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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Schade, dass kein Klavier vorhanden ist«; meinte Loiseau, »sonst könnten wir eine Quadrille tanzen.«
Cornudet hatte fast kein Wort gesprochen und kaum eine Miene verzogen. Er schien vielmehr in ernste Gedanken versunken und zerrte zuweilen mit grimmiger Miene an seinem großen Barte, als wollte er ihn noch länger ziehen. Als man endlich um Mitternacht aufbrach, patschte ihm Loiseau, der etwas turkelig war, auf den Bauch und sagte lallend: »Sie sind heute nicht bei Laune, Bürger; »Sie sprechen ja kein Wort.« Cornudet drehte sich unwillig herum, mass die Gesellschaft mit einem zornigen wilden Blick und sagte: »Ich erkläre Ihnen offen, dass Sie eine große Gemeinheit begangen haben.« Er stand auf, und ging hinaus fortwährend »eine große Gemeinheit!« murmelnd.
Im ersten Augenblick war man verblüfft. Selbst Loiseau stierte mit dummen Augen vor sich hin. Aber dann gewann er seine muntere Stimmung wieder und sagte plötzlich lachend: »Sie sind zu sauer, ja, zu sauer.« Als man ihn nicht verstand, erzählte er »die Geheimnisse des Ganges«, wobei er sich vor Lachen ausschütten wollte. Auch die Damen amüsierten sich köstlich. Der Graf und Frau Carré-Lamadon lachten Tränen. Sie fanden es unglaublich.
»Wie? Sie wissen gewiss? Er wollte …«
»Ich sage Ihnen ja, dass ich es gesehen habe.«
»Und sie hat sich geweigert?«
»Weil der Preusse im Zimmer nebenan wohnt.«
»Unmöglich!«
»Mein Wort darauf.«
Der Graf erstickte fast; der Fabrikant hielt sich den Bauch mit beiden Händen.
»Und deshalb, wissen Sie«, fuhr Loiseau fort, »ist er heute Abend nicht zufrieden mit ihr, durchaus nicht zufrieden.«
Alle drei brachen auf, sie waren krank vor Lachen und glaubten nicht mehr weiter zu können.
Oben trennte man sich. Beim Zubettgehen machte Madame Loiseau ihren Mann darauf aufmerksam, dass dieses »Kücken,« wie Sie die kleine Madame Carré-Lamadon nannte, den ganzen Abend vor Neid vergangen sei. »Du weißt, dass die Frauen, die es nun einmal mit der Uniform halten, es eben so gern sich vom Preussen wie Franzosen gefallen lassen. Großer Gott! Ist das nicht eine Schande?«
Und die ganze Nacht durch hörte man auf dem Gange allerhand leichte, kaum wahrnehmbare Geräusche, wie Seufzer, wie das Tappen von blossen Füssen, wie ein leises Knacken. Jedenfalls schien die Gesellschaft spät einzuschlafen, denn noch lange schimmerte Licht unter den Türritzen her. Der Champagner hat so seine Eigentümlichkeiten. Er soll einen unruhigen Schlaf verursachen.
Am anderen Morgen strahlte die Sonne hell über die glänzende Schneedecke. Der Omnibus stand nun endlich bespannt vor der Türe. Eine Schar weißer Tauben, die dichten Federn aufwärts sträubend, mit rotem, in der Mitte schwarz punktiertem Auge, wandelte gravitätisch zwischen den Beinen der sechs Pferde umher und suchte ihre Nahrung in dem rauchenden Dünger derselben.
Der Kutscher in dichtem Schafspelz rauchte auf dem Bock sein Pfeifchen, und die Reisenden waren beschäftigt, ihre Vorräte für den Rest des Weges unterzubringen.
Man wartete nur noch auf Fett-Kloss. Endlich erschien sie.
Sie war etwas ängstlich und verlegen; schüchtern näherte sie sich ihren Reisegefährten, welche sich alle gleichzeitig umwandten, als hätten sie sie nicht bemerkt. Der Graf nahm würdevoll den Arm seiner Gattin und führte sie hinweg, wie um sie vor einer unreinen Berührung zu bewahren.
Überrascht blieb Fett-Kloss stehen. Dann näherte sie sich, all’ ihren Mut zusammennehmend, mit einem leise gemurmelten »Guten Morgen, Madame!« der Frau des Fabrikanten. Die andere nickte hochmütig ein wenig mit dem Kopfe und begleitete diesen Gruss mit einem Blick beleidigter Tugend. Alle Welt schien beschäftigt und hielt sich von ihr fern, als trüge sie in ihren Kleidern einen Ansteckungsstoff mit sich herum. Dann stürzte man sich auf den Wagen, wo sie allein als letzte ankam und stillschweigend ihren alten Platz wieder einnahm.
Man schien sie nicht zu kennen; aber Frau Loiseau, die sie mit Entrüstung von weitem betrachtete, sagte zu ihrem Gatten: »Glücklicherweise sitze ich nicht neben ihr.«
Der große Kasten setzte sich in Bewegung und die Reise begann aufs Neue.
Anfangs stockte das Gespräch. Fett-Kloss wagte nicht die Augen aufzuschlagen. Sie fühlte sich ebenso entrüstet über das Benehmen ihrer Reisegefährten, wie erniedrigt durch den Gedanken sich hingegeben zu haben, beschmutzt zu sein durch die Küsse dieses Preussen, in dessen Arme man sie gewaltsam geführt hatte.
»Sie kennen, glaube ich, Madame d’Étrelles?« unterbrach die Gräfin zu Frau Carré-Lamadon gewendet plötzlich das allgemeine Schweigen.
»Jawohl; es ist eine Freundin von mir.«
»Welch’ ausgezeichnete Frau!«
»Bezaubernd. Wirklich eine seltene Erscheinung, sehr gebildet übrigens und Künstlerin bis auf die Fingerspitzen. Sie singt brillant und zeichnet wunderhübsch.«
Der Fabrikant plauderte mit dem Grafen und zwischen dem Klirren der Fensterscheiben hörte man zuweilen die Worte: »Kupon – Wechsel – auf Ziel – Prämie.«
Loiseau, der das alte, im Laufe von fünf Jahren schwarz gewordene Kartenspiel aus dem Hotel mitgenommen hatte, begann mit seiner Frau eine Partie Besigue.
Die beiden Schwestern beteten wieder ihren Rosenkranz, machten zusammen das Kreuzzeichen, und plötzlich begannen ihre Lippen sich rascher zu bewegen; sie beeilten sich ihr Gebet zu beenden. Von Zeit zu Zeit küssten sie eine Medaille, bekreuzigten sich aufs Neue, und begannen dann abermals ihr unausgesetztes schnelles Geflüster.
Cornudet träumte still vor sich hin.
Nach Verlauf von drei Stunden räumte Loiseau die Karten zusammen. »Ich werde hungrig«, sagte er.
Seine Frau holte ein zusammengeschnürtes Packet hervor, dem sie ein Stück Kalbsbraten entnahm. Sie schnitt feine Scheibchen davon herunter und alle beide begannen zu essen.
»Ich dächte, wir machten es auch so,« sagte die Gräfin. Man stimmte ihr bei, und sie packte die Lebensmittel für die beiden anderen Familien aus.