver­trau­li­chen Ton stut­zig.

      Abends aß der Pfar­rer im Hau­se, ein al­ter, wohl­be­leib­ter Herr, und ste­ter Sonn­tags­gast; er war zu Ehren des Neu­an­ge­kom­me­nen aus­nahms­wei­se zu die­sem Tage ge­be­ten.

      Als Jo­sef ihn er­blick­te, schnitt er ein Ge­sicht und blick­te ihn dann er­staunt an, wie ein sel­te­nes We­sen von be­son­de­rem Schla­ge, das er noch nie so nahe ge­se­hen hat­te. Im Ver­lau­fe der Mahl­zeit er­zähl­te er al­ler­hand ge­wag­te Stück­lein, die im ver­trau­ten Krei­se wohl durch­ge­hen moch­ten, hier aber, in Ge­gen­wart ei­nes Geist­li­chen, den Mérouls sehr we­nig am Plat­ze schie­nen. Auch sag­te er nicht ein­mal »Herr Pfar­rer«, son­dern ganz kurz »Herr« und setz­te den Pries­ter durch phi­lo­so­phi­sche Be­trach­tun­gen über die ver­schie­de­nen Ar­ten von Aber­glau­ben auf dem Er­drund in nicht ge­rin­ge Ver­le­gen­heit. »Ihr Gott, mein Herr«, sag­te er, »ge­hört zu de­nen, die man ach­ten soll, aber auch zu de­nen, über die man strei­ten muss. Der mei­ne heißt Ver­nunft; er ist von je­her der Feind des Ihren ge­we­sen«… u. s. w.

      Die Mérouls wa­ren ver­zwei­felt und be­müh­ten sich, das Ge­spräch auf einen an­de­ren Ge­gen­stand zu len­ken. Der Pfar­rer ging früh­zei­tig.

      Da sag­te der Gat­te sanft:

      »Du bist in Ge­gen­wart die­ses Pries­ters viel­leicht et­was zu weit ge­gan­gen.«

      Aber Jo­sef rief so­fort: »Das ist aus­ge­zeich­net! Ich wer­de mich vor so ei­nem Schwar­zen wohl noch ge­nie­ren! Üb­ri­gens weißt du: Tue mir den Ge­fal­len, und set­ze mir die­sen Bie­der­mann bei Ti­sche nicht mehr vor. Ihr mögt ihn ja fre­quen­tie­ren,

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