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sei­ner Nach­ba­rin aus­zu­schla­gen und man bil­de­te mit den Or­dens­frau­en zu­sam­men eine Art Tisch, in­dem man Zei­tun­gen auf dem Schoss aus­brei­te­te.

      Man öff­ne­te und schloss den Mund ab­wech­selnd, schob ein Stück hin­ein, kau­te und schluck­te has­tig. Loi­seau war in sei­ner Ecke em­sig bei der Ar­beit; und re­de­te lei­se sei­ner Frau zu, sei­nem Bei­spie­le zu fol­gen. Sie woll­te an­fangs nicht recht dar­an, aber als ein Krampf ihr In­ne­res zu­sam­men­zog, gab sie nach. Ihr Ehe­mann bat die »lie­bens­wür­di­ge Rei­se­ge­fähr­tin,« ob er nicht auch für sei­ne Gat­tin ein Stück­chen ha­ben könn­te. »Aber na­tür­lich, ge­wiss mein Herr,« sag­te sie, ihm mit lie­bens­wür­di­gem Lä­cheln die Ter­ri­ne rei­chend.

      Eine klei­ne Ver­le­gen­heit ent­stand, als man die ers­te Fla­sche Bor­deaux ent­korkt hat­te: Es gab nur einen Be­cher. Man wisch­te ihn eben vor dem Trin­ken aus. Nur Cor­nu­det setz­te ihn dort an den Mund, wo er noch feucht von den Lip­pen sei­ner Nach­ba­rin war; zwei­felsoh­ne ein Akt der Höf­lich­keit ge­gen die­sel­be.

      Der Graf und die Grä­fin Bréville, um­ge­ben von es­sen­den Men­schen und den Ge­ruch von Spei­sen fort­wäh­rend in der Nase, lit­ten un­ter­des­sen eben­so wie Herr und Frau Carré-La­ma­don wah­re Tan­ta­lus­qua­len. Plötz­lich stiess die jun­ge Frau des Fa­brik­be­sit­zers einen Seuf­zer aus, so­dass sich al­les nach ihr um­sah. Sie war bleich wie der Schnee draus­sen, ihre Au­gen wa­ren ge­schlos­sen, der Kopf hing vorn­über; sie hat­te das Be­wusst­sein ver­lo­ren. Ganz aus­ser sich bat ihr Gat­te alle Welt um Hil­fe. Man hat­te völ­lig den Kopf ver­lo­ren, als end­lich die äl­te­re von den bei­den Or­dens­schwes­tern, die das Haupt der Ohn­mäch­ti­gen stütz­te, den Be­cher von Fett-Kloss je­ner an die Lip­pen setz­te und ihr ei­ni­ge Trop­fen Wein ein­flöss­te. Die hüb­sche jun­ge Frau er­wach­te, schlug die Au­gen auf, lä­chel­te und er­klär­te mit lei­ser Stim­me, dass sie sich jetzt woh­ler füh­le. Aber um einen Rück­fall zu ver­mei­den, nö­tig­te ihr die Schwes­ter ein vol­les Glas Bor­deaux auf und füg­te hin­zu: »das macht nur der Hun­ger; wei­ter nichts.«

      »Mein Him­mel!« sag­te jetzt Fett-Kloss, in­dem sie rot und ver­le­gen die vier aus­ge­hun­ger­ten Rei­sen­den an­sah, »viel­leicht darf ich den Her­ren und Da­men et­was an­bie­ten.« … Dann schwieg sie, eine Ab­leh­nung be­fürch­tend. »Na, wahr­haf­tig,« er­griff jetzt Loi­seau das Wort »in sol­chen Fäl­len gibt es kei­nen Un­ter­schied und man muss sich ge­gen­sei­tig hel­fen. Vor­wärts, mei­ne Da­men, ge­nie­ren Sie sich nicht; grei­fen Sie mun­ter zu. Sie wis­sen nicht, ob wir über­haupt noch eine Nacht­her­ber­ge fin­den. In die­sem Tem­po kom­men wir vor Mit­ter­nacht nicht nach Tôtes.«

      Man zö­ger­te im­mer noch; nie­mand woll­te zu­erst »Ja« sa­gen. End­lich mach­te der Graf ein Ende. »Wir neh­men dan­kend an, Ma­da­me,« sag­te er mit der gan­zen Wür­de ei­nes Edel­man­nes zu der schüch­ter­nen di­cken Rei­se­ge­fähr­tin.

      Jetzt war der ers­te Schritt ge­tan. Nach­dem man nun ein­mal den Ru­bi­kon hin­ter sich hat­te, ver­kehr­te man un­ge­zwun­ge­ner. Der Rei­se­korb wur­de ge­leert. Er ent­hielt noch eine Gän­se­le­ber- und eine Ler­chen-Pas­te­te, ein Stück ge­räu­cher­te Zun­ge, Bir­nen von Crassanc, eine Tor­te von Pont-Le­vêque, al­ler­lei klei­nes Ge­bäck und ein Glas mit Mi­xed-Pi­kles; Fett-Kloss lieb­te, wie alle ih­res­glei­chen, das Pi­kan­te.

