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sein Glas er­he­bend. Alle spran­gen auf und sties­sen an. Selbst die bei­den Or­dens­schwes­tern lies­sen sich durch die Hei­ter­keit der an­de­ren Da­men ver­lei­ten, von dem Cham­pa­gner zu kos­ten, den sie noch nie ge­trun­ken hat­ten. Sie mein­ten, er schme­cke wie Brau­se­li­mo­na­de, nur viel fei­ner.

      »Scha­de, dass kein Kla­vier vor­han­den ist«; mein­te Loi­seau, »sonst könn­ten wir eine Qua­dril­le tan­zen.«

      Cor­nu­det hat­te fast kein Wort ge­spro­chen und kaum eine Mie­ne ver­zo­gen. Er schi­en viel­mehr in erns­te Ge­dan­ken ver­sun­ken und zerr­te zu­wei­len mit grim­mi­ger Mie­ne an sei­nem großen Bar­te, als woll­te er ihn noch län­ger zie­hen. Als man end­lich um Mit­ter­nacht auf­brach, patsch­te ihm Loi­seau, der et­was tur­ke­lig war, auf den Bauch und sag­te lal­lend: »Sie sind heu­te nicht bei Lau­ne, Bür­ger; »Sie spre­chen ja kein Wort.« Cor­nu­det dreh­te sich un­wil­lig her­um, mass die Ge­sell­schaft mit ei­nem zor­ni­gen wil­den Blick und sag­te: »Ich er­klä­re Ih­nen of­fen, dass Sie eine große Ge­mein­heit be­gan­gen ha­ben.« Er stand auf, und ging hin­aus fort­wäh­rend »eine große Ge­mein­heit!« mur­melnd.

      Im ers­ten Au­gen­blick war man ver­blüfft. Selbst Loi­seau stier­te mit dum­men Au­gen vor sich hin. Aber dann ge­wann er sei­ne mun­te­re Stim­mung wie­der und sag­te plötz­lich la­chend: »Sie sind zu sau­er, ja, zu sau­er.« Als man ihn nicht ver­stand, er­zähl­te er »die Ge­heim­nis­se des Gan­ges«, wo­bei er sich vor La­chen aus­schüt­ten woll­te. Auch die Da­men amü­sier­ten sich köst­lich. Der Graf und Frau Carré-La­ma­don lach­ten Trä­nen. Sie fan­den es un­glaub­lich.

      »Wie? Sie wis­sen ge­wiss? Er woll­te …«

      »Ich sage Ih­nen ja, dass ich es ge­se­hen habe.«

      »Und sie hat sich ge­wei­gert?«

      »Weil der Preus­se im Zim­mer ne­ben­an wohnt.«

      »Un­mög­lich!«

      »Mein Wort dar­auf.«

      Der Graf er­stick­te fast; der Fa­bri­kant hielt sich den Bauch mit bei­den Hän­den.

      »Und des­halb, wis­sen Sie«, fuhr Loi­seau fort, »ist er heu­te Abend nicht zu­frie­den mit ihr, durch­aus nicht zu­frie­den.«

      Alle drei bra­chen auf, sie wa­ren krank vor La­chen und glaub­ten nicht mehr wei­ter zu kön­nen.

      Oben trenn­te man sich. Beim Zu­bett­ge­hen mach­te Ma­da­me Loi­seau ih­ren Mann dar­auf auf­merk­sam, dass die­ses »Kücken,« wie Sie die klei­ne Ma­da­me Carré-La­ma­don nann­te, den gan­zen Abend vor Neid ver­gan­gen sei. »Du weißt, dass die Frau­en, die es nun ein­mal mit der Uni­form hal­ten, es eben so gern sich vom Preus­sen wie Fran­zo­sen ge­fal­len las­sen. Gro­ßer Gott! Ist das nicht eine Schan­de?«

      Und die gan­ze Nacht durch hör­te man auf dem Gan­ge al­ler­hand leich­te, kaum wahr­nehm­ba­re Geräusche, wie Seuf­zer, wie das Tap­pen von blos­sen Füs­sen, wie ein lei­ses Knacken. Je­den­falls schi­en die Ge­sell­schaft spät ein­zu­schla­fen, denn noch lan­ge schim­mer­te Licht un­ter den Tür­rit­zen her. Der Cham­pa­gner hat so sei­ne Ei­gen­tüm­lich­kei­ten. Er soll einen un­ru­hi­gen Schlaf ver­ur­sa­chen.

      Am an­de­ren Mor­gen strahl­te die Son­ne hell über die glän­zen­de Schnee­de­cke. Der Om­ni­bus stand nun end­lich be­spannt vor der Türe. Eine Schar wei­ßer Tau­ben, die dich­ten Fe­dern auf­wärts sträu­bend, mit ro­tem, in der Mit­te schwarz punk­tier­tem Auge, wan­del­te gra­vi­tä­tisch zwi­schen den Bei­nen der sechs Pfer­de um­her und such­te ihre Nah­rung in dem rau­chen­den Dün­ger der­sel­ben.