      Man konn­te doch un­mög­lich et­was von die­ser Per­son an­neh­men, ohne auch mit ihr zu spre­chen. So be­gann denn eine Un­ter­hal­tung; an­fangs mit Re­ser­ve. Als sie sich aber ganz an­stän­dig be­nahm, ließ man sich schon mehr ge­hen. Die Da­men Bréville und Carré-La­ma­don be­nah­men sich mit zu­rück­hal­ten­der Lie­bens­wür­dig­keit, wie das bei ih­rer gu­ten Le­bens­art nicht an­ders zu er­war­ten war. Be­son­ders die Grä­fin zeig­te jene lie­bens­wür­di­ge Herab­las­sung al­ler vor­neh­men Da­men, de­nen nie­mals eine Per­le aus der Kro­ne fal­len kann. Nur die di­cke Frau Loi­seau, wel­che sich selbst et­was zu ver­ge­ben fürch­te­te, hielt sich zu­rück, sprach we­nig und ass de­sto mehr.

      Die Rede kam na­tür­lich auf den Krieg. Man er­zähl­te sich schreck­li­che Ge­schich­ten von den Preus­sen und wun­der­ba­re Hel­den­ta­ten von den Fran­zo­sen. Bald be­rühr­te man auch per­sön­li­che Ver­hält­nis­se und Fett-Kloss er­zähl­te mit auf­rich­ti­ger Er­re­gung, mit je­nen war­men Wor­ten, die ih­res­glei­chen zu­wei­len ei­gen sind, um ihre Ge­füh­le aus­zu­drücken, wie sie dazu kam, Rou­en zu ver­las­sen. »Ich glaub­te an­fangs, dass ich dort blei­ben könn­te. Ich hat­te das Haus voll Le­bens­mit­tel und hät­te lie­ber ei­ni­ge Sol­da­ten ver­pflegt, als mich Gott weiß wo­hin be­ge­ben. Als ich aber sie ge­se­hen habe, die­se Preus­sen, da wa­ren mei­ne Ge­füh­le stär­ker wie ich. Das Blut koch­te mir vor Zorn in den Adern, und ich habe den gan­zen Tag vor Scham ge­weint. Ach, wenn ich ein Mann wäre, wahr­haf­tig! Ich sah sie von mei­nem Fens­ter aus, die­se großen Bes­ti­en mit ih­ren Pi­ckel­hau­ben. Mein Mäd­chen hat mich zu­rück­hal­ten müs­sen, dass ich ih­nen nicht mein Mo­bi­li­ar auf den Kopf warf. Dann kam die Ein­quar­tie­rung, und ich bin gleich dem ers­ten an die Keh­le ge­sprun­gen. Sie sind nicht schwe­rer zu er­dros­seln, wie an­de­re. Ich hät­te es wahr­haf­tig fer­tig ge­bracht, wenn man mich nicht an den Haa­ren zu­rück­ge­ris­sen hät­te. Da­rauf­hin muss­te ich mich ver­ste­cken, bis ich schliess­lich die Ge­le­gen­heit hier fand, mich da­von zu ma­chen.«

      Man be­glück­wünsch­te sie leb­haft. Sie wuchs ent­schie­den im An­se­hen bei ih­ren Rei­se­ge­fähr­ten, die sich nicht so mu­tig ge­zeigt hat­ten. Cor­nu­det hör­te ihr mit dem zu­stim­men­den bei­fäl­li­gen Lä­cheln ei­nes Apos­tels zu; denn die lang­bär­ti­gen De­mo­kra­ten bil­den sich ein, ein Mo­no­pol auf den Pa­trio­tis­mus zu be­sit­zen. Er sprach nun sei­ner­seits in be­leh­ren­dem Tone und kram­te alle Weis­heit aus, die er aus den täg­li­chen Mau­er­an­schlä­gen ge­schöpft hat­te und schloss mit ei­ner groß­ar­ti­gen Re­de­wen­dung, in­dem er den Sturz die­ser »Ka­nail­le von Bo­na­par­te« pries.

      Aber Fett-Kloss wur­de so­fort är­ger­lich, denn sie war Bo­na­par­tis­tin. »Ich hät­te Sie wahr­haf­tig an sei­ner Stel­le se­hen mö­gen«; stam­mel­te sie rot wie eine Kir­sche, »Sie und die and­ren alle. Das müss­te hübsch ge­we­sen sein, wahr­haf­tig. Sie sind es, die die­sen Mann ver­ra­ten ha­ben. Es blie­be ei­nem wei­ter nichts üb­rig, als Frank­reich zu ver­las­sen, wenn es von sol­chen Leu­ten, wie Sie re­giert wür­de.«

      Cor­nu­det ver­harr­te in über­le­ge­nem ver­ächt­li­chen Lä­cheln; aber man hat­te das Ge­fühl, dass es noch zu grö­be­ren Wor­ten kom­men wür­de. Des­halb leg­te sich der Graf ins Mit­tel. Nicht ohne Mühe be­ru­hig­te er das zor­ni­ge Mäd­chen in­dem er ho­heits­voll er­klär­te, dass man die ehr­li­che Über­zeu­gung ei­nes je­den ach­ten müs­se. Die Grä­fin und die Fa­bri­kan­tens­gat­tin, wel­che den blin­den Hass al­ler vor­neh­men Leu­te ge­gen die Re­pu­blik und die in­stink­ti­ve Vor­lie­be al­ler Frau­en für eine pomp­haf­te und des­po­ti­sche Re­gie­rungs­form teil­ten, fühl­ten sich in­des­sen un­will­kür­lich zu die­ser Pro­sti­tu­ier­ten hin­ge­zo­gen, de­ren An­schau­un­gen den ih­ri­gen so nahe stan­den.

      Der Korb war nun leer; zu Zeh­nen war das al­ler­dings kein großes Kunst­stück und man be­dau­er­te, dass es nicht mehr ge­we­sen war. Das Ge­plau­der setz­te sich noch eine Wei­le fort, wenn auch nicht mehr so leb­haft, als wäh­rend des Es­sens.

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