      Der Kut­scher in dich­tem Schafs­pelz rauch­te auf dem Bock sein Pfeif­chen, und die Rei­sen­den wa­ren be­schäf­tigt, ihre Vor­rä­te für den Rest des We­ges un­ter­zu­brin­gen.

      Man war­te­te nur noch auf Fett-Kloss. End­lich er­schi­en sie.

      Sie war et­was ängst­lich und ver­le­gen; schüch­tern nä­her­te sie sich ih­ren Rei­se­ge­fähr­ten, wel­che sich alle gleich­zei­tig um­wand­ten, als hät­ten sie sie nicht be­merkt. Der Graf nahm wür­de­voll den Arm sei­ner Gat­tin und führ­te sie hin­weg, wie um sie vor ei­ner un­rei­nen Berüh­rung zu be­wah­ren.

      Über­rascht blieb Fett-Kloss ste­hen. Dann nä­her­te sie sich, all’ ih­ren Mut zu­sam­men­neh­mend, mit ei­nem lei­se ge­mur­mel­ten »Gu­ten Mor­gen, Ma­da­me!« der Frau des Fa­bri­kan­ten. Die an­de­re nick­te hoch­mü­tig ein we­nig mit dem Kop­fe und be­glei­te­te die­sen Gruss mit ei­nem Blick be­lei­dig­ter Tu­gend. Alle Welt schi­en be­schäf­tigt und hielt sich von ihr fern, als trü­ge sie in ih­ren Klei­dern einen An­ste­ckungs­stoff mit sich her­um. Dann stürz­te man sich auf den Wa­gen, wo sie al­lein als letz­te an­kam und still­schwei­gend ih­ren al­ten Platz wie­der ein­nahm.

      Man schi­en sie nicht zu ken­nen; aber Frau Loi­seau, die sie mit Ent­rüs­tung von wei­tem be­trach­te­te, sag­te zu ih­rem Gat­ten: »Glück­li­cher­wei­se sit­ze ich nicht ne­ben ihr.«

      Der große Kas­ten setz­te sich in Be­we­gung und die Rei­se be­gann aufs Neue.

      An­fangs stock­te das Ge­spräch. Fett-Kloss wag­te nicht die Au­gen auf­zu­schla­gen. Sie fühl­te sich eben­so ent­rüs­tet über das Be­neh­men ih­rer Rei­se­ge­fähr­ten, wie er­nied­rigt durch den Ge­dan­ken sich hin­ge­ge­ben zu ha­ben, be­schmutzt zu sein durch die Küs­se die­ses Preus­sen, in des­sen Arme man sie ge­walt­sam ge­führt hat­te.

      »Sie ken­nen, glau­be ich, Ma­da­me d’Étrel­les?« un­ter­brach die Grä­fin zu Frau Carré-La­ma­don ge­wen­det plötz­lich das all­ge­mei­ne Schwei­gen.

      »Ja­wohl; es ist eine Freun­din von mir.«

      »Welch’ aus­ge­zeich­ne­te Frau!«

      »Be­zau­bernd. Wirk­lich eine sel­te­ne Er­schei­nung, sehr ge­bil­det üb­ri­gens und Künst­le­rin bis auf die Fin­ger­spit­zen. Sie singt bril­lant und zeich­net wun­der­hübsch.«

      Der Fa­bri­kant plau­der­te mit dem Gra­fen und zwi­schen dem Klir­ren der Fens­ter­schei­ben hör­te man zu­wei­len die Wor­te: »Ku­pon – Wech­sel – auf Ziel – Prä­mie.«

      Loi­seau, der das alte, im Lau­fe von fünf Jah­ren schwarz ge­wor­de­ne Kar­ten­spiel aus dem Ho­tel mit­ge­nom­men hat­te, be­gann mit sei­ner Frau eine Par­tie Be­sigue.

      Die bei­den Schwes­tern be­te­ten wie­der ih­ren Ro­sen­kranz, mach­ten zu­sam­men das Kreuz­zei­chen, und plötz­lich be­gan­nen ihre Lip­pen sich ra­scher zu be­we­gen; sie be­eil­ten sich ihr Ge­bet zu be­en­den. Von Zeit zu Zeit küss­ten sie eine Me­dail­le, be­kreu­zig­ten sich aufs Neue, und be­gan­nen dann aber­mals ihr un­aus­ge­setz­tes schnel­les Ge­flüs­ter.

      Cor­nu­det träum­te still vor sich hin.

      Nach Ver­lauf von drei Stun­den räum­te Loi­seau die Kar­ten zu­sam­men. »Ich wer­de hung­rig«, sag­te er.

      Sei­ne Frau hol­te ein zu­sam­men­ge­schnür­tes Packet her­vor, dem sie ein Stück Kalbs­bra­ten ent­nahm. Sie schnitt fei­ne Scheib­chen da­von her­un­ter und alle bei­de be­gan­nen zu es­sen.

      »Ich däch­te, wir mach­ten es auch so,« sag­te die Grä­fin. Man stimm­te ihr bei, und sie pack­te die Le­bens­mit­tel für die bei­den an­de­ren Fa­mi­li­en aus.

